Krieg ist immer ein Verbrechen

Krieg bedeutet, prägnant und ohne Abstriche, das Scheitern von Politik. Das Drohen mit Krieg ist keine verantwortbare Politik.“ Diese Sätze aus der ekd-Friedensdenkschrift Frieden wahren, fördern und erneuern von 1981 benennen eine klare Zielangabe für die ethische Reflexion und das politische Handeln. Das Ziel christlicher Ethik im Denken und Tun ist niemals der Krieg, sondern immer der Frieden.

Diese friedensethische Position ist von den Kirchen in der Bewertung des dritten Golfkrieges durchgehalten worden. „Ziel aller Politik – auch im Irak – muss der Friede sein, nicht aber die Suche nach einem gerechten Krieg“, betonte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Januar 2003. Zur gleichen Zeit erklärte die Katholische Deutsche Bischofskonferenz: „Ein präventiver Krieg ist eine Aggression, und er kann nicht als gerechter Krieg zur Selbstverteidigung definiert werden.“ Die Bischöfe fordern statt eines Präventivkrieges eine Politik der Kriegsprävention. Im März 2003 angesichts des nun geführten dritten Golfkrieges urteilen die Vorsitzenden des Rates der ekd, Präses Manfred Kock, der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Bischof Walter Klaiber, in einer gemeinsamen Erklärung: „Dieser Krieg ist Ausdruck des Scheiterns der Politik.“

Wenn die Kirchen heute den Krieg als ein Mittel der Politik verurteilen, folgen sie dem Paradigmenwechsel in der Beurteilung des Krieges in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Nach dem Erschrecken über die totale Kriegsführung in zwei Weltkriegen hatten die Kirchen sich für die Ächtung und Überwindung des Krieges als einem Mittel der Politik ausgesprochen. Krieg solle nach Gottes Willen nicht sein, war der Absatz in der Erklärung der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Amsterdam aus dem Jahre 1948 überschrieben, in dem sich die Kirchen mit der bis dahin gültigen Lehre des gerechten Krieges befassten. Sie verabschiedeten sich von der Lehre vom Gerechten Krieg. Sie erkannten aber auch, dass nun Lagen eintreten könnten, in denen das Recht keine Macht mehr hat. „Es mag sein, dass man auf das Mittel der Gewalt nicht verzichten kann, wenn das Recht zur Geltung gebracht werden soll.“

Ächtung des Krieges

Die Ächtung und Überwindung des Krieges war aber nicht nur ein Anliegen der Kirchen. Auch die Staatengemeinschaft bezeichnete in der UN-Charta den Krieg als die Geißel der Menschheit, die es zu überwinden gelte. Dass der Angriffskrieg verboten ist (GG Art. 26), ist in Deutschland geltendes Recht. Die Kirchen setzten in ihrer Ethik an die Stelle der Lehre vom Gerechten Krieg die Konzeption vom Gerechten Frieden. Sie unterscheidet sich nicht in der Zielsetzung von der Lehre des Gerechten Krieges. Auch diese sollte den Krieg nicht legitimieren, sondern verhindern. Das Ziel war und ist der Frieden. Das Neue an der Ethik vom Gerechten Frieden ist der eindeutige Vorrang der gewaltfreien Optionen für die Lösung von Konflikten (prima ratio). Die Kirchen übernehmen mit der Konzeption vom Gerechten Frieden die Selbstverpflichtung, Friedensdienste und Friedensfachkräfte („Schalom-Diakonat“) für die Konzepte gewaltfreier Konfliktlösungen – zunächst stellvertretend und subsidiär – für andere, vor allem für den Staat, zu qualifizieren und zu erproben.

Entscheidend für die Ethik vom Gerechten Frieden ist der Faktor „Gerechtigkeit“ als Kriterium zur Beurteilung von Konflikten. Dabei ist Gerechtigkeit konkret zu verstehen als soziale Gerechtigkeit. In ihrem Hirtenwort Gerechter Friede aus dem Jahr 2000 haben die deutschen Bischöfe diesen Faktor präzise beschrieben: „Die fortdauernde Ungerechtigkeit ist ein ständiger Gefahrenherd für den Frieden … Die Menschen in den Industrieländern, die 20 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, beanspruchen gegenwärtig etwa 80 Prozent des globalen Ressourcenverbrauchs. Die Ausdehnung unseres Lebens- und Wirtschaftsstils auf die übrigen 80 Prozent der Weltbevölkerung würde die Tragekapazität der Erde bei weitem überfordern. Von einem Teil der Welt wird gegenwärtig ein Wohlstandsmodell beansprucht, das nicht für die ganze Welt geeignet ist.“

Ebenfalls ist festzuhalten: Die Ethik vom Gerechten Frieden vertritt keinen prinzipiellen Pazifismus. In Ausnahmesituationen lässt sie eine begrenzte Anwendung bewaffneter Gewalt zu. Über diese Ausnahmebedingungen wird heute mittels der Kategorie der ultima ratio gestritten.

