Waffen für Ukraine: SPD-Politiker kritisiert "aufgeladene Debatte"

Berlin (epd). Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), kritisiert eine aus seiner Sicht „moralisierend aufgeladene Debatte“ über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. „Am Ende tragen wir die Verantwortung - für unser Handeln genauso wie für unser Nicht-Handeln“, sagte der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Der Pazifismus könne in einer Zeit, in der autoritäre Herrscher wieder zum Mittel des Krieges und der Gewalt griffen, nur eine individuelle Entscheidung sein, sagte Roth, der auch der Landessynode, also dem Parlament der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck angehört. Man könne keiner Kirche oder Partei vorschreiben, pazifistisch zu sein. „Ich habe auch die evangelische Kirche oder die SPD nie als pazifistisch verstanden“, sagte Roth.

Roth wird am Mittwoch an einem Studientag der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zum Thema „Theologien vor der Herausforderung von Krieg und Gewalt“ in Halle teilnehmen. Auf der Tagung der Theologischen Fakultät wird der 53-Jährige einen Vortrag über „Außenpolitik in Kriegszeiten. Zwischen Bergpredigt und gerechtem Frieden“ halten.

Die Forderung seines Parteikollegen, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Bundeswehr müsse wieder „kriegstüchtig“ werden, sieht Roth nicht im Widerspruch zur christlichen Friedensethik. „Nicht wir werden kriegstüchtig durch Aggression, sondern wir müssen uns den bitteren und auch für mich sehr schmerzhaften Realitäten stellen“, sagte Roth. Der Krieg sei nach Europa zurückgekehrt, weil eine imperialistische Macht wie Russland zum Mittel des Krieges greife, um ihre Interessen gnadenlos durchzusetzen. „Wir müssen wieder stärker auf Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit setzen, auch gemeinsam mit unseren Bündnispartnern“, forderte der SPD-Politiker.

Frieden sei mehr als die Abwesenheit von Krieg und das Schweigen der Waffen, betonte der studierte Politologe: „Frieden ohne Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte ist furchtbare Willkür.“ Deshalb stehe er auch in einem offenen Konflikt mit all denen, die meinten, man könne durch den Verzicht auf Waffenlieferungen oder auf Hilfe für ein angegriffenes Land zum Frieden kommen, sagte der SPD-Politiker.

Das Interview im Wortlaut:

epd: Die Konflikte scheinen weltweit nicht weniger zu werden - die Ukraine, der wieder aufgeflammte Nahost-Konflikt, Migrationsströme aus Nordafrika. Warum sind diese Konflikte eine Herausforderung für die Theologie?

Michael Roth: Man muss kein gläubiger Mensch sein, um zu spüren, dass diese Krisen und Konflikte zu großen gesellschaftlichen Erschütterungen führen. Vor allem haben sie Gewissheiten zerstört, die für viele von uns prägend waren. Wenn man die Religion als Halt und Orientierung gebenden Faktor versteht, stellen sich für die Kirche dieselben Fragen wie für Politik und Gesellschaft. Deswegen ist es gut, dass wir am Mittwoch in Halle zusammenkommen und darüber sprechen.

epd: Der Nahost-Konflikt hat auch eine starke religiöse Komponente - und in Moskau unterstützt der orthodoxe Patriarch Kyrill den Kriegskurs Wladimir Putins. Können Theologien wirklich zu Lösungen beitragen oder sind sie eher Teil des Problems?

Roth: Beides. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir im Auswärtigen Amt den Dialog mit Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgebaut und versucht haben, eine gemeinsame Klammer zu finden. Wir waren der Auffassung, dass sich zumindest auf dem Papier alle Religionen um den Frieden bemühen und ihn zu einem festen Bestandteil ihres Engagements machen. In der Praxis sieht das aber durchaus anders aus. Viele Konflikte sind religiös aufgeladen, an immer mehr Orten greift ein religiös motivierter, gewaltbereiter Fanatismus um sich. Gleichzeitig wächst in vielen Ländern, auch in Deutschland, der religiöse Analphabetismus. Viele Menschen haben überhaupt keine Bindung mehr zu Kirche und Religion. Erstmals überhaupt sind beide christlichen Kirchen bei uns in einer Minderheitenposition. Diese beiden gegenläufigen Trends müssen zusammengebracht werden. Wir müssen wieder stärker ins Gespräch kommen und zumindest verstehen, was die Religionen wollen und wo sie herkommen. Am Ende wird natürlich Religion auch immer missbraucht, denn es geht in Konflikten weniger um religiöse Fragen, sondern um Macht und Einfluss.

