Hautnahes Erleben einer Abschottung mit System

„Es ist eine Abschottung mit System!“ Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Multiplikatoren- und Begegnungsreise nach Athen und Lesbos, zu der die katholische Friedensbewegung pax christi und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) eingeladen hatte, war es eine bedrückende Erfahrung, die sie beim europäischen Grenzregime in Griechenland machten.

Derzeit leben nur noch rund 1600 Geflüchtete auf Lesbos. „Es gibt deutlich weniger Ankünfte wegen der Überwachung und der Pushbacks. Flüchtlinge werden durch die Unterbringung in einem Camp im Alltagsleben der Insel unsichtbar gemacht“, kritisierte EAK-Vorstandsmitglied Sabine Müller-Langsdorf. Die Pfarrerin ist Referentin für Friedensarbeit im Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Es gebe reglementierte Ausgangszeiten, eine Abschottung des Camps mit Mauern, Zäunen, einer Überwachsungstechnik. „Dieses Vorgehen kostet Millionen EU-Gelder, es nimmt Menschen die Freiheit und die Würde und es kriminalisiert Menschen auf der Flucht“, macht Tim Thiessen von pax christi deutlich. Er gehört der Kommission Migration bei pax christi an.

Es waren diese Erfahrungen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Reise auf der Insel Lesbos und in Griechenland machten. So sei die militärische Grenzsicherung des Landes und damit auch der EU-Außengrenze zu Wasser, Luft und Land deutlich sichtbar geworden, so beispielsweise durch Boote der griechischen Küstenwache und von Frontex im Hafen von Mytilini, aber auch durch ein deutsches Marine-Versorgungsschiff oder der NATO auf See sowie der türkischen Küstenwache in den türkischen Gewässern.

„Systematische Pushbacks durch die griechische Küstenwache sind von Betroffenen wie auch von Nichtregierungsorganisationen belegt“, erläutert Sabine Müller-Langsdorf. Griechenland leugne dieses Vorgehen, doch das EAK-Vorstandsmitglied macht klar: „Anzuklagen ist nicht nur ein Land, sondern die dahinterstehende europäische Migrationspolitik, die militärischer Sicherheit den Vorrang vor menschlicher Sicherheit einräumt, das Asylrecht konstant untergräbt und externalisiert. Durch Abschreckung mit Pushbacks entstehen gefährlichere und längere Fluchtwege, was mehr Tote im Mittelmeer zur Folge hat.“

Dabei würde die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durch formale gesetzliche Restriktionen wie Registrierung und Zertifizierung erschwert, stellten die Teilnehmenden der Reise vor Ort fest. „Solidarität mit Menschen auf der Flucht wird diskreditiert durch Unterstellungen von Schmuggeln von Menschen oder Unterstellung von Bereicherung durch Spenden. Zunehmender Rassismus und rassistisch-nationalistische Übergriffe gegenüber Initiativen und Geflüchteten kommt hinzu, außerdem eine Einschränkung der Pressefreiheit seit der neuen Regierung in Griechenland“, kritisiert Tim Thiessen.

Gerechtigkeit und Frieden würden zusammengehören, machten die Teilnehmenden klar. Darum brauche es international vor dem Europäischen Gerichtshof Klagen gegen Pushbacks, in Griechenland eine politische Wahrung der Pressefreiheit, die Forderung nach fairen Gerichtsverfahren sowie die Anklage von rassistischen Übergriffen. Und: „Solidarität mit Geflüchteten ist gelebte Nächstenliebe. Wo sie eingeschränkt und schlecht gemacht wird, haben Kirchen ihre Stimme zu erheben“, unterstreichen Tim Thiessen und Sabine Müller-Langsdorf.

Eine Woche lang dauerte die Multiplikatoren- und Begegnungsreise nach Athen und Lesbos, an der Vertreterinnen und Vertreter von EAK und pax christi sowie Mitarbeitende kirchlicher Hilfswerke und Studierende aus den Fächern Migrationswissenschaften, Soziale Arbeit, Jura und der Friedens- und Konfliktforschung teilnahmen. Auf dem Programm standen Begegnungen mit Fachwissenschaftlern zu Fragen der europäischen Grenzsicherung, ein Kennenglernen der griechisch-orthodoxen Flüchtlingshilfe Synparxis in Athen sowie Treffen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und NGOs in Athen und auf Lesbos.