Außergewöhnlicher Diskurs zu Rüstung und Frieden

Es war sicher ein außergewöhnlicher Diskursraum, den der Studientag der Evangelischen Friedensarbeit im Raum der EKD in der Evangelischen Akademie in Loccum eröffnete. Viele Akteure aus der Friedensarbeit und der Friedensbewegung sowie Vertreterinnen und Vertreter der Rüstungsindustrie und der Politik redeten nicht über-, sondern miteinander über Fragen von Rüstung, Ethik und Frieden. Offen, kontrovers, komplex. Um ins Gespräch zu kommen über schwierige Fragen ohne einfache Lösungen.

Auf aktuelle Komplexe der deutschen und europäischen Rüstungspolitik wies Simone Wisotzki vom Peace Research Institute Frankfurt hin. Sie betonte die Amivalenz der Debatte: „Auf der einen Seite haben Staaten ein Recht auf Selbstverteidigung, doch auf der anderen Seite werden exportierte Waffen häufig in Kriegen eingesetzt, wo es zu Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte kommt.“ 

Ihrer Auffassung nach gibt es in Politik und Gesellschaft aktuell eine klare Zunahme von Militarisierung, nicht aber einen Militarismus. „Das Zeitalter der Friedensdividende ist schon länger vorbei“, betonte Simone Wisotzki, die auch in der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) tätig ist. Gleichzeitig beobachte sie in der Rüstungspolitik eine Fragmentierung und auch einen Konkurrenzdruck unter den Unternehmen, in Deutschland wie auch in Europa. Sie warnte in diesem Zusammenhang aber auch, dass Rüstungspolitik ohne eine restriktive Rüstungsexportpolitik nicht denkbar sei, die derzeit aber in Deutschland und Europa fehle. Und: „Wir brauchen hier eine menschliche, keine staatliche Sicherheit. Sicherheit darf nicht militärisch, sondern muss zivil gedacht werden“, so Wisotzki.

„Produkte herstellen, die abschrecken, aber auch Soldaten befähigen, zu agieren“, so beschrieb Elisabeth Hauschild, die Generalbevollmächtigte der Diehl-Stiftung Berlin die Aufgabe der Rüstungsindustrie. Dabei sei sie stolz, auf diese Weise einen Beitrag zur Verteidigung zu leisten, dabei allerdings in enger Abstimmung mit der politischen Exekutive. „Waffen können Menschen töten, das bedeutet für uns eine hohe Verantwortung“, machte auch Hans Christoph Atzpodien, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, klar. Dabei würde es in der Rüstungsindustrie keine Freude an einer Militarisierung geben, „aber wir brauchen Abschreckung und richtig eingesetzte Waffen leisten auch einen Beitrag zum Schutz und damit der Nachhaltigkeit“, betonte er nachdrücklich.

Es sei wichtig, die Positionen auszutauschen, auch wenn sie sich sicher nicht zufriedenstellend auflösen lassen, gab Claudia Oeking, die Öffentlichkeitsbeauftragte von Airbus, mit Blick auf eine Diskussion über Rüstungsfragen zu bedenken. Dennoch sei ein größeres Mit- als ein Gegeneinander in dieser Debatte nötig. „Sicherheit ist wichtig, und da leistet auch Airbus einen Beitrag dazu“, betonte Claudia Oeking. Und dies nicht zuletzt angesichts der sich gerade verändernden Selbstverständlichkeiten in der Weltpolitik.

Diese betonte auch Julia Cuntz vom „Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze“ der IG Metall. „Wir erleben ein Ende einer regelbasierten Weltpolitik, neue Entwicklungen in der KI, keine Standards scheinen mehr zu gelten“, gab sie zu bedenken. Darum spiele die Rüstung nun wieder eine neue, wichtigere Rolle. Doch sie äußerte auch die Sorge: „Wir dürfen dabei nicht die äußere gegen die soziale Sicherheit diskutieren. Das wäre eine gefährliche Entwicklung.“

Und dies spricht die politischen Leitlinien und friedensethischen Prinzipien in der Rüstung an. „Wir reden hier zu viel von Prozentzielen, aber nicht darüber, was gebraucht wird. Wir brauchen eine realistische Bedrohungslage und keine Extremszenarien. Wir legen zu viel den Fokus auf Deutschland, aber zu wenig auf NATO und EU“, machte Max Mutschler vom Bonn International Centre for Conflict Studies deutlich. Und er betonte, dass zu wenig über Rüstungsexportkontrolle gesprochen werde sowie über zu wenig Rüstungskontrolle jenseits der Exportkontrolle. 

