"Wir müssen zu einer Normalität zurückkehren"

Leipzig (epd). Der 42-jährige Zsolt Balla wird erster Militärbundesrabbiner der Bundeswehr. Seine Einführung findet am Montag in der Leipziger Synagoge statt. Erstmals seit mehr als 100 Jahren gibt es damit in Deutschland wieder eine jüdische Kirchliche Friedensarbeit. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit dem sächsischen Landesrabbiner über seine neue Aufgabe, Antisemitismus in der Bundeswehr und Minderheiten.

epd: Herr Balla, Sie werden am Montag als erster Militärbundesrabbiner eingeführt - mehr als 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Was sind Ihre Aufgaben bei der Bundeswehr?

Balla: Zunächst werden wir für die jüdischen Soldaten und Soldatinnen und ihre religiösen Bedürfnisse da sein. Wir möchten aber auch generell für jeden Soldaten und jede Soldatin bei der Bundeswehr Ansprechpartner sein. Eine große Aufgabe wird auch die Teilnahme als Lehrkräfte am Werteunterricht sein, die ethische und moralische Ausbildung.

epd: Was werden Sie im Werteunterricht vermitteln?

Balla: Im lebenskundlichen Unterricht sind die Themen Religion und Ethik sehr wichtig. Unser Ziel ist, dass die Soldaten das Judentum kennenlernen, die jüdische Geschichte. Das ist sehr wichtig. Denn was sich in der Geschichte ereignet hat, Judenhass und Judenverfolgung, darf sich in der Zukunft nicht wiederholen.

epd: Ist es richtig, dass zehn Rabbinerstellen bei der Bundeswehr vorgesehen sind? Beginnen Sie sofort mit dem Aufbau des geplanten Militärrabbinats?

Balla: Ja, bis zu zehn Stellen sind vorgesehen, für Rabbinerinnen und Rabbiner. Wir beginnen sofort mit dem Aufbau, die Planung läuft schon. Wir wollen dort vor Ort sein, wo viele Soldaten und Soldatinnen ausgebildet werden, das ist in München, Hamburg, Leipzig und natürlich in Berlin, wo das Militärrabbinat seinen Sitz haben wird.

epd: Antisemitische Vorfälle in der Bundesweher sind bekannt. Erhoffen Sie sich durch Ihre Anwesenheit Besserung? Kann Bildung helfen?

Balla: Viele junge Menschen, die überhaupt keinen Umgang mit jüdischen Menschen haben, sind anfällig für Antisemitismus. Wir müssen miteinander reden. Wir wollen zeigen: Wir sind da, wir sind Menschen, wir sind eure Ansprechpartner. Das hilft dann hoffentlich auch gegen den Hass, den es auch gegen andere Minderheiten gibt. Leider geht die Menschheit seit jeher nicht so gut mit Minderheiten um. Aber wenn wir die bösen Stimmen gegen Juden und Jüdinnen und gegen andere Minderheiten isolieren, wird uns das Miteinander gelingen.

epd: In den jüdischen Gemeinden wird das Abkommen mit der Bundeswehr zum Teil sehr skeptisch gesehen. Was sagen Sie den Kritikern?

Balla: Bisher habe ich überwiegend positives Feedback bekommen. Natürlich gibt es auch Kritik und das ist auch in Ordnung. Wir brauchen konstruktive Kritik. Ich kann verstehen, dass jüdische Menschen sich aufgrund der deutschen Geschichte schwer tun mit diesem Schritt. Ich denke aber, dass wir nach vorn schauen sollten. Wir sollten in die Zukunft schauen. Ich möchte, dass es für junge jüdische Menschen selbstverständlich sein wird in den deutschen Streitkräften zu dienen - genau wie das in den Niederlanden, Frankreich, den USA und Großbritannien der Fall ist.

epd: 2006 ist der Bund jüdischer Soldaten gegründet worden. Werden Sie mit dem Verein zusammenarbeiten?

Balla: Natürlich, wir sind im konstruktiven Gespräch. Das ist wichtig.

epd: Sie bleiben Landesrabbiner in Sachsen. Wo wird Ihr Büro sein - in Leipzig oder Berlin?

Balla: Ich werde zwischen Leipzig und Berlin pendeln.

epd: Wann werden Sie erste Kollegen im Militärrabbinat begrüßen können?

Balla: Die Ausschreibungen laufen, es sind auch schon Bewerbungen eingegangen. Die Besetzung der nächsten beiden Stellen wird zeitnah sein. Wir sprechen über die nächsten zwei, drei Monate.

epd: Derzeit gibt es schätzungsweise etwa 300 Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens bei der Bundeswehr - zumindest kursiert diese Zahl immer wieder. Ist das gemessen an dem Gemeindemitgliederzahlen nicht ein bisschen zu hoch geschätzt?

Balla: Die Anzahl der Soldaten lässt sich nicht so präzise sagen, weil die Konfession der Soldaten nicht erfasst wird. Es handelt sich also nur um grobe Schätzungen. Die Anzahl ist aber auch nicht entscheidend. Wir wissen, dass es jüdische Soldaten gibt. Sie haben einen Anspruch auf Seelsorge. Und wir wollen, dass die Bundeswehr die deutsche Gesellschaft spiegelt. Wir müssen zu einer Normalität zurückkehren.

epd: Sie sind einer der beiden ersten nach 1938 in Deutschland ordinierten orthodoxen Rabbiner. Was bedeutet das für Sie persönlich?

Balla: Das bedeutet Verantwortung, Verantwortung, Verantwortung - für die jüdische Gemeinschaft und die gesamte Gesellschaft.