Vor 75 Jahren: Krieg in Zeiten der Bombe

Der Koreakrieg zementierte die Spaltung in zwei Länder und dauert offiziell bis heute an. Die USA erwogen sogar den Einsatz von Atomwaffen.

München/Potsdam (epd). Es ist vier Uhr morgens, als Tausende nordkoreanische Geschütze das Feuer eröffnen. Sie schießen über den 38. Breitengrad hinweg in den Süden Koreas hinein. Dann überschreiten Hunderttausende Soldaten des Nordens die Grenze.

Der Koreakrieg, der am 25. Juni 1950 beginnt, gilt als der erste „heiße Krieg“ mit direkter Beteiligung der Supermächte des Kalten Kriegs. Korea war nach dem Zweiten Weltkrieg entlang des 38. Breitengrads in eine sowjetische und eine US-Besatzungszone geteilt worden, zuvor war es japanische Kolonie.

Der Überfall geht auf den Willen des Diktators Kim Il-sung in der sowjetischen Besatzungszone zurück. Im April 1950 hatte er in Moskau Stalins Zustimmung zum Angriff erhalten. Stalin soll allerdings wörtlich gesagt haben: „Falls die Amerikaner euch niedermachen, werde ich keinen Finger rühren.“ Kim hatte Stalin versichert, alles werde so schnell gehen, dass die USA gar nicht eingreifen könnten.

Nur drei Tage nach Beginn des Angriffs fällt Seoul, die Hauptstadt des Südens. Im August beherrscht der Norden fast die gesamte Halbinsel, bis auf einen kleinen Rest im Südosten.

Aber der Vormarsch der Kommunisten ist eben doch nicht schnell genug. Schon am 27. Juni befiehlt US-Präsident Harry Truman den Einsatz von Luftwaffe und Marine, um den Süden zu unterstützen, am 30. Juni auch von Bodentruppen.

Am 31. Juli verabschiedet der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der sie alle ihre Mitglieder auffordern, Truppen zur Verteidigung Südkoreas zu entsenden. Diese Resolution ist möglich, weil die UdSSR den Rat boykottiert und ihr Vetorecht nicht ausübt. Der Militäreinsatz in Südkorea ist damit kein US-Kommando, obwohl die USA ihn führen und größter Truppensteller sind, sondern eine UN-Aktion, an der sich Staaten wie Großbritannien, Australien, Südafrika, Thailand oder Griechenland beteiligen.

Auf der Gegenseite ist - entgegen der Ankündigung Stalins - die UdSSR militärisch involviert. Sowjetgeneräle sind an der Planung des Kriegs beteiligt, Stalin persönlich genehmigt Angriffsbefehle, die er „Gegenangriffe“ nennt. Sowjetische Soldaten kämpfen auch direkt mit. Sie fliegen beispielsweise Düsenjäger mit nordkoreanischen Hoheitsabzeichen, auch in Gefechten gegen US-Kampfflugzeuge.

Militärisch wendet sich das Blatt durch das Eingreifen der UN-Truppen. Am 7. Oktober haben sie wieder den 38. Breitengrad erreicht, am 19. Oktober erobern sie die nördliche Hauptstadt Pjöngjang, am 20. November stehen sie am Yalu, dem Grenzfluss zu China. Der chinesische Diktator Mao rettet seinen Kollegen Kim vor einer Niederlage. Eine halbe Million chinesische Soldaten, offiziell alles Freiwillige, greifen in den Krieg ein und drängen die UN-Truppen zurück.

Nach dem Eingreifen Chinas denkt die US-Regierung darüber nach, ob sie Atomwaffen einsetzen könnte, entscheidet sich aber dagegen. „Die Zahl der amerikanischen Atombomben war nach wie vor knapp bemessen“, erklärt der Politologe Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem habe man befürchtet, dass die Bombe ihre Abschreckungswirkung verlieren könne, falls sich ihr Einsatz doch nicht als kriegsentscheidend herausstellte. Vor allem habe man die erwartbare öffentliche Entrüstung nach einem Atombombenabwurf vermeiden wollen.

