Den Krieg nicht mehr lernen – den Frieden entwickeln

Rede auf dem Marktplatz in Salzwedel am Samstag, den 31. Mai 2014 anlässlich der öffentlichen Veranstaltung zur Jahrestagung des Internationalen Versöhnungsbundes/deutscher Zweig

Der Krieg ist ein noch nicht verbotenes Verbrechen. Diese Auffassung teilen wir mit dem japanischen Volk. In deren Verfassung steht: „Das japanische Volk wird nicht anerkennen, dass das Töten von Menschen im Krieg kein Verbrechen ist.“ (Artikel 9). Das ist vergleichbar mit der Zeit, als das Schlagen von Kindern, die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau und das Halten von Haussklaven noch nicht verboten war. Und das ist noch nicht lange her.

Die sichtbare und nicht-sichtbare Seite des Krieges

Der Krieg hat eine sichtbare und eine nicht sichtbare Seite. Zu der sichtbaren Seite gehören die Lügen. Jeder Krieg, an dem deutsche Soldaten in den letzten Jahrzehnten beteiligt waren und sind, wurde mit Lügen vorbereitet. Menschen haben ein Recht auf Wahrheit. Lügen aufdecken ist Friedensarbeit und kann Kriege verhindern. Zu den Lügen gehört auch das Verschleiern der Tatsache, dass es in der Macht der Einzelnen liegt, Kriege zu verhindern, denn ohne das Rechtfertigen, Mitmachen, Unterstützen und Ausüben der Handlungen vieler Einzelner wäre kein Krieg möglich.

Zur sichtbaren Seite des Krieges gehört die Rüstungsindustrie und die damit verbundene Raubwirtschaft im Ausland und im Inland. Der Zufluss von Rohstoffen soll gesichert werden. Und im Inland probt die Bundeswehr den Bürgerkrieg, demnächst in Schnöggersburg auf dem nahegelegenen Truppenübungsplatz in der Colbitz-Letzlinger Heide.

Die Armee dient als Arbeitsbeschaffungsprogramm: Sind angeblich „zu viele“ Arbeitskräfte auf dem Markt, können sie in einer Armee zwischengeparkt werden. Gibt es zu wenig Profitmöglichkeiten verschafft ein Krieg die nötige Nachfrage durch kriegerische Zerstörungen. Zur sichtbaren Seite des Krieges gehören die Toten und Verwundeten, die Opfer von Kriegen: Die Heilungsprozesse der Verwundeten und ihrer Angehörigen mit ihren sichtbaren und unsichtbaren Schäden werden der Allgemeinheit aufgebürdet: Die Folgen des Krieges trägt die Gesellschaft, nicht die Rüstungsindustrie.

Zur nicht-sichtbaren Seite gehört der Gewaltglaube. Walter Wink hat darauf hingewiesen, dass zu den Voraussetzungen von Kriegen der Glaube „an die erlösende Gewalt“ gehört, die Auffassung, „endlich passiert“ etwas, wenn die Situation so dramatisch geworden – als so dramatisch dargestellt worden ist, dass sie nicht mehr ausgehalten wird (Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014).

Zur nicht-sichtbaren Seite gehört die eigene Verquickung in den Krieg: Durch den eigenen Gewaltglauben, durch Steuern, durch meine Loyalität: Wem gilt meine Loyalität: Der Obrigkeit, die sich das Recht herausnimmt, über das Leben anderer Menschen befinden zu können oder Gott? Dem Geld oder der Liebe?

Zur nicht-sichtbaren Seite gehört es, wenn im Einzelnen die Verwandlung stattfindet, die Konversion, die Abwendung vom Glauben an die Gewalt dahin, den Krieg nicht mehr lernen zu wollen. Dies wirkt sich aus auf die eigene Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft mit dem Ziel, dass der Krieg endlich ein verbotenes Verbrechen wird und unterbleibt.

