Vom "Revoluzzer" zum staatstragenden Vorbild

Bremen (epd). Wer das Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung am Bahnhofsplatz der Hansestadt besucht, dem begegnet zuerst Dorothea Lätzel. Die 18-Jährige begrüßt mit freundlicher Stimme die Gäste im Zentrum, fragt nach, wie sie unterstützen kann, kümmert sich um die Organisation von Veranstaltungen, arbeitet in Workshops mit, betreut die Website und die Social-Media-Kanäle des Zentrums. „Ich bin hier die helfende Hand“, sagt Lätzel, die seit Anfang September ein Freiwilliges Ökologisches Jahr, kurz FÖJ, absolviert.

Dorothea Lätzel ist eine von 250 meist jungen Menschen, die unter dem Dach des Sozialen Friedensdienstes (SFD) in Bremen im Freiwilligendienst arbeiten - zum Großteil im sozialen Bereich, aber auch in der Politik, in der Kultur oder eben in der Ökologie. „Hier geht es viel um Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit, die eng mit Nachhaltigkeitsthemen und Umweltschutz verbunden sind“, betont Lätzel, die sich bis zu ihrem Abitur im Frühsommer unter anderem bei der Klimabewegung „Fridays for Future“ engagiert hat.

Er sollte dem Allgemeinwohl dienen, soziale Gerechtigkeit fördern und helfen, Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen: Unter dieser Präambel gründeten evangelische Kirchengemeinden in Bremen vor 50 Jahren den Sozialen Friedensdienst in der Hansestadt. Zuerst begleitete der nach Darmstadt zweite Verein dieser Art in der Bundesrepublik Tausende Kriegsdienstverweigerer, gut zehn Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht bei der Bundeswehr und damit des „Ersatzdienstes“ im Juli 2011 organisiert er nun ausschließlich Freiwilligenarbeit.

„Die pädagogische Begleitung war und ist bei uns zentral“, sagt der scheidende Geschäftsführer des SFD, Andreas Rheinländer. Und da der SFD mit Blick auf soziale Lernprozesse ein Kind reformorientierter Kräfte in der evangelischen Kirche ist, war diese Begleitung stets politisch. Was nicht überall auf Zustimmung traf. So beäugte das einst in Köln angesiedelte Bundesamt für den Zivildienst das Bremer Modell zunächst ausgesprochen argwöhnisch.

Tatsächlich träumten viele „Ersatzdienstleistende“ am Rande der SFD-Lehrgänge von der Revolution und dachten über den Freiheitskampf der Arbeiterklasse nach. „Die Mehrheit war politisch motiviert“, erinnerte sich vor 20 Jahren der erste Praxisbegleiter des SFD und spätere Bremer Senator Herbert Brückner. Pläne der Politik, Zivildienstleistende zu kasernieren, ihre Wehrüberwachung und die Einplanung im Kriegsfall brachten manchen jungen Mann innerlich noch mehr auf die Barrikaden.

Die Wende kam mit dem „Zivi“-Bundesbeauftragten Dieter Hackler, der zum 25-jährigen Bestehen des SFD in der Hansestadt viel Lob verteilte. Die Bremer zeichne eine hohe Flexibilität aus, in der Schwerstbehindertenbetreuung - von Rheinländer mit Kooperationspartnern aufgebaut - helfe der Verein modellhaft. Fortan galten die einstmals in Köln als „Revoluzzer“ verschrienen Hansestädter als staatstragende Garanten eines funktionierenden Zivildienstes.

Doch der war absehbar ein Auslaufmodell. Lange bevor sich politisch die Anzeichen für ein Ende verdichteten, gründete der SFD deshalb als zusätzliches Standbein neben den gesetzlich abgesicherten Freiwilligendiensten eine Freiwilligen-Agentur. Sie vermittelt Ehrenamtliche, berät Organisationen bei der Arbeit mit Freiwilligen und feiert jetzt auch ein Jubiläum, das 25-jährige Bestehen.

„Lernen funktioniert am besten, wenn es freiwillig ist“, betont Rheinländer, der in diesem Zusammenhang nichts von einem sozialen Pflichtjahr hält, das immer mal wieder in der politischen Debatte auftaucht. „Bürgerschaftliches Engagement“, das ist seine Überzeugung, „widerspricht jedem Zwangscharakter“.

Für Dorothea Lätzel ist die Arbeit im Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung aber nicht nur persönliche Bildung, sondern wie bei vielen Freiwilligen in ihrem Alter eine Zeit der beruflichen Orientierung. „Ich möchte mich gerne vor meinem Studium umschauen, um dann eine informierte Entscheidung treffen zu können, wohin es für mich geht“, betont sie. Und nach ihrem Engagement bei „Fridays for Future“ lerne sie politische Arbeit jetzt auch noch aus einer neuen Perspektive kennen: Zuerst war sie als Aktivistin unterwegs, jetzt beschäftigt sie sich beruflich mit gesellschaftlich brisanten Themen.

Der Soziale Friedensdienst (SFD) in Bremen bietet in fünf Bereichen Freiwilligendienste an. Gestartet wird in der Regel zwischen dem 1. August und dem 1. September. Die Programme im Einzelnen:

- Freiwilliges Soziales Jahr/Bundesfreiwilligendienst: Für zwölf Monate begleiten und unterstützen die FSJler im Alter zwischen 17 und 25 Jahren Kinder im Kindergartenalltag, Schüler im Unterricht, Konfirmanden in einer Kirchengemeinde, erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung in einer Wohngemeinschaft oder assistieren Menschen, die zu Hause Hilfe benötigen.

- Freiwilliges Kulturelles oder Freiwilliges Politisches Jahr: Bietet die gleichen Möglichkeiten und Bedingungen wie ein Freiwilliges Soziales Jahr, nur eben in einer kulturellen oder politischen Organisation.

- Freiwilliges Ökologisches Jahr: Wer sich für Klima-, Umwelt- oder Tierschutz einsetzen will und Lust hast, seine Fähigkeiten in der Praxis zu erproben, ist hier richtig.

- Europäischer Freiwilligendienst: Jede und jeder zwischen 18 und 30 Jahren kann hier arbeiten - in sozialen, kulturellen, ökologischen und sportiven Organisationen und Einrichtungen in ganz Europa oder benachbarten Ländern.

- Bundesfreiwilligendienst