Friedenslogik statt Sicherheitslogik

Drei Vorträge friedenswissenschaftlich ausgewiesener WissenschaftlerInnen bildeten den Auftakt zur Tagung »Friedenslogik statt Sicherheitslogik« Anfang März in der Ev. Akademie Loccum. Die Zeitschrift Wissenschaft&Frieden dokumentiert den Beitrag von Hanne-Margret Birckenbach, die das Gedankenspiel wagt, die Handlungskonsequenzen einer friedenslogischen Ausrichtung konkret an einem Beispiel durchzudeklinieren. Am Fall Syrien erläutert die Referentin sechs Prinzipien, an denen sich Handeln im Sinne der zivilen Bearbeitung von Konflikten orientieren kann. Sie verweist dabei auch auf Voraussetzungen und Bedingungen, die dafür nicht nur staatlicherseits, sondern auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren zu entwickeln sind.

Muss man und kann man Friedenslogik von Sicherheitslogik abgrenzen?

Ungeachtet der Einwände, die Lothar Brock aus weltgesellschaftlicher Perspektive vorgetragen hat,[1] möchte ich eine Abgrenzung aus sachlichen und methodischen Gründen versuchen. Ich verstehe Friedenslogik als eine Methode wissenschaftlichen und politischen Denkens und möchte erstens zeigen, dass sich ein friedenslogisches Vorgehen von einem sicherheitslogischen Vorgehen tatsächlich unterscheidet und dass man zu unterschiedlichen praktischpolitischen Schlussfolgerungen gelangt, wenn man Friedenslogik konkret anwendet.

Der zweite Grund ist hermeneutisch. Wir leben in einer politischen Kultur, in der Menschen beiderlei Geschlechts in Politik, Wissenschaft und Bürgerschaft über Jahrhunderte geübt haben, sicherheitslogisch zu denken.[2] Friedenslogisches Denken und Handeln sind wir dagegen kaum geübt. Folglich fällt es uns sehr schwer, aus den Verengungen sicherheitslogischer Denkweise auszubrechen und methodisch anders vorzugehen. Sicherheitslogisch orientierte Politik wird alle Versuche, Friedenspolitik zu betreiben, immer dominieren, sofern wir im friedenslogischen Denken nicht besser werden. Um formulieren zu lernen, worum es friedenspolitisch jeweils geht, müssen wir die Trennung zunächst aufrechterhalten und können erst danach überlegen, in welchem Verhältnis beide Methoden zu einander stehen – ausschließend wie Hund und Katz, dominierend wie Katz und Maus, einander ergänzend wie Tisch und Stuhl oder ablösend wie ein Jahrhundert das andere.

Was bedeutet Friedenslogik im Kontext von ziviler Konfliktbearbeitung? Was führt zur Konflikttransformation?

Ungeachtet der Überlegung, dass Friedenslogik auch in anderen Politikbereichen wie Abrüstung oder Wirtschaftspolitik fruchtbar sein kann, geht es hier ausschließlich um die Logik ziviler Konfliktbearbeitung. Ich werde daher zunächst darauf eingehen, was ich unter friedenlogischer in Abgrenzung zu sicherheitslogischer Politik in diesem Feld verstehe.

In einem zweiten Schritt zeige ich exemplarisch anhand der Entwicklungen in Syrien, was diese Differenz in einem konkreten Fall bedeutet. Alle, die etwas von Syrien verstehen, mögen mir die Grobheit verzeihen, den Fall nur mit den Kenntnissen einer informierten Zeitungsleserin zu behandeln. Es geht in meinem Vortrag nicht um Syrien, sondern um eine Methode, die es erlaubt, eine genauere Vorstellung von friedenslogischer Politik zu gewinnen.

Was die Akteure betrifft, gilt für zivile Konfliktbearbeitung, dass die Beteiligten zahlreich und so unterschiedlich sind wie ihre Adressaten und Aktionsformen. Obwohl es wichtig ist, zu bestimmen, wer was mit wem wann unter welchen Bedingungen tun sollte, werde ich diese Fragen hier vernachlässigen. Manche Akteure friedenslogischer Politik stehen schon in den Startlöchern, andere müssen noch gewonnen werden. In jedem Fall ist zivile Konfliktbearbeitung auf ein Akteursgeflecht angewiesen.