Die unhörbare und hörbare Gestalt des Friedens

Der Friede hat eine unhörbare und eine hörbare Gestalt. Zur unhörbaren Gestalt gehört: Wer sich auf den Weg der Gewaltfreiheit begibt wird früher oder später für sich selbst grundsätzlich und bei jeder einzelnen Aktion erneut darüber Klarheit verschaffen wollen: Wie weit bin ich bereit zu gehen? Wer in die Probleme hineingeht muss damit rechnen auch Benachteiligungen zu erfahren. Das geht womöglich bis zu körperlichem Leiden vielleicht sogar bis hin zu der Bereitschaft u. U. auch den eigenen Tod auf sich zu nehmen. Wo sich Menschen im Kleinen wie im Großen freiwillig darauf einlassen, zeigen sie eine starke innere Unabhängigkeit, die über das Gehabe der Gewaltanwendung weit hinausgeht und zu einer Friedensquelle für die Welt werden kann. Aus der Geschichte des Versöhnungsbundes des deutschen Zweiges denke ich z. B. an Hermann Stöhr und Max Josef Metztger.

Gewalt setzt und schafft nicht Recht. Dies ist vor allem der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD, gesagt, die an die rechtserhaltende Gewalt und sogar neuerdings an die „rechtsermöglichende Gewalt“ glaubt (EKD-Denkschrift: Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, Gütersloh 2007; EKD-Texte 116: „Selig sind die Friedfertigen“. Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik, Hannover 2013, S. 12). Die Liebe hat Recht, die Liebe ist Recht (vgl. Jesu neutestamentlicher Titel als Menschensohn).

Zur unhörbaren Gestalt gehören die stillen Gebete, das Flehen und die Träume aller, die unter Gewalt leiden. Das ist keine rein subjektive Sache, sondern ein Kampf darum, welcher Geist bestimmt: Der Geist der tötet oder der Geist der lebendig macht? Dabei gilt es wahrzunehmen, dass jede Armee eine eigene Religion ist. Kennzeichen von Religion erfüllt eine Armee (Engelke, Matthias: Der Kriegsdienst der Kirchliche Friedensarbeit, in: Wissenschaft und Frieden, Dossier 65, S. 6ff). Und Homer war ehrlich, als in der Ilias die Soldaten angesprochen werden als „Diener des (Kriegsgottes) Ares“ - lateinisch Mars (Ilias 2).

Unhörbar ist es, wenn in einem Menschen die innere Wandlung sich vollzieht: Das Unrecht wird unterlassen und die eigenen Möglichkeiten, den Frieden zu entwickeln, werden erkannt. Wir sollten dabei nicht zu gering von uns selber denken, ohne es dabei zu unterlassen, sich stets bedürftig zu halten, angewiesen auf Unterstützung, Korrektur und Gemeinschaft.

Den Krieg nicht mehr lernen

So kann die Leidenschaft für das Leben entstehen. Sie zeigt sich auch darin, die Wahrheit zu sagen und Ungerechtigkeit beim Namen zu nennen. So wird Friede hörbar.

Zum Frieden entwickeln gehört es wahrzunehmen, dass Gewaltfrei-sein die Bedingung für jegliches Lernen und persönliche Entfaltung ist. Den Krieg nicht mehr lernen ist die Voraussetzung für zwischenmenschliche und weltweite Kultur, unabhängig von Staaten und Nationen, so dass  eines Tages auch Staaten neu gedacht werden, ohne den Anspruch im Krieg über das Leben anderer zu befinden.

Es gilt neue Gemeinschaften zu bilden und dadurch Fakten zu schaffen. Dieser Aufgabe galt die Gründung des Internationalen Versöhnungsbundes vor bald 100 Jahren. Solche Gemeinschaften dienen dem Kampf für Frieden, Gerechtigkeit und für die Mitwelt vor Ort und in der Welt. In der Versöhnung wird hörbar: Wir bieten heute schon den Menschen die Hand, die von den Kriegstreibern und ihren Profiteuren immer wieder zu unseren Feinden gemacht werden: Wir erklären den Frieden.