Friedensoase im Getümmel des Kirchentages

Als Kirchentagspräsident Andreas Barner im Frühjahr das Programm des Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Stuttgart vorstellte, betonte er: Dieser Kirchentag ist ein Friedenskirchentag und begründete, „wir steuern zu auf einen Kirchentag in Zeiten, die so brutal, so kriegerisch sind, wie schon lange nicht mehr.”

Jahr zuvor allerdings war ein Zentrum Frieden bei der Planung des Kirchentages abgelehnt worden. Die Aktionsgemeinschaft Dienst für Frieden (AGDF), Dachverband von über 30 Friedensgruppen, denen eine Zusammenarbeit mit Kirchen und kirchlichen Einrichtungen wichtig ist, ergriff daher die Initiative für ein eigenständiges Friedenszentrum zum Stuttgarter Kirchentag.
Unterstützung, auch finanzielle, kam von der badischen und württembergischen Landeskirche und der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) und die Friedenskirchengemeinde in Stuttgart öffnete ihre Gemeinderäume für die Idee des Friedenszentrums. Mit der AGDF beteiligte sich 8 weitere Organisationen an der Vorbereitung. Wichtig war auch Unterstützung von Ohne Rüstung Leben und des Friedenspfarramtes der Evangelischen Landeskirche in Württemberg als engagierte Friedensorganisationen vor Ort. Jan Stehn konnte als Projektmanager gewonnen werden für Koordination und Öffentlichkeitsarbeit.

So kam es zu einer in diesem Umfang fast einzigartigen Zusammenarbeit von annähernd 40 Friedensgruppen, die über 60 Veranstaltungen und Ausstellungen für Anfang Juni in Stuttgart auf die Beine brachten. Die Räumlichkeiten lagen etwas abseits der Ströme der Kirchentagsbesucher*innen und leider lehnte die Kirchentagsleitung konsequent ab, auf das Zentrum Frieden aufmerksam zu machen - nicht mal ein Link war auf der DEKT-Webseite zu finden. Um so schöner, dass ca. 1 500 Menschen den Weg zu den vielfältigen und inhaltlich anspruchsvollen Angeboten des Zentrum Friedens fanden.

Das Themenspektrum umfasste Friedensbeiträge von Religionen (mit Dr. Markus Weingardt), Drohneneinsätze, die seitens der USA von Stuttgart aus gesteuert werden, Waffenhandel, Atomwaffen und der Russland - Ukraine - Nato Konflikt. Ein Highlight war die Veranstaltung zur Frage nach Möglichkeiten der Kriegssteuerverweigerung. Gut besucht waren die Veranstaltungen zur interreligiösen Zusammenarbeit, die sich in einem gemeinsamen Friedensgebet von 8 Weltreligionen ausdrückte. Der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza von der Stiftung Weltethos referierte über islamische Friedensphilosophie. Mit morgendlichen Bibelarbeiten und abendlichen Gottesdienst wurden spirituelle - theologische Akzente gesetzt.

Zulauf hatten auch die Veranstaltungen, in denen Teilnehmer*innen Praktisches lernen konnten: Gewaltfreie Kommunikation, Zivilcourage-Training, eigene Kraftquellen finden, jesuanische Streitkunst für Gerechtigkeit ...

Was fehlte

Allerdings ist auch festzuhalten, dass einige wichtige Themen zu kurz kamen: Es gab keine Veranstaltung zu den Krisen und Kriegen in den arabischen und afrikanischen Ländern, und nur eine Veranstaltung zur Situation von Flüchtlingen und die einzige Veranstaltung, die das Thema 'Frauen für Frieden' am Beispiel Liberia aufgriff, fiel wegen fehlender Teilnehmer*innen aus. Ein Fingerzeig für Nachholbedarf in der Friedensbewegung.

Den Besucher*innen beim Zentrum Frieden gefiel vor allem die angenehme Atmosphäre, schattige Plätze im vorsommerlich heißen Stuttgart zum Plauschen und Kaffee trinken. Intensive, anspruchsvolle und persönliche Diskussionen bei den Veranstaltungen. Improvisation statt Perfektionismus. Das Zentrum Frieden hob sich mit dem Charme des 'small is beautiful' vom Getümmel der Großveranstaltungen des Kirchentages ab. Das klingt selbstgenügsam, aber am Samstag zum Abschluss des Kirchentages stellten sich 1 500 Menschen vom Zentrum Frieden ausgehend zu einer Menschenkette quer durch die Stuttgarter Innenstadt, um unter dem Motto 'Krieg beginnt in Stuttgart - AFRICOM und EUCOM schließen!' gegen menschenrechtswidrige Drohnentodeseinsätze zu protestieren. Übrigens auch dabei der Friedensbeauftragte der EKD Renke Brahms. Und am Abend versammelten sich eben so viele Menschen zu der pazifistisch ausgerichteten Konzert-Lesung von Margot Käßmann und Konstantin Wecker. Zugegeben, um Kirche auf einen konsequent pazifistischen Kurs zu bringen (ein Weg, den z. B. die badische Landeskirche seit zwei Jahren beschreitet), eine Kirche, die sich nicht mehr die Hintertür von Militäreinsätzen als 'ultima ratio' offenhält, braucht es von den 100 000 Kirchentagsbesucher*
innen mehr Friedensengagement.

Die badische Oberkirchenrätin Karen Hinrichs nannte es einen „Skandal”, dass es beim offiziellen Programm des Kirchentages unter den Themenzentren kein Zentrum Frieden gab. Eine Kritik, die von vielen Seiten an den DEKT heran getragen wurde - und die hoffentlich in den Planungen für den Kirchentag 2017 in Berlin und Wittenberg ihren Niederschlag finden wird. Im Herbst werden der EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms, die EAK, die AGDF und das DEKT-Präsidium zum Gespräch zusammen kommen ...