Friedenslogik im Kontext ziviler Konfliktbearbeitung Sicherheitslogische und friedenslogische Politik haben etwas gemeinsam: Sie folgen nicht einer Kriegslogik, sie wollen Krieg und andere Formen physischer Gewalt vermeiden. Sie unterscheiden sich aber durch die Wahrnehmung dessen, was in der Welt geschieht, und die daraus gezogenen praktischen Schlussfolgerungen. Eine sicherheitslogische Politik nimmt ein Geschehen als Bedrohung wahr, will diese abwehren und davor schützen – zunächst die Eigenen, vielleicht auch darüber hinaus (ein Bündnis, andere Staaten, Gesellschaften, Menschen in Not). Sie will keine Militäreinsätze, schließt aber die Beteiligung daran – in Anhängigkeit von einer anders nicht mehr kontrollierbaren Entwicklung – aus Verzweiflung oder aus anderen hochrangigen Zielen (wie Bündnistreue) nicht aus. Sie bereitet sich daher darauf vor. Ob ihr Handeln militärlogisch entgleitet, hängt immer an einem seidenen Faden. Wenn dies geschieht, dann wird die kriegerische Intervention als notwendig gerechtfertigt.

Eine friedenslogische Politik nimmt das gleiche Geschehen als Konflikt wahr. Sie fragt nach Genese, Ursachen, Potentialen zur Eskalation und Deeskalation, ermittelt die Bedürfnisse, Interessen und Mittel der unmittelbar oder mittelbar Beteiligten, erkennt die eigenen Interessen, Rollen und Grenzen. Ihr Ziel ist es, die Beziehungen zwischen den direkt und indirekt Beteiligten so zu verändern, dass ein gewaltfreier Konfliktaustrag zwischen ihnen möglich wird und sie eine einigermaßen befriedigende Zwischenlösung oder Lösung finden. Im günstigen Fall bewirkt der dialogische Prozess einen Lerneffekt für alle Beteiligten und strahlt als gute Praxis auf andere aus. Eine friedenslogische Politik kann nicht ausschließen, dass es zu Gewalthandlungen und Militäreinsätzen kommt, aber wenn es dazu kommt, begreift sie dies als ihr Versagen und widersteht der Versuchung, dieses Scheitern als notwendig zu rechtfertigen. Die Beteiligten schämen sich und fragen, was sie besser machen müssen. Sicherheitslogische Politik gilt also dem Schutz vor einer Bedrohung, meist dem Schutz vor direkter Gewalt, gelegentlich auch dem Schutz eigener Interessen und dem Schutz von Menschen, die nicht der eigenen Gruppe angehören. Diese Ziele sind legitim, teils auch geboten. Sie haben aber mit dem Ziel einer Konflikttransformation wenig zu tun. Sicherheitslogische Politik ist eine Form des Konfliktaustrags, aber nicht der zivilen Konfliktbearbeitung. Konflikttransformation findet nur statt, wenn es gelingt, die Beziehungen zwischen den Beteiligten so zu verändern, dass sie gewaltfrei zufriedenstellende Regelungen treffen können. Diese Gegenüberstellung von sicherheitslogischer und friedenslogischer Politik klingt abstrakt. Ich will daher am Fallbeispiel Syrien versuchen, nachvollziehbar zu machen, was Friedenslogik als Methode in der Praxis bedeuten könnte. Bevor ich beschreibe, wie Friedenslogik sich auswirken kann, zeige ich, wie im konkreten Fall Sicherheitslogik eine zivile Konfliktbearbeitung behindert hat.

Wie hat sich der syrische Fall entwickelt?

Die innenpolitischen Verhältnisse in Syrien wurden nicht als Konflikt, sondern als Bedrohung wahrgenommen. Als PRO ASYL 2009 das Bundesinnenministerium aufforderte, einen sofortigen Abschiebungsstopp nach Syrien zu verhängen und das erst kurz zuvor geschlossene deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen zu kündigen, stritt man über die Berechtigung der Forderungen. Asylfälle wurden vor Gericht ausgetragen, wir beobachteten einen Konflikt zwischen Asylsuchenden, den deutschen Behörden und Gerichten, aber niemand sprach von einem Konflikt in Syrien. Als der Verfassungsschutz 2010 Bürger syrischer Abstammung vor den Aktivitäten syrischer Geheimdienste in Deutschland warnte, war keine Rede von einem Konflikt in Syrien.

