"Wunder der Normalität"

Frankfurt an der Oder/Görlitz (epd). Das Erbe des Krieges wiegt schwer, doch seit einiger Zeit gibt es Annäherung: Die deutsch-polnische Region an Oder und Neiße hat sich für einen Austausch über Ländergrenzen hinweg längst geöffnet. Bei Schulen und Kitas, Hochschulen, Verkehr, Polizei und Kultur - überall gibt es Zusammenarbeit. Vor allem seit dem Ende der DDR 1990 und dem EU-Beitritt Polens 2004 werden Verbindungen stärker geknüpft. 

Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann 1939 der Zweite Weltkrieg. Am 1. September jährt sich der dunkle Tag deutscher Geschichte zum 80. Mal. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bezeichnet die Entwicklung im Blick der Geschichte als "Wunder der Normalität". Die Doppelstädte an der deutsch-polnischen Grenze seien inzwischen "wichtige Motoren für das Zusammenwachsen Europas", betont Woidke, der auch Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnischen Beziehungen ist. 

In Frankfurt an der Oder und Slubice, das seit 1945 zu Polen gehört, könne man inzwischen "mit Händen greifen, was grenznahe Zusammenarbeit bedeutet und wie die Bevölkerungen beider Städte davon profitieren", betonte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) Anfang August bei einem Besuch in der Doppelstadt. Eine gemeinsame Fernwärmeleitung gehört zu den Projekten von Frankfurt und Slubice, Pläne für ein gemeinsames Freizeitbad und eine gemeinsame Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. 

Zur Aufarbeitung der NS-Zeit und vor allem auch zur Versöhnung ehemaliger Kriegsgegner sind in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Vereine und Projekte entstanden. In Slubice wurde 1998 das gemeinsame Collegium Polonicum der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt und der Adam-Mickiewicz-Universität Posen eröffnet. Die Studierenden wechseln hin und her über die Grenze. In Frankfurt an der Oder bietet seit ein paar Jahren ein deutsch-polnisches Verbraucherinformationszentrum Beratung an.  

Auch die Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec an der Neiße pflegt etliche grenzüberschreitende Projekte. Eines davon ist der Internationale Brückepreis, der seit 1993 an Persönlichkeiten vergeben wird, die sich in besonderer Weise um die Verständigung und das demokratische Miteinander von Nationen und Kulturen verdient gemacht haben. Unter den Preisträgern ist Architekt Daniel Libeskind und der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Junker. 

Die Zusammenarbeit von Deutschen und Polen in der Jury sei etwas, von dem beiden Seiten profitierten, sagt der Präsident der Brückepreisgesellschaft, Willi Xylander. Mit der feierlichen Verleihung werde zudem die Doppelstadt stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Und die Menschen, die zur Preisübergabe kommen, wollten sich versöhnen, sagt Xylander, die schauten nach vorn, kämen zusammen, tauschten sich aus.  

Weil Polen seit einigen Jahren auch wegen günstigerer Mieten und Immobilienpreise in die deutschen Grenzregionen ziehen, wachsen dort wieder die Einwohnerzahlen. Auch die katholische Kirche kann sich entlang der Grenze in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen deshalb über steigende Mitgliederzahlen freuen. Das bestätigt der Sprecher des Bistums Görlitz, Raphael Schmidt: Etwa ein Drittel der rund 6.000 Mitglieder der katholischen Gemeinde in Görlitz kämen aus Polen. Eine Reihe von kirchlichen Aktivitäten würden zudem grenzüberschreitend veranstaltet.   

Auch die nachwachsende Generation ist in den Grenzregionen im Blick: Das Deutsch-Polnische Jugendwerk zum Beispiel wurde 1991 gegründet, mit Sitz in Potsdam und Warschau. Seitdem hat es mehr als 75.000 Begegnungsprojekte gefördert, rund drei Millionen junge Menschen nahmen daran teil. Und auch der Meetingpoint Music Messiaen e.V. legt einen Schwerpunkt auf internationale Jugendbegegnungen. 

Die Vereinsmitglieder aus Deutschland und Polen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A auf beiden Seiten der Neiße ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Der Name des Vereins bezieht sich auf den französischen Komponisten Olivier Messiaen (1908-1992), der im Zweiten Weltkrieg in dem Lager inhaftiert war. Auf dem Gelände - heute auf polnischer Seite - wurde 2015 ein Kultur- und Bildungszentrum eröffnet.  

Und auch personell gibt es regen Austausch entlang der deutsch-polnischen Grenze: Das polnische Gubin hat schon länger einen Bürgermeister, der in Frankfurt an der Oder studiert hat. Und Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU) hat einen Büroleiter mit gleichem Werdegang: Krzysztof Zdobylak ist in der deutschen Stadthälfte zur Schule gegangen und hat an der Viadrina studiert. In Guben ist er für die deutsch-polnischen Beziehungen zuständig. Für sein Engagement als Stadtverordneter hat die AfD ihn attackiert. Bürgermeister Mahro bringt es auf den Punkt: "Krzysztof Zdobylak ist ein guter Jurist und bleibt mein Büroleiter."