Zwischen Trauma und Verantwortung

Seit sechs Jahren herrscht im Westen Kameruns ein politischer Konflikt, Separatisten kämpfen gegen die Armee, Gewalt ist an der Tagesordnung. Journalisten versuchen dagegen zu halten.

Bamenda (epd). Das Studio von Abakwa FM ist mit blauem Samt ausgeschlagen, auf dem Tisch stehen drei Mikrofone. Raymond Dinganga moderiert die Sendung „North West Today“ und beginnt wie an fast jedem Morgen, mit den Namen derjenigen, die in der Region von Separatisten oder dem Militär getötet wurden. Er erklärt die Umstände, spricht über das Leid der Familien.

Zu Gast in der Sendung ist Godlove Dzebam, Lehrer, Berater für Bildung und Trainer für gewaltfreie Kommunikation. Seit drei Jahren hält er Schulungen in „Community Journalism“. Das Ziel des Trainings: Journalismus an der Seite der Zivilbevölkerung, der „Community“.

Vorher hätten viele Journalistinnen und Journalisten entweder klar auf der Seite der Regierung oder auf der Seite der Separatisten gestanden, sagt Dzebam. Und viele Medien hätten durch ihre Berichterstattung zur Eskalation der Gewalt beigetragen. In seiner Schulung beschäftigten sich die Teilnehmer dann mit objektiver Berichterstattung, Faktencheck und dem Thema Trauma. „Es geht uns darum, über Probleme zu berichten und gleichzeitig mögliche Lösungen aufzuzeigen, abseits von Gewalt“, erklärt Dzebam.

Kamerun war mehr als 30 Jahre deutsche Kolonie, später britisches und französisches Protektorat. Bis heute sind die Südwest- und die Nordwestregion englischsprachig, in den anderen acht Provinzen wird Französisch gesprochen. Seit sechs Jahren ist Bamenda, die Hauptstadt der Nordwestregion, im Ausnahmezustand. Es begann mit Protesten von Richtern und Lehrern, die sich dagegen wehrten, dass die Rechts- und Bildungssysteme aus dem französischsprachigen Teil im ganzen Land gelten sollten.

Dann machten sich Separatisten die Bewegung zu eigen. Sie wollen dort, wo man in Kamerun Englisch spricht, ein eigenes Land schaffen, „Ambazonia“. Die sogenannten „Amba-Boys“ versuchen mit subversiver Kriegsführung Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen, entführen Zivilisten, um sich Geld zu beschaffen. Montags ist „Ghost Town“, alle Läden sollen aus Protest gegen die Regierung geschlossen sein. Wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, ermordet zu werden.

Gemeinsam sprechen Raymond Dinganga und Godlove Dzebam in der Radio-Sendung darüber, was die Morde mit der Gesellschaft machen. Hörerinnen und Hörer können anrufen und sich am Gespräch beteiligen. „Es ist wichtig, unvoreingenommen zu diskutieren und Leute zu Wort kommen zu lassen“, sagt Dzebam. Denn die Gewalt prägt den Alltag der Menschen. Auch das Militär hat immer wieder schwere Menschenrechtsverbrechen begangen.

An den zentralen Kreisverkehren in Bamenda stehen schwer bewaffnete Polizisten, hin und wieder kontrollieren sie Taxi- und Motorradfahrer. Die Menschen sind auf der Hut. „Bamenda wirkt ruhig, aber wir wissen, dass jederzeit etwas passieren könnte“, sagt Stella Mbuh, Reporterin beim privaten Fernsehsender Equinox, die ebenfalls an den Weiterbildungen in „Community Journalism“ teilgenommen hat.

„Dort, wo die Menschen wegen der Krise nicht hingehen wollen, da will ich hin“, sagt Mbuh. Sie sucht die Geschichten der Menschen, die von der Gewalt betroffen sind und erzählt sie in all ihren Nuancen. „Viel zu oft werden Geschichten von einer der Seiten instrumentalisiert“, sagt die Journalistin. „Leute manipulieren Fotos oder Audioaufnahmen. Wir müssen vor Ort sein, sonst reißt die Desinformation dieses Land am Ende in Stücke.“ Ihr Handwerk hat sie sich selbst beigebracht. Als ihr Bruder als Kind starb, weil kein Krankenhaus in Reichweite war, schwor sie sich, die Politiker auf Missstände hinzuweisen und Änderungen zu bewirken.

Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ ist Kamerun eines der gefährlichsten Länder in Afrika für Journalisten. Drei Journalisten wurden seit Jahresbeginn ermordet. Einer in Bamenda, zwei in der Hauptstadt Yaoundé. Der Druck von der Regierung ist groß, willkürliche Verhaftungen, Haft ohne Verfahren und mysteriöse Todesfälle gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Betroffen sind vor allem Journalisten, die über die Separatisten oder über Korruption berichten.

„Wegen des Anti-Terror-Gesetzes dürfen wir offiziell keine Separatisten interviewen“, sagt Mbuh. Denn für die Regierung sind diese Terroristen. Es sei aber wichtig, alle Seiten abzubilden. „Für Frieden brauchen wir echten Dialog“, betont sie.

„Die Morde, das Blut, die verstümmelten Körper, die ich fast täglich sehe, traumatisieren mich“, erklärt Mbuh. Aber sie sieht sich in der Verantwortung für ihr Land: „Ich will, dass sich mit jeder Geschichte, die ich aufschreibe, etwas verändert.“