Wehrdienst in unsicheren Zeiten - eine Herausforderung für die Kirche (2024)

AGDF und EAK: Wehrdienst in unsicheren Zeiten – eine Herausforderung für die Kirche

5 Thesen zum neuen Wehrdienst und einer allgemeinen Dienstpflicht

1. Voraussichtlich im Mai 2025 erhalten volljährig gewordene deutsche Staatsbürger*innen erstmals einen Fragebogen zum Wehrdienst zugeschickt. Er stellt sie vor die Frage, ob sie freiwillig einen sog. Basiswehrdienst leisten wollen. Auch in der Erwartung, dass diese „erweiterte Erfassung“ von jungen Menschen nicht dazu führt, dass die Bundeswehr die gewünschte Zahl an Berufssoldat*innen und Reservist*innen gewinnt, fordern Politiker*innen die (Wieder-) Einführung einer allgemeinen Wehrdienstpflicht auch in Friedenszeiten.

2. Damit stehen die jungen Leute vor elementaren Fragen: Ist ein solcher Wehrdienst mit ihrem Gewissen, ihren ethischen Vorstellungen und politischen Überzeugungen vereinbar? Sind sie bereit, einen (militärischen) Beitrag zur Verteidigung Deutschlands und der NATO zu leisten? Oder machen sie von ihrem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch?

3. Die Kirche sollte diesen jungen Menschen in ihrer Entscheidungsfindung zur Seite stehen. Sie sollte die finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, um Beratung im schulischen und außerschulischen Bereich anbieten zu können, Informationen und Materialien zu erstellen und Multiplikator*innen zu schulen. Insbesondere sollte die Kirche Räume bieten, in denen junge Leute miteinander über ihre Entscheidung sprechen und streiten können.

4. Die Debatte um Wehrdienst und Wehrpflicht stellt die Kirchen vor wichtige ethische Fragen:

a. Das Thema lässt sich nur auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Debatte um Sicherheit und Frieden, um Schutz- und Verteidigungskonzepte bearbeiten. Die Friedensdenkschrift von 2007 formuliert einen eindeutigen Vorrang für Krisenprävention und zivile Konflikttransformation. Wie kann dieser angesichts des russischen Angriffskrieges und einer steigenden Zahl an kriegerisch ausgetragenen und sich zuspitzenden Konflikten politisch umgesetzt werden? Wie können friedensfördernde Instrumente ausgebaut werden? Welche Aufgaben sollte die Bundeswehr mit welcher Ausstattung übernehmen? Wie viele aktiven Soldat*innen und wie viele Reservist*innen sind dafür notwendig?

b. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein Grund- und Menschenrecht. Der freiheitlich-demokratische Charakter eines Staates zeigt sich im Respekt vor dem Gewissen des*r Einzelnen. Die politische Unterscheidung von Freund und Feind darf nicht dazu führen, dass z.B. Verweigerer aus Russland oder der Ukraine in Deutschland keine Zuflucht finden.

c. Im Zusammenhang mit der Rede von der „Kriegstüchtigkeit“ verändert sich auch das Bild vom soldatischen Handeln; dies zeigt sich auch in den Werbeaktionen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums. Welche Bilder des militärischen Handelns werden dabei erzeugt? „Passen diese Bilder zu dem Selbstverständnis vieler Soldat*innen als Staatbürger*in, die aus staatsbürgerlicher Verantwortung ihr Land verteidigen wollen? Oder setzt „Kriegstüchtigkeit“ wieder auf solche militärische Narrative, die der Parlamentsarmee einer Demokratie nicht angemessen sind? Was folgt daraus für die Entscheidung junger Menschen zu einem Wehrdienst?

d. Welche Folgen haben Änderungen im Bild des Soldaten/ der Soldatin unter dem Aspekt der Gleichberechtigung und der verschiedenen geschlechtlichen Identitäten? Aktuell leisten 15% Frauen einen Wehrdienst, debattiert wird ein (Wehr-) Pflichtdienst für alle deutschen Staatsbürger*innen. Dies dürfte dazu führen, dass der Diskurs um die sozialen und politischen Implikationen der Gleichberechtigung ebenso wie um patriarchale Rollenbilder sowie gendergerechte Arbeitsbedingungen im Kontext der Bundeswehr an Bedeutung gewinnt.

5. Staat und Zivilgesellschaft sind auf das soziale oder ökologische Engagement ihrer Bürger*innen angewiesen. Insbesondere Politiker*innen der CDU/CSU, aber auch der Bundespräsident setzen sich für eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen ein. Die EKD hat sich 2006 gegen einen sozialen Pflichtdienst und für die Stärkung der Freiwilligendienste positioniert. Gemeinsam mit Freiwilligendienstträgern, Wohlfahrtsverbänden u.a. sollte sie sich in der öffentlichen Diskussion für verbesserte Bedingungen für ehrenamtliches, freiwilliges Engagement, für einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst und eine umfassende Information und Beratung junger Menschen stark machen. Die Kirche bietet ein breites Spektrum an Freiwilligen- und Friedensdiensten im In- und Ausland in evangelischer Trägerschaft; sie sollte diese Angebote stärker bekannt machen und kommunizieren, wie sie zur Förderung des Friedens beitragen.

Vorgelegt zur EKD-Synodentagung im November 2024