Im April 2011 begann das Auswärtige Amt, die eigenen Bürger in Syrien zu schützen. Es empfahl den deutschen Staatsbürgern dringend, das Land zu verlassen und zwar „wegen anhaltender Unruhen und der brutalen Vorgehensweise gegen die eigene Bevölkerung“. Deutschen Bürgern, die sich dennoch in Syrien aufhalten mussten, wurde empfohlen, „Menschenansammlungen und Demonstrationen zu meiden, diese keinesfalls zu fotografieren, sowie besondere Vorsicht walten zu lassen“ – anders ausgedrückt, sich von der Bedrohung durch ein repressives Regime fernzuhalten. Als die Regierung Assad immer brutaler zuschlug und es mutigen JournalistInnen gelang, die Gewalt in Syrien – nicht den innersyrischen Konflikt – weltweit öffentlich zu machen, gerieten die westlichen Akteure unter moralischen Druck, etwas gegen die Gewalt – nicht etwas zur Konflikttransformation – zu tun.

Damit gerieten sie in das Dilemma, etwas gegen die Gewalt tun zu wollen und zu sollen, ohne eigene Interessen zu verletzen und ohne eine Vorstellung darüber zu haben, was denn sinnvoll zu tun sei. Diesem inneren Konflikt gilt von nun an die politische Aufmerksamkeit. Die Medien berichten nun täglich über die vom Regime Assad ausgeübte direkte Gewalt in Syrien, man sieht sie auch täglich im Fernsehen und kann sich der syrischen Frage nicht mehr entziehen. Aber der Konflikt in Syrien, der der Gewalt zugrunde liegt, seine Genese und die Zusammenhänge der Gewalt sind noch immer kein Thema.

In Übereinstimmung mit der Öffentlichkeit ergriff die Politik nun Maßnahmen, die sich gegen Assad und die von ihm ausgehende Gewalt, also gegen die Bedrohlichkeit des Regimes richten. Man verurteilte Assad, man übernahm die Forderungen der Opposition, er müsse zurücktreten, man verhängte und verschärfte Sanktionen – ohne eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie es denn weitergehen kann, wenn Assad sich dem Druck beugen oder wenn er sich dem nicht beugen wird.

Das Regime beugte sich nicht. Da die gegen Assad ergriffenen Maßnahmen nichts oder nur zu wenig bewegten und er dann auch noch gegen eigene Zugeständnisse verstieß, sah man sich genötigt, die Dosis an Verurteilung mit einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu erhöhen. Diese scheiterte am Veto Russlands und Chinas. Damit war der Westen zunächst im eigenen inneren Konflikt moralisch entlastet. Denn man hatte Schuldige: China, Russland und auch die Vereinten Nationen, deren Unfähigkeit man erneut unter Beweis gestellt hatte.

Das Muster wiederholte sich im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, in dem der Westen auf die Zustimmung Russlands und Chinas nicht angewiesen ist. Der Menschenrechtsrat verurteilte also die „anhaltende, umfassende und systematische Verletzungen der Menschen- und Freiheitsrechte durch die syrischen Behörden“ und forderte die syrische Regierung auf, Hilfskräften einen ungehinderten Zugang zu gewähren. Die von Russland geforderte Verurteilung der Gewalt auf Seiten der Rebellen unterblieb erneut. So stimmten Russland, China und Kuba gegen die Entschließung, und man konnte mit dem Finger auf ihre Unwilligkeit zum Menschenrechtsschutz zeigen.

Anders als denjenigen Oppositionsgruppen, die weiterhin gewaltfrei agieren, ist es der oppositionellen »Freien Syrischen Armee« nach und nach gelungen, durch ihren militärischen Kampf sympathisierende Aufmerksamkeit und auch materielle Unterstützung zu erringen, darunter auch Waffen aus Saudi-Arabien, Katar und über befreundete Gruppen aus der Türkei.

Das Modell Libyen liegt als Drohung über der politischen Debatte. Die westlichen Staaten wollen keine Wiederholung, aber wie lange sie ihre Zurückhaltung durchhalten, wissen wir nicht. Einstweilen wurde es dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Kofi Annan, überlassen, einen Ausweg aus dem Bürgerkrieg zu finden. Er hatte dafür von Anfang an die politische Unterstützung Russlands und Chinas, die einen Waffenstillstand sowie Gespräche zwischen Regierung und Opposition unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga vorgeschlagen haben, aber einen von außen erzwungenen Regierungswechsel und Sanktionen weiterhin ablehnen.