Es gibt keine eigenständige Lehre der ultima ratio zur Entscheidung über die Anwendung bewaffneter Gewalt. Die Kategorie der ultima ratio stammt aus der Lehre vom Gerechten Krieg und ist dort ein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung des Rechts zum Kriege (ius ad bellum). Dies gilt sowohl für die Deutung der ultima ratio als temporales („das letzte Mittel“) oder als konditionales („das äußerste Mittel“) Kriterium: Der Krieg ist das letzte, äußerste Mittel der Selbstbehauptung, nachdem alle anderen Wege zur politischen Konfliktlösung gescheitert sind. In Verbindung mit den Rechtskategorien der Notwehr und der Nothilfe hat dieses Kriterium auch in der Konzeption des Gerechten Friedens seinen Platz.

Wie das Kriterium der ultima ratio müssen auch die anderen Kriterien der Lehre vom Gerechten Krieg aus ihrem bisherigen Kontext herausgelöst und in die Konzeption des Gerechten Friedens integriert werden. – Diese sind: auctoritas legitima (nur eine legitime staatliche Obrigkeit hat das Recht zum Krieg. Privatleuten ist das Kriegführen verboten), recta intentio (das Ziel des Krieges muss der Friede und die Bewahrung des Rechts sein), iusta et gravis causa (dem Krieg muss eine gerechte und schwerwiegende Ursache zugrunde liegen, zum Beispiel die Abwehr und Verhinderung von Bösem oder die Ausübung strafender Gerechtigkeit), debitus modus (die Kriegführung geschieht nach verbindlichen Regeln des Kriegsvölkerrechts). Als Prüfkriterien für die Legitimation zur Anwendung bewaffneter Gewalt sind sie nicht mehr ein Teil des Kriegsrechts (ius ad bellum) und des Kriegsvölkerrechts (ius in bello). – Denn es gilt: „Der Krieg muss in einer andauernden und fortschreitenden Anstrengung abgeschafft werden“, (Heidelberger Thesen 1959, These 3).

Tatsächlich ist der Krieg nicht abgeschafft worden. Vielmehr haben sich die Kriegsszenarien verändert. Genauer: Die kriegführenden Menschen haben die Gestalt des Krieges ihren Bedürfnissen angepasst. Die Waffenentwicklung hat die Kriegführung zwischen souveränen Staaten und Systemen obsolet werden lassen; es sei denn, sie wollten sich gegenseitig vernichten. Anstelle des trinitarischen Krieges (Carl von Clausewitz: Staat, Volk, Armee) der Neuzeit (seit 1648) wird der Krieg als „low intensity war“ (Martin van Creveld) geführt.

Doch auch der low intensity war ist kein neuer Krieg. Er wird von warlords geführt („privatisierte Gewalt“). Sein Spektrum reicht vom bewaffneten Aufstand bis zum Terroranschlag. Er ist der Krieg, der in der Geschichte der Menschen zumeist geführt wurde. Die Lehre vom Gerechten Krieg war schon ein – allerdings missglückter – Versuch, ihn zu bändigen.

Renaissance des Krieges

Wenn die Kirchen am Gebot der Ächtung und Überwindung des Krieges als einem Mittel der Politik festhalten wollen, sprechen sie in eine veränderte philosophische und kulturelle Lage hinein. Seit dem Ende des Kalten Krieges erfolgt eine denkerische Renaissance des Krieges: Krieg als Lehrmeister (Karl Otto Hondrich 1992), Krieg als Kultur (John Keegan 1995), Krieg als Leben, Leidenschaft und Sport (Martin van Creveld 1998), Krieg als Lebensform und Erwerbstätigkeit (Herfried Münkler 2002). Der Krieg war niemals nur ein Mittel zu einem Zweck.

Ganz offenkundig wird diese Renaissance des Krieges in der Neuauflage des Buches über die Strategie und die Logik von Krieg und Frieden des amerikanischen Politikberaters Edward Luttwak. Für ihn ist Krieg eine universelle Lebenswirklichkeit, Frieden aber nur die Vorbereitung auf den nächsten Krieg. Kriege sollten auch nicht unterbrochen oder in ihren Kriegsfolgen gelindert werden. Sie müssten ihre Energien ausbrennen, sonst zögen sie sich in die Länge, weil die Kriegsparteien sich regenerierten. Für Luttwak ist Krieg Leben und das Leben ohnehin auch Krieg.