Corinna Bölhoff, im Bundeswirtschaftsministerium unter anderem für EU-Sicherheitspolitik und Ausfuhrkontrollen zuständig, hob allerdings hervor, dass die von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 ausgerufene „Zeitenwende“ die Debatte völlig verändert habe, wobei diese Diskussionen in der Gesellschaft, aber auch auf europäischer Ebene stärker geführt werden müssten. „Wir sehen ein Bedrohungsszenario durch Russland“, erläuterte sie. Dies müsse auch zu politischen Änderungen führen. „Die EU ist gemeinsam stark, aber die Zuständigkeit in diesem Feld ist national. Hier müssen wir zu neuen Formen der Zusammenarbeit kommen.“

Damit rannte sie bei Niclas Herbst, CDU-Europaabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung, offene Türen ein. „Die EU-Staaten geben viel aus für Verteidigung, doch es kommt nur wenig raus“, gab er zu bedenken. Daher brauche es eine stärkere Kooperation und ein weniger von nationalen Egoismen. „Die Verteidigung muss in der EU eine größere Rolle spielen, aber das Geld muss auch sinnvoll ausgegeben werde“, betonte er.

Hier aber das richtige Maß finden und die gesamte Komplexität im Blick behalten und dabei die soziale und zivile Verteidigung nicht vergessen, das mahnte Landesbischof Friedrich Kramer, der Friedenbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), an. Daher brauche es ein integrales Sicherheitskonzept. Und: „Wir müssen abschreckungsfähig sein, das stimmt, aber wir sollten immer auch drauf achten, dass wir kein Bedrohungsszenario bei anderen auslösen“, so der Landesbischof.

Der EKD-Friedensbeauftragte betonte dabei, dass sich die Kirchen hier am Leitbild des gerechten Friedens orientieren würden. „Das Konzept des gerechten Friedens ist keineswegs heute am Ende, erst in dessen Licht wird der volle Umfang der Gewalt erkannt und ethisch bewertbar“, unterstrich dazu der katholische Theologe Thomas Hoppe und plädierte dafür, daran festzuhalten. Dazu gehöre, dass die rechtserhaltende Gewalt nur in einem ethischen Rahmen denkbar ist, machte der emeritierte Professor der Bundeswehr-Hochschule in Hamburg deutlich. 

Pazifisten müssten sich fragen lassen, inwieweit Gewaltfreiheit auch eine unterlassene Hilfestellung bedeute, Befürworter einer rechtserhaltenen Gewalt müssten erklären, wie diese begrenzt bleibe. „Beide Positionen können solche grundsätzlichen Fragen nicht verhindern“, so Thomas Hoppe, der auch klar macht: „Das Konzept des gerechten Friedens mit seiner Maxime, wer Frieden wolle, müsse den Frieden vorbereiten, hat auch unerwünschte und negative Effekte und Nebenwirkungen.“

Die Abrüstung Gottes beginne schon in der Schöpfungsgeschichte, machte auch Klara Butting, Bochumer Theologin und Leiterin des Zentrums für biblische Spiritualität und gesellschaftliche Verantwortung an der Woltersburger Mühle, klar. Mit der Schöpfung unterbreche er den ewigen Kampf, es entstehe was Neues. Und dieser Frieden Gottes sei auch schon aktiv in der Zeit, kein Fernziel, machte sie deutlich.

„Gott interveniert für Menschen, die rausgedrückt werden, es gibt keine Verbrüderung mit den Mächtigen“, unterstrich Klara Butting. Die Logik der Abschreckung werde zerbrochen, ebenso die Fixierung auf Gewalt. „Die Bibel zeigt, dass Gewalt gegen Aggressoren zur Selbstvernichtung führt“, gab die Theologin zu bedenken. Es gelte, sich nicht von Empörung, Wut und Hass leiten zu lassen, die Suche nach nicht-militärischem Widerstand sei in der Mitte der biblischen Überlieferung: „Es steht die Eindämmung und Überwindung von Gewalt im Blick“, so Klara Butting.

Beide Theologen warnten davor, die Frage auf ein Bekenntnis zu oder gegen Waffen zu verengen. „Es ist wichtig, auch mit Ängsten rational umzugehen und über die Gründe für eine nötige Entscheidung zu diskutieren, um so zu Lösungen zu kommen“, betonte Thomas Hoppe.