Einstweilen kämpfen die Parteien weiter. Human Rights Watch berichtet nun nicht nur über die Gewalt Assads, sondern auch über Folter, Mord und die Rekrutierung von Kindersoldaten im Namen der Befreiung. Auch einzelne Nahost-Experten kommen zu Wort, die darauf hinweisen, dass die syrische Opposition keinesfalls die Mehrheit der Gesellschaft repräsentiert, dass viele Syrier eine Zukunft nach dem Sturz des Assad-Regimes fürchten. Aber politisch werden diese Informationen nicht aufgegriffen. Von Zielen und Wegen einer Konflikttransformation ist noch immer nicht die Rede.

Während der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen versucht, zu deeskalieren, äußern sich westlichen Kommentatoren skeptisch und bekräftigen Vermutungen aus der syrischen Opposition, Annan werde von Assad getäuscht. In Deutschland steigt der moralische Druck, sich auf den militärischen Interventionspfad zu begeben, auch deshalb, weil die Öffentlichkeit keine Informationen über konkrete Bemühungen der eigenen Regierung hat, auf eine Konflikttransformation hinzuwirken und eine Militärintervention abzuwenden. Die deutsche Öffentlichkeit macht sich daher einen eigenen Reim: Konflikttransformation sei mit dem Assad-Regime nicht möglich. Und da Militärinterventionen nicht mehr unvorstellbar sind, beginnt man sich in Deutschland darauf einzustellen, dass die Regierung – anders als im Fall Libyen – den Vorgaben der NATO-Verbündeten folgt. Pazifisten sind wieder einmal in die Verlegenheit gebracht worden, keine Alternativen anbieten zu können. Ihnen wird vorgeworfen, die Gewalt des Assad-Regimes geschehn zu lassen.

  • Wäre eine andere Entwicklung denkbar?
  • Wie hätte die Entwicklung unter Bedingungen von Friedenslogik verlaufen können?
  • Was hätten unterschiedliche Akteure im Sinne der zivilen Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation tun können?
  • Worauf wäre bei einer friedenslogischen Politik zu achten?

Friedenslogische Politik ist vorausschauend

Wenn Flüchtlinge Schutz beantragen, der syrische Geheimdienst Menschen in Deutschland jagt, würde – zumindest in der Zivilgesellschaft – die Frage nach den Ursachen gestellt. PRO ASYL als Spezialist für den Schutz von Flüchtlingen, Amnesty International als Spezialist für Menschenrechte würden den Verfolgten helfen und zugleich als Mitglieder eines Netzwerkes ziviler Konfliktbearbeitung sich unter anderem mit dem Bund für Soziale Verteidigung und dem Netzwerk Friedenskooperative über die Lage in Syrien beraten. Und sie würden – vermittelt über die Arbeitsgemeinschaft Entwicklung und Frieden – im Auswärtigen Amt offene Ohren finden.

Aufgerüttelt würde man über Möglichkeiten beraten, im Sinne der Zivilen Konfliktbearbeitung tätig zu werden. Denn alle hätten verstanden: Menschen sind in Not geraten aufgrund eines Konfliktes. Spätestens durch die Entwicklungen in Tunesien, Marokko und vor allem Ägypten hellhörig geworden, würde eine friedenslogische Politik vorausschauend fragen, ob sich vergleichbare, ebenfalls unerwartete Entwicklungen auch in Syrien andeuten und was in diesem Fall anders ist. Es wäre zum Beispiel bemerkt worden, dass Syrien seine außenpolitische Unterstützung nicht aus dem Westen zieht, sondern einen Verbündeten in Russland hat.

Auch hätte eine friedenslogische Politik das Unbehagen in der syrischen Gesellschaft schon wahrgenommen, als seine öffentliche Artikulation noch fast unmöglich war, und sie hätte den ersten Anzeichen einer Protestbewegung in den syrischen Kommunen sehr hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Man hätte sich also nicht mit dem Wissen zufrieden gegeben, dass in Syrien ein repressives System herrscht, sondern einen Konflikt oder mehrere sich überlagernde Konflikte vermutet und wäre dieser Vermutung nachgegangen.

Botschaften und landeskundliche Experten, aber auch die zivilgesellschaftlichen Kräfte vor Ort, vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst bis zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der Handelskammer, hätten ein Gespür für die Lage entwickelt. Denn unter den Bedingungen einer friedenslogischen Politik wäre »Konfliktsensibilität« längst eine Schlüsselqualifikation für politische und gesellschaftliche Akteure geworden, die in einem Land tätig werden, das als repressiv eingestuft wird.