Alle Kriegsformen, große zwischen Allianzen und Staaten und ebenso kleine asymmetrische Guerilla- und Terrorkriege, sollten nach dem Maßstab christlicher Ethik als Verbrechen gewertet werden, ganz gleich, von wem sie begonnen und ausgeführt werden, gleich auch, welchen Interessen sie folgen. Die christliche Ethik muss festhalten: Krieg ist ein Verbrechen und kein Mittel der Politik. Es gilt, jetzt den Krieg zu überwinden.

Wer den Krieg überwinden will, muss ihn moralisch ächten, politisch für obsolet erklären und juristisch verbieten. Er kann nur überwunden werden, wenn der politische Wille vorhanden ist, es auch zu tun. So wie im Jahr 1862 der amerikanische Präsident Abraham Lincoln den politischen Wille durchsetzte, die Sklaverei abzuschaffen, so ist heute politischer Wille notwendig.

Das bereits 1948 in Amsterdam aufgezeigte Problem, wie das Recht zur Geltung gebracht und ihm Macht gegeben werden kann, wenn auf die Kriegsgewalt verzichtet wird, zeigt die vorrangige Aufgabe an, die es als Folge der Überwindung des Krieges zu lösen gilt. Was ist zu tun gegen Verbrechen, zu deren Bekämpfung die Staatengemeinschaft gerufen ist, weil die nationalen Polizeikräfte zu schwach sind? Wie können der Frieden und das Recht eine Macht erhalten, um sich gegen Machtwillkür, Terror, Vertreibung, Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschheit und Menschlichkeit zu behaupten, wenn der Einsatz von Militär als Kriegseinsatz ausgeschlossen werden soll, weil Krieg nicht mit Krieg, also Verbrechen nicht mit Verbrechen, bezwungen werden kann?

Die Ethik des Gerechten Friedens verlangt die Entwicklung vom Kriegsrecht und Kriegsvölkerrecht zu einem internationalen Polizeirecht und die daraus folgende Umwandlung von Streitkräften in entsprechende internationale Polizeikräfte. Das Ziel ist, Verbrecher an der Ausführung ihrer Verbrechen zu hindern, sie festzunehmen und der Justiz zu überstellen. Der Einsatz dieser internationalen Polizeigewalt erfolgt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Güterabwägung und der rechtsstaatlichen Überprüfbarkeit. Dieses Programm ist nicht erfüllt durch eine semantische Umbenennung von Militär in Polizei und in der Umgliederung von Kompanien in Hundertschaften. Auch Polizeitruppen haben – wie gerade auch die deutsche Kriegsgeschichte beweist – schlimmste Verbrechen begangen. Entscheidend ist, dass diese bewaffnete Macht zum Schutz von Frieden und Recht deeskalierenden Charakter. Sie ist als eine Deeskalationsstreitkraft (Wilfried von Bredow) aufzubauen und auszurüsten.

Den Soldaten nicht vorrangig als Krieger und Kämpfer, sondern als Beschützer, als miles protector, forderte bereits vor einem Jahrzehnt der Schweizer Divisionär (Generalmajor) und Militärpublizist Gustav Däniker auf der Grundlage einer kritischen Analyse des Golfkrieges im Jahr 1991. Sein Ergebnis: In diesem Krieg, so Däniker, wurde vorgeführt, wie man Krieg nicht mehr führen darf, wenn der politische Zweck und die militärischen Mittel aufeinander abgestimmt sein und sich wechselseitig stärken sollen. Es sei nicht mehr einzusehen, warum noch Tausende ihr Leben lassen müssten, obwohl es im Grunde nur darum gehe, einen einzigen paranoiden Verbrecher und seinen Anhang am Missbrauch der Macht zu hindern.

Das von Däniker aufgezeigte neue Selbstverständnis des Soldaten als miles protector weist der Entwicklung zu einem internationalem Polizeirecht im humanitären Völkerrecht und dem Umbau von Kriegs- in Deeskalationsstreitkräfte die Richtung. Geführt werden sollten diese Streitkräfte, da eine Weltregierung, die eine Weltinnenpolitik verantwortet, wegen der Schwäche der Vereinten Nationen nicht die Agenda bestimmt, zunächst von regionalen Bündnissen zur Konfliktbewältigung im jeweils eigenen Zuständigkeitsbereich. Die Konzeption des Gerechten Friedens verlangt außerordentliche Anstrengungen. Doch die Aufgabe, eine bewaffneten Macht zum Schutz von Frieden und Recht zu schaffen, besitzt keinen absoluten Vorrang. Vorrangig ist die gewaltfreie Prävention zur Überwindung von Ungerechtigkeit und damit zur Vermeidung von Anlässen zur Gewalt.