Ukraine setzt Recht auf Kriegsdienst­verweigerung aus

(05.09.2022) Wie das ukrainische Verteidigungsministerium vor wenigen Tagen der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung mitteilte, wurde aufgrund des Kriegsrechts das in der Ukraine bestehende Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt: Nach dem Gesetz stelle der alternative Dienst ein Ersatz für den befristet abzuleistenden Militärdienst dar. Weiter schreibt das Verteidigungsministerium: „Aufgrund des Kriegsrechts wird seit dem 24.02.2022 der befristete Militärdienst in der Ukraine nicht mehr durchgeführt. Daher ist die Umsetzung des alternativen Dienstes nicht anwendbar.“ (Originaldokument mit Übersetzung)

„Die Aussetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine stellt einen groben Verstoß gegen internationales Menschenrecht dar“, so heute Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungs-Netzwerk Connection e.V. „Der UN-Menschenrechtsausschuss hatte in der Vergangenheit klar gestellt, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit eingeschränkt werden darf. Daran hat sich die Ukraine zu halten."

In der Ukraine konnte das bis zum Kriegsbeginn bestehende Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur von Personen wahrgenommen werden, die einer von zehn kleinen religiösen Gemeinschaften angehören, wie z.B. Zeugen Jehovahs oder Adventisten. Mit der Aussetzung wurde ihnen nun jede Möglichkeit dafür genommen.

So gab es seit der Suspendierung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung bereits Verurteilungen von Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine. So wurden im Mai und Juni 2022 zumindest zwei Verweigerer zu mehrjährigen Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Dies wurde bekannt durch die Veröffentlichung der Urteile im staatlichen Register über Gerichtsurteile in der Ukraine. Beide Verweigerer hatten vor dem Militärkommissariat ihre Kriegsdienstverweigerung erklärt. In einem Fall erfolgte eine Verurteilung zu drei Jahren Haft auf ein Jahr Bewährung, im anderen Falle zu vier Jahren Haft auf drei Jahre Bewährung. Da beide erneut einberufen werden können und sie aufgrund ihrer Überzeugung weiterhin keinen Militärdienst ableisten wollen, droht ihnen somit die Verbüßung der bereits ausgesprochenen langen Haftstrafe und eine erneute Verurteilung.

Einer aktuellen Auswertung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung zufolge verzeichnet das staatliche Register der Gerichtsentscheidungen auch eine Reihe weiterer Fälle von Verurteilungen nach Artikel 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches wegen Militärdienstentziehung und ähnlicher Delikte. Die meisten Urteile lauten auf 3 Jahre Haft auf ein Jahr Bewährung. Von Januar bis Juli 2022 wurden fast 5.000 Verfahren wegen Artikel 336 und ähnlicher Straftaten eröffnet, 2.500 mehr als drei Monate zuvor.

Connection e.V. forderte heute die ukrainische Regierung dazu auf, ein für alle zugängliches Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung zu garantieren und die bisher ergangenen Verurteilungen zurückzunehmen sowie eröffnete Strafverfahren einzustellen.

Connection e.V.: Pressemitteilung vom 5. September 2022