epd: Einer, der die evangelische Friedensethik und ihren unbedingten Pazifismus stets hochhält, ist der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer, er ist auch Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab, weil sie den Konflikt verschärfen würden. In Ihrer Partei, der SPD, gibt es aber auch viele gegenteilige Stimmen. Ist das für Sie als Politiker und evangelischer Christ ein ethisches Dilemma?

Roth: Wenn ich in den vergangenen Jahren eines gelernt habe, dann das: Am Ende tragen wir die Verantwortung - für unser Handeln genauso wie für unser Nicht-Handeln. Und wir machen uns bisweilen schuldig - so oder so. Diese teilweise sehr moralisierend aufgeladene Debatte verkennt diesen Tatbestand der individuellen und kollektiven Schuld. In Kirchen und Parteien muss auch Platz sein für pazifistische Positionen, aber der Pazifismus kann in einer Zeit, wo autoritäre Herrscher wieder zum Mittel des Krieges und der Gewalt greifen, nur eine individuelle Entscheidung sein. Das heißt, ich selber kann mich als Pazifist sehen. Ich kann aber keiner Kirche oder Partei vorschreiben, pazifistisch zu sein. Ich habe auch die evangelische Kirche oder die SPD nie als pazifistisch verstanden.

epd: Laut Ihrem Parteikollegen und Verteidigungsminister Boris Pistorius soll die Bundeswehr wieder „kriegstüchtig“ werden, auch eine Dienstpflicht steht im Raum. Ist das für Sie noch mit christlicher Friedensethik vereinbar?

Roth: Selbstverständlich. Sicher wollte Boris Pistorius auch wachrütteln. Nicht wir werden kriegstüchtig durch Aggression, sondern wir müssen uns den bitteren und auch für mich sehr schmerzhaften Realitäten stellen. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt, weil eine imperialistische Macht wie Russland zum Mittel des Krieges greift, um ihre Interessen gnadenlos über Menschenleben hinweg durchzusetzen. Das heißt ja nicht, dass wir von unserem Bemühen um Diplomatie, Ausgleich und Versöhnung abweichen. So schwierig das auch sein mag: Wir müssen wieder stärker auf Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit setzen, auch gemeinsam mit unseren Bündnispartnern, damit wir unsere liberalen Demokratien, unsere bunten und offenen Gesellschaften vor Autoritarismus, Diktatur und Gewalt schützen können.

epd: „Zwischen Bergpredigt und gerechtem Frieden“ lautet Ihr Vortrag auf dem Studientag in Halle. Was ist denn ein gerechter Frieden?

Roth: Ich habe damals als Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland an der friedensethischen Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ mitgearbeitet. Manches, was in dieser Denkschrift steht, wurde von der Zeit und den herrschenden Verhältnissen erledigt. Aber eines bleibt nach wie vor ganz wichtig: Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und das Schweigen der Waffen. Frieden ohne Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte ist furchtbare Willkür. Deshalb stehe ich auch in einem offenen Konflikt mit all denen, die meinen, man könnte durch den Verzicht auf Waffenlieferungen oder auf Hilfe für ein angegriffenes Land zum Frieden kommen. Das wäre dann wirklich ein Diktatfrieden, der die wesentlichen Elemente, die zu einem gerechten Frieden gehören, nämlich Freiheit und Würde, mit den Füßen tritt. Zudem ist ein „sowohl als auch“ bezogen auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine völlig sinnentstellend. Hier ist ganz klar: Es gibt nur eine Macht, die aus imperialistischen Beweggründen heraus einen Nachbarn brutal angegriffen hat, und das ist Russland. Weder die Nato, noch die Ukraine haben einen Anlass geliefert, dieses Land von der Bildfläche verschwinden zu lassen.