Sauer nennt einen weiteren Grund für den Nichteinsatz: Nachdem Truman im Zweiten Weltkrieg den Einsatz der Bombe gegen Japan befohlen hatte, sei er über die Wirkung erschüttert gewesen: „Die Wiederholung seiner Entscheidung aus dem Jahr 1945 wurde ihm nun durch sein Gewissen unmöglich gemacht.“

Im Frühjahr 1951 stabilisiert sich die Front in etwa entlang des 38. Breitengrads und bewegt sich den Rest des Kriegs über kaum noch. Im Juli 1951 beginnen Waffenstillstandsverhandlungen. Sie kommen aber wegen der Frage der Kriegsgefangenen kaum voran. Denn Tausende gefangener Chinesen und Nordkoreaner weigern sich, in ihre Heimat zurückzukehren.

Es gibt auch deswegen keinen Frieden, weil Stalin das nicht will. Trumans Nachfolger Dwight Eisenhower droht noch einmal mit der Atombombe, aber nach den Worten des Potsdamer Militärhistorikers Bernd Stöver beschleunigt das die Verhandlungen nicht: „Korea ist nicht wichtig genug, um einen Atomkrieg zu beginnen“, sagt Stöver auf epd-Anfrage.

Stalin stirbt am 5. März 1953. Das sei der zentrale Faktor dafür, dass ein Waffenstillstand gelingt, erklärt der Militärhistoriker: „Die Frage der Kriegsgefangenen erledigt man nebenbei.“ Die Gefangenen dürfen laut Abkommen wählen, wo sie nach dem Krieg leben wollen.

Am 27. Juli 1953 enden die Kämpfe. Rund vier Millionen Menschen sind tot, darunter drei Millionen koreanische Zivilisten. Besonders viele Menschen starben bei systematischen Ermordungen durch die Nordarmee, antikommunistischen Massakern im Süden und bei Flächenbombardements durch US-Bomber. Noch drei Jahre später herrscht in Korea Hungersnot, weil Industrie und Agrarproduktion nahezu vollständig zerstört sind.

Auf den Waffenstillstand folgt nie ein Friedensvertrag. Der ehemalige Frontverlauf ist heute die am stärksten militarisierte Grenze der Welt. 37.000 US-Soldaten sind in Südkorea stationiert. Nordkorea, mittlerweile selbst nuklear bewaffnet, ist heute einer der großen Unsicherheitsfaktoren der Welt.

Hintergrund: Der Weg in den Koreakrieg

Frankfurt a.M./München (epd). Die Wurzeln des Koreakriegs liegen in der Teilung Koreas entlang des 38. Breitengrads in eine sowjetische und eine US-Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuvor war das Land japanische Kolonie gewesen. Die USA befürchteten, ohne eine Teilung würde die UdSSR die gesamte Halbinsel beanspruchen.

In beiden Koreas bildeten sich in der Folge Diktaturen heraus - im Norden eine kommunistische unter Kim Il-sung, im Süden eine kapitalistische Militärregierung unter Rhee Syng-man. Der Süden hielt im Mai 1948 Wahlen ab, die allerdings weder frei noch fair waren. Am 15. August 1948 rief Rhee die Republik Südkorea aus. Nach ebenso manipulierten Wahlen im Norden proklamierte Kim dort am 9. September die „Demokratische Volksrepublik Korea“.

Beide Regime hingen wirtschaftlich und militärisch von ihren jeweiligen Schutzmächten ab, beide erhoben den Anspruch, legitimer Repräsentant des gesamten Koreas zu sein, und beide strebten nach einer Vereinigung, notfalls mit Gewalt. Während die Sowjets den Norden militärisch hochrüsteten, blieb die Militärhilfe für den Süden aber zurückhaltend - weil die USA befürchteten, der Süden könnte den Norden überfallen.

Kim versuchte schon seit Ende der 1940er Jahre, von Stalin freie Hand für einen Krieg zu erhalten und soll ihm diesbezüglich nicht weniger als 48 Telegramme geschickt haben. Stalin hatte wohl eigentlich kein Interesse daran, die Entschlossenheit der USA zur Verteidigung Südkoreas zu testen. Warum er sich schließlich doch umstimmen ließ, ist nicht ganz geklärt. Womöglich spielte die Sorge eine Rolle, dass China die UdSSR als schwachen und unsicheren Verbündeten wahrnehmen könnten, wenn Stalin defensiv bliebe.

Vor Beginn des Kriegs veranschlagten die USA den strategischen Wert Koreas als nicht besonders hoch. Dennoch verteidigen sie es. Der Potsdamer Militärhistoriker Bernd Stöver erklärt, dies sei vor allem auf die gescheiterte Appeasementpolitik in Bezug auf Nazi-Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Diesen Fehler habe man nicht wiederholen wollen. „Die USA wollten auf keinen Fall als zu weich gelten“, sagt Stöver.

Politologe: Nukleares Tabu braucht demokratische Öffentlichkeit

Drei Fragen an Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München

München (epd). Vor 75 Jahren begann der Koreakrieg. Der Politologe Frank Sauer, Forschungsleiter des Metis Instituts für Strategie und Vorausschau an der Universität der Bundeswehr München, beleuchtet die Gründe, warum er nicht nuklear eskalierte. Einige der Gründe wirkten auch heute noch, sagt er. Eine Garantie dafür, dass in der Gegenwart Abschreckung gelinge, gebe es aber nicht.

epd: Herr Sauer, im Koreakrieg kam es trotz Drohungen nicht zum Atomwaffeneinsatz. Heute erleben wir wieder Atomdrohungen, vor allem aus Russland. Was lehrt uns der Krieg in Korea über unsere heutige Situation?

Frank Sauer: Drei Gründe, warum Atomwaffen damals nicht eingesetzt wurden, folgten einer Logik der Konsequenzialität. Wenn ich mir Gedanken mache, dass ich zu wenig Munition habe, dass ihr Einsatz sein Ziel nicht erreicht oder mir durch ihren Einsatz ein Reputationsverlust droht, dann ist das ein Kosten-Nutzen-Kalkül. Ein vierter Grund, die moralischen Skrupel vor allem bei US-Präsident Truman, folgten einer Angemessenheitslogik. In ihrer stärksten Ausprägung ist sie das, was man das nukleare Tabu nennt: ein handlungsleitender Gedanke im Kopf von Entscheidungsträgern, der sagt, dass diese Dinger so oder so niemals eingesetzt werden dürfen.

epd: Können wir denn heute davon ausgehen, dass dieses Tabu in den Köpfen eines Wladimir Putin, eines Xi Jinping oder eines Kim Jong-un besteht?

Sauer: Für ein stabiles und breit geteiltes Tabu braucht es wohl eine demokratische Öffentlichkeit, die über Normen reflektiert und diese stabil im Diskurs hält. Ich würde ein Fragezeichen daran setzen, ob in einer Diktatur wie Nordkorea, China oder Russland ein Tabu in dieser Form entstehen kann. Für jemanden wie Putin, der gewohnheitsmäßig Kriegsverbrechen begehen lässt, spielt eine moralische Handlungsleitung jedenfalls höchstwahrscheinlich keine Rolle.

epd: Gilt dann wenigstens die Logik der Konsequenzialität des Koreakriegs, wie Sie es beschrieben haben, heute noch?

Sauer: Die Furcht vor Reputationsverlust oder Isolation spielt sicher noch eine Rolle. Man weiß, dass China und Indien schon 2022, als die russischen Nukleardrohungen überhandgenommen haben, auf Putin eingewirkt haben, und das hatte einen Effekt. Zudem wirkt die nukleare Abschreckung. Die ist auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung, funktioniert also über die Konsequenzialitätslogik.

Die Gefahr ist, dass wir uns darin täuschen, was das Gegenüber antreibt - etwa, wenn wir glauben, dass es beim Überfall auf die Ukraine um Bodenschätze ginge oder dass wir russische Sicherheitsinteressen verletzt hätten und damit selbst schuld seien. Es geht in Wahrheit um imperiale Vorstellungen und eine russische Dominanz über Europa. Diese Motive sind für uns völlig fremd, sie sind aber trotzdem der wesentliche Grund für den Krieg. Wenn unsere Fehleinschätzung in diesem Punkt dazu führt, dass unsere Abschreckung schwach ist, könnte Putin zu dem Schluss kommen, dass er seine Ziele weiter durchsetzen kann. Zugleich gibt es natürlich keine Garantie, dass Abschreckung gelingt. Wir leben also in gefährlichen Zeiten.