Friedenslogische Politik handelt auf der Basis einer Konfliktanalyse

Eine friedenslogische Politik hätte den Konflikt vor dem ersten Schuss auf Demonstranten erkannt, für anhaltende, arbeitsteilige Aufmerksamkeit gesorgt, selbstreflexiv das Potential zur Einflussnahme geprüft und es durch Intensivierung sowie Qualifizierung der Beziehungen erhöht. Sie hätte sowohl die Protestbewegung wie die regierende Seite konsultiert und herausgefunden, worum es ihnen jeweils geht, was legitime und illegitime Interessen sind und auf welche Mittel die Parteien setzen.

Sie hätte auch andere, nicht unmittelbar involvierte Kräfte konsultiert und Zwischentöne vernommen. Sie hätte glaubwürdig die Bereitschaft erklärt, sich an der Bearbeitung des Konfliktes zu beteiligen und zwar im Rahmen geltenden Rechts, orientiert an internationalen politischen und sozialen Normen, unter Wahrung der syrischen Eigenverantwortung und prinzipieller Transparenz (d.h. ohne Geheimdienste), bei Achtung von Grundbedürfnissen und legitimen Interessen aller Parteien, erfahrungs- und beratungsoffen und mit reversiblen dialogisch erarbeiteten Schritten.

Nicht alles hätte ganz anders sein müssen, als es gewesen ist. Oft handeln Diplomaten auch heute friedenslogisch, ohne dass es bemerkt wird. Möglicherweise haben Diplomaten auch im syrischen Fall im Rahmen von stiller Diplomatie vernünftig gehandelt, ohne dass es die Öffentlichkeit weiß. Wesentlich ist: Im Rahmen friedenslogischer Politik hätte man sich um eine Steigerung von Einfluss durch Anteilnahme bemüht und hätte alles Handeln darauf hin geprüft, was es für die weitere Entwicklung des Konfliktes, des Konfliktverhaltens, die Dialogfähigkeit der Parteien sowie ihre Hoffnungen und Befürchtungen bedeuten könnte.

Friedenslogische Politik bietet vielfältige gute Dienste an

Sie hätte die Gewaltfreiheit der Protestbewegung belohnt und auch Belohnung für eine überprüfbare Reduzierung der Gewalt auf Regierungsseite in Aussicht gestellt. Sie hätte sich um verlässliche Beziehungen zu allen Seiten bemüht und um ihr Vertrauen geworben. Sie hätte angeboten, die Konfrontation zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten zu begleiten, sei es durch Ausbildung einer sanften Polizei, sei es durch Kräfte des Menschenschutzes, wie sie Peace Brigades International für Lateinamerika ausbildet und einsetzt.

Sie hätte angeboten, Brücken oder Kanäle zu bauen, auf denen beide Seiten ihre Sicht der Dinge hätten austauschen können. Sie hätte sich selbst dafür anbieten können und sehr viele Menschen gebeten, sich als Mediatoren mit ihren jeweiligen Methoden auf den Weg zu machen. Sie hätte Vorstellungen entwickelt, wie die Beteiligten ihre Ziele modifizieren können, welche Kompromisse denkbar wären, und sie hätte diese Vorstellungen als Ideen »eingeworfen«. Zumindest im Internet wären substantielle Überlegungen über eine Konfliktlösung nachlesbar. Sie hätte angeboten, über die von Assad gemachten Konzessionen, ihre Überprüfbarkeit und Durchsetzung zu beraten. Sie hätte gewarnt, die Mission der Arabischen Liga zurückzuziehen, und Angebote gemacht, wie diese verändert, erweitert, gestärkt werden kann, sei es durch Bürger-Diplomaten oder Mullah-Beobachter. Auf keinen Fall hätte sie das Mittel der Beobachtung zurückgezogen – sie hätte es verstärkt.

Sie hätte Stipendien an Syrier aus Syrien vergeben, aber auch an Menschen, die aus Syrien fliehen und sich der Repression entziehen konnten. Und da im Rahmen einer friedenslogischen Politik Grundkurse in Konfliktanalyse und ziviler Konfliktbearbeitung an jeder Universität zum Studium Generale gehören würden, hätten auch die syrischen Studierenden des Fachs Maschinenbau in Deutschland etwas von Ziviler Konfliktbearbeitung verstehen können. Friedenslogische Politik hätte auch Wege und Formen gefunden, Menschen mit Repressions- und Fluchterfahrung in Deutschland und in Europa in interaktiven Problemlösungsworkshops zusammen zu bringen.

Friedenslogische Politik ist lagerüberschreitend

Sie hätte nicht nur die eigenen Verbündeten, sondern auch die Verbündeten aller Konfliktparteien konsultiert. Auf keinen Fall hätte sie es zu einem Machtspiel im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kommen lassen oder etwas unternommen, was die Vereinten Nationen diskreditiert und als friedenspolitischen Akteur schwächt. Sie hätte im Sicherheitsrat und später im Menschenrechtsrat eine Resolution entworfen, die Russland hätte annehmen können, in der die Gewalt auf allen Seiten kritisiert worden wäre und in der russische geostrategische Interessen beachtet worden wären.

Nun sind russische Waffenlieferungen an repressive Regime und die Unterhaltung russischer Militärstützpunkte außerhalb Russlands nicht legitim und sollten daher auch vom Sicherheitsrat nicht unterstützt werden. Man hätte folglich prüfen müssen, was es Russland erleichtert hätte, eine indirekte oder direkte Unterstützung des Assad-Regimes aufzugeben. Vielleicht hätte es genügt, Russland die Furcht zu nehmen, dass die NATO wie im Fall Libyen eine Resolution der Vereinten Nationen zum Schutz der Zivilbevölkerung in ein militärisches Mandat zum Sturz des Regimes verwandelt. Vielleicht hätte die NATO Russland in Aussicht gestellt, über die Stationierung des geplanten Raketenabwehrschirms in Europa neu zu verhandeln. Oder man hätte eine Vereinbarung darüber getroffen, wer wo bis wann und wie welche Militärstützpunkte zu räumen und Waffenlieferungen zu unterlassen hat.

Auch gegenüber dem Iran hätte man einen anderen Ton angeschlagen. Die westlichen Verbündeten, auch Deutschland, hätten den USA als ihrer Führungsmacht Zugeständnisse abringen müssen. Friedenslogische Politik hat also weitreichende und über den konkreten Konfliktfall hinausgehende Folgen. Friedenslogik ist konkret human, anhaltend und ausdauernd.

  • Kann man im Fall Syrien auf der inzwischen erreichten Eskalationsstufe noch etwas im Sinne der zivilen Konfliktbearbeitung tun oder sind wir der Dynamik nur noch ausgeliefert?

Friedenslogisches Handeln ist schwieriger geworden, weil die Polarisierung zwischen den Kontrahenten, aber auch zwischen den Verbündeten der einen und der anderen Seite, verstärkt wurde, weil die Gewalt ihre Spuren auf Dauer eingebrannt hat und auch, weil die Öffentlichkeit von der Politik nicht mehr viel im Sinne der Friedenslogik erwartet. Aber friedenslogische Politik gibt nicht auf, sie sucht in jeder Konfliktphase auch deshalb nach Möglichkeiten zur Deeskalation, weil sie davon am ehesten die Rettung von Menschenleben erwartet.

Die Beachtung russischer Interessen in Syrien wie auch die Korrektur der Haltung des Westens gegenüber dem Iran, vor allem eine Beendigung der Sanktionen und Drohungen, würde auch im syrischen Fall die Handlungschancen erweitern. In diesem geostrategischen Feld kann Friedenslogik immer Weichen neu stellen und rasch wirken. Dazu muss der Westen vor allem die politischen Konflikte im eigenen Lager über eine friedensverträgliche Nahostpolitik lösen.

Die Aufgabe, Verbindungen zwischen den beteiligten Gruppen, den Kämpfern, den lokalen gewaltfreien Komitees und der Regierung herzustellen, bleibt. Mehrere Verfahren sind in der Vergangenheit für dieses Ziel erprobt worden. Man braucht dafür qualifizierte Mittelsmänner. Ein Kofi Annan reicht nicht. Vielleicht gelingt es ihm, einen Vorschlag zu machen, den alle Seiten unterstützen und an den Diplomaten und Fachkräfte anknüpfen können. Sie alle brauchen Ideen, wie eine Konfliktlösung aussehen kann.

Man kann auch den über das Internet gut vernetzten protestierenden Komitees in den syrischen Gemeinden Onlinekurse in Mediation in arabischer Sprache zur Verfügung stellen, die in Deutschland lebenden Exilsyrier in solche Tätigkeiten einbeziehen und sich von ihnen beraten lassen. Vielleicht gelingt es auch den ExpertInnen des gewaltfreien Aufstandes, das Mittel der Gewaltfreiheit aus den Umarmungen der Anhänger des »regime change« zu befreien und stärker an Prinzipien, Methoden und Inhalten ziviler Konfliktbearbeitung zu orientieren.

Friedenslogische Politik schafft immer auch zukunftsträchtige Verbindungen durch humanitäre Hilfe, indem sie Flüchtlingen beisteht, Patenschaften übernimmt, Kinderpatenschaften fördert, »Ferien vom Krieg« organisiert, Menschen rettet und ihre Zukunft erleichtert. Die Unterstützung von Menschen in Not muss zu jedem Zeitpunkt hohe Priorität haben.

Friedenslogische Politik ist nachvollziehbar

Friedenslogische Politik bemüht sich darum, die Entfremdung der BürgerInnen von dem, was in der Außenpolitik in ihrem Namen geschieht, zu verringern. Dies impliziert auch Transparenz und kontinuierliche und inhaltsreiche Informationen für Journalisten, Bürger und alle an Ziviler Konfliktbearbeitung interessierten Kräfte. Schon eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zur Nicht-Beteiligung an einer immer möglichen Militärintervention zusammen mit Information darüber, was das Auswärtige Amt täglich unternimmt, um die Arbeit des UN-Sonderbeauftragten zu stützen und den Konfliktverlauf deeskalierend zu beeinflussen, würde die Bereitschaft, eine friedenslogische Politik trotz aller Skepsis zu unterstützen, deutlich fördern.

Friedenslogische Politik ist zukunfts- und prozessorientiert

Friedenslogische Politik hat nicht nur den akuten, sondern auch den nächsten Fall im Blick. Auch wenn sie im konkreten Fall unterliegt, fragt sie: Wie ist in Zukunft eine erfolgreichere friedenslogische Politik möglich? Niemand kann erwarten, dass nach den nächsten Wahlen friedenslogisches Denken sicherheitspolitisches Denken ablöst. Aber wir könnten doch aus den friedenspolitischen Netzwerken heraus Vorschläge machen, wie die politische Kultur sich für die Wahrnehmung von konfliktreichen Beziehungen öffnen und wie friedenslogisches Denken sich in der Konzeptionierung von Politik überprüfbar niederschlagen und ausdehnen könnte.

Die Vielzahl der Krisengebiete ist bekannt.[3] Die Bundesrepublik unterhält zu vielen Konflikt- und Krisenländern mehr oder weniger intensive Beziehungen. Sie hat damit Chancen, die Entwicklung innerhalb dieser Staaten und mit deren Nachbarn zu beeinflussen. Niemand kann wissen, welche Dynamik sich in einem konkreten Konflikt entwickelt, aber man kann friedenslogisches Handeln vorausschauend und grundsätzlich planen.

Eine friedenslogische Politik für die nächste Legislaturperiode würde heute damit beginnen, für Partnerstaaten Konfliktanalysen zu erstellen. Sie würde die Partnerschaftsverträge im Hinblick auf ihre Konfliktsensitivität durchleuchten und friedenslogisch ausloten, welche »guten Dienste« hilfreich sind, welche tatsächlich angeboten werden können und welche entwickelt werden müssen. Sie könnte beim Abschluss neuer Verträge zivilgesellschaftliche Gruppen aus den diversen Bereichen der Zivilen Konfliktbearbeitung beteiligen und auf friedenslogische Konsistenz achten.

Ich denke zum Beispiel an die Energiepartnerschaft mit Nigeria, die doch nicht zwischen Geschäftsleuten und den Regierungen ausgehandelt werden darf, sondern die einer Begleitung durch Kräfte bedarf, die etwas von interreligiösem Dialog, von Umweltschutz, vom Umgang mit Fehlern in der Vergangenheit und von der Notwendigkeit von Transparenz verstehen. Eine solche nicht fallbezogene, sondern grundsätzliche und umfassende friedenslogische Politik braucht viel stärkere direkte und indirekte Partizipation, sie braucht sehr viele Fachkräfte, sehr viele Menschen mit »geschulten Blick«, sehr viele externe BeraterInnen.

Sie ist auch auf eine Öffentlichkeit angewiesen, die sich unter ziviler Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation etwas Interessantes und Fesselndes vorstellen kann. Sie braucht ein Verständnis für und Vertrauen auf die Prinzipien von Langsamkeit und Korrektur und eine Offenheit für Informationen über das Leben von Menschen in Konfliktregionen. Ein Stichwort noch zur Popularisierung: Der fachliche Diskurs zum Thema »Zivile Konfliktbearbeitung« wird in englischer Sprache geführt. Die Friedensforschung hätte für die Entspannung des Ost-West-Konfliktes niemals leisten können, was sie geleistet hat, wenn sie ihre Bücher in englischer Sprache verfasst und ihre Einsichten nicht rückgebunden hätte an die innergesellschaftliche Debattenkultur.

Friedenslogische Politik hat nicht nur eine qualitative, sondern auch eine quantitative Dimension

Bei allem Erstaunen und aller Bewunderung, was geschafft wurde, bin ich doch skeptisch, ob die zivile Konfliktbearbeitung allein über die kurzfristige Projektförderung weiterentwickelt werden kann. Nach einer anfänglichen Experimentierphase wird Institutionalisierung notwendig, um Zivile Konfliktbearbeitung qualitativ zu vertiefen und quantitativ auszuweiten, ähnlich wie es bei der Arbeit an der Überwindung von patriarchalen Geschlechterverhältnissen geschieht, die ja ebenfalls auf mehrschichtige Vorgehensweisen setzt.

Friedenslogische Politik und das Netzwerk zivile Konfliktbearbeitung

Diese Skizze einer friedenslogischen Politik mag unrealistisch klingen, aber keiner der hier vorgeschlagenen Schritte wäre unmöglich, wenn sehr viele Menschen wagen würden, friedenslogisch zu denken. Eine bewusst von außen unterstützte Konflikttransformation gibt es allerdings nicht ohne eine Vorstellung vom Konflikt, von den Haltungen, Verhaltensweisen, Zielen und legitimen Interessen der Beteiligten sowie der Genese ihrer konflikthaften Beziehungen und der friedensfördernden Potentiale. Alle Aktivitäten müssen auf diese Faktoren abgestimmt und miteinander vereinbar sein. Für das Netzwerk kommt es darauf an, einen Austausch über die Wahrnehmung und Einschätzung von Fällen zu organisieren, in denen die Mitgliedsorganisationen tätig sind.

Es scheint mir weder notwendig noch möglich noch wünschenswert, dass alle Initiativen auf der Basis einer gleichen – vielleicht auch noch vom Auswärtigen Amt überprüften – Konfliktanalyse arbeiten. Das Netzwerk lebt von unterschiedlichen Ansätzen, Kompetenzen, Schwerpunkten, aber auch von der Fähigkeit, sie zu reflektieren und zu kombinieren. Das Netzwerk würde damit eine Vorbildfunktion erfüllen, Gedankenexperimente in Friedenslogik durchführen und Kreativität entwickeln, die in unserer politischen Kultur nach Jahrhunderten sicherheitslogischen Denkens unterentwickelt aber notwendig ist, wenn die Fallstricke der modernisierten Sicherheitslogik im Gewand der »humanitären Intervention« und der »menschlichen Sicherheit« vermieden werden sollen. Dann kann auch der Mut wachsen, Friedenschancen nicht von der akuten Wirklichkeit ausgehend einzuengen, sondern Verantwortung für Frieden von dem aus zu denken, was heute utopisch klingt, aber wirklich werden kann.

Anmerkungen

1) Vgl. Lothar Brock: Von der liberalen Universalpoesie zur reflexiven Friedenspolitik! Die Demokratie als Medium einer brisanten Vermittlung zwischen Frieden und Gerechtigkeit. In: Claudia Baumgart-Ochse, Niklas Schörnig, Simone Wisotzki, Jonas Wolff (Hrsg.) (2011): Auf dem Weg zu Just Peace Governance. Beiträge zum Auftakt des neuen Forschungsprogramms der HSFK. Baden-Baden: Nomos, S.47-70.

2) Vgl. dazu: Sabine Jaberg: Tücken der Sicherheitspolitik – einige kategoriale Reflexionen. Sicherheit und Frieden 2/2012 (i.E.).

3) Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung: Konfliktbarometer 2011. Prof. Dr. Hanne Margret Birckenbach ist Sozialwissenschaftlerin und vor allem Friedensforscherin am Institut für Politikwissenschaft der Justus-LiebigUniversität Gießen. Ihr Schwerpunkt ist zivile Konfliktbearbeitung/Gewaltprävention. Sie leitet regelmäßig Lehrforschungsprojekte zum internationalen Konfliktmonitoring nach dem von Andreas Buro und der Friedenskooperative entwickelten Modell

Quelle: Wissenschaft & Frieden 2012-2, Seite 42–47