„Neuer Wehrdienst“ in unsicheren Zeiten als Herausforderung für die Kirche
Angesichts der Vorschläge von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zu einem „Neuen Wehrdienst“ haben die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) im Vorfeld der kommenden EKD-Synode in Würzburg die evangelische Kirche aufgefordert, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen miteinander über die Gewissensfragen nachdenken und sprechen können, welche die Beantwortung eines geplanten Fragebogens zur Wehrerfassung mit sich bringen. Nach Ansicht der beiden Friedensverbände solle die Kirche hier die finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, um Beratung im schulischen und außerschulischen Bereich anbieten zu können, Informationen und Materialien zu erstellen und entsprechende Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu schulen, heißt es dazu in einem gemeinsamen Thesenpapier zum neuen Wehrdienst und einer allgemeinen Dienstpflicht.
„Der geplante neue Wehrdienst und die politischen Diskussionen zu Wehrdienst und Dienstpflicht stellen die jungen Leute vor grundlegende ethische Fragen. Sie müssen Antworten finden, die vor ihrem Gewissen Bestand haben. Die Kirche sollte sie begleiten, beraten und Räume zur Verfügung stellen, in denen sie sich über ihre Perspektiven unterhalten können“, unterstreicht dazu Jochen Cornelius-Bundschuh, der AGDF-Vorsitzende.
Das Thesenpapier von AGDF und EAK entstand vor dem Hintergrund der Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht und den vom Bundesverteidigungsministerium aktuell vorgestellten Gesetzentwurf für einen „Neuen Wehrdienst“. Ab nächstem Jahr sollen demnach Deutsche, die das 18. Lebensjahr erreicht haben, einen Fragebogen erhalten, in dem sie angeben sollen, ob sie freiwillig einen sogenannten Basiswehrdienst leisten würden. Nach Ansicht der beiden Friedensverbände stellt dies junge Leute vor elementare Fragen wie die, ob ein solcher Wehrdienst mit ihrem Gewissen, mit ihren ethischen Vorstellungen und politischen Überzeugungen vereinbar sei und ob sie bereit seien, einen militärischen Beitrag zur Verteidigung Deutschlands und der NATO zu leisten oder ob sie von ihrem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch machen werden.
Dies stelle zugleich aber auch die Kirchen vor wichtige ethische Fragen, machen AGDF und EAK deutlich. So fordere die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 einen klaren Vorrang für Krisenprävention und zivile Konflikttransformation, was angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, aber auch der steigenden Zahl an kriegerisch ausgetragenen Konflikten schwerer umsetzbar sei. Auch müsse gesagt werden, ob das Grund- und Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung auch für Verweigerer aus Russland oder der Ukraine gelte, denen in Deutschland Zuflucht gewährt werden müsse.
Die Rede von der „Kriegstüchtigkeit“ verändere nach Ansicht der beiden Friedensverbände auch das Bild vom soldatischen Handeln, was sich unter anderem in den aktuellen Werbeaktionen der Bundeswehr, aber auch in Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten zeige. „Dies lässt die Frage aufkommen, welche gesellschaftlichen Vorstellungen und welche Selbstbilder von Soldatinnen oder Soldaten sich mit dem Wort ,Kriegstüchtigkeit´ verbinden. Entwickeln sich da gerade Narrative, die zu einer Parlamentsarmee in einer Demokratie passen“, fragt Gregor Rehm, der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz und EAK-Vorstandsmitglied. Dabei betont er: „Auch Soldatinnen und Soldaten im Dienst sind in Haltung und Handlung ihrem Gewissen verpflichtet.“ Zudem stelle sich angesichts des Wehrdienstes von Frauen die Frage nach einem Diskurs um die sozialen und politischen Implikationen der Gleichberechtigung und gendergerechte Arbeitsbedingungen in der Bundeswehr, stellen beide Friedensverbände fest.
AGDF und EAK sind überzeugt, dass sich die Kirche gemeinsam mit Freiwilligendienstträgern und Wohlfahrtsverbänden in der öffentlichen Diskussion für verbesserte Bedingungen für ehrenamtliches, freiwilliges Engagement, für einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst und eine umfassende Information und Beratung junger Menschen stark machen solle. „Die EKD hat sich 2006 gegen einen sozialen Pflichtdienst und für die Stärkung der Freiwilligendienste positioniert. Die Kirche bietet ein breites Spektrum an Freiwilligen- und Friedensdiensten im In- und Ausland. Diese Angebote sollte sie stärker bekannt machen und kommunizieren, wie sie zur Förderung des Friedens beitragen“, macht der AGDF-Vorsitzende Jochen Cornelius-Bundschuh deutlich.
Das Thesenpapier im Wortlaut:
Wehrdienst in unsicheren Zeiten - eine Herausforderung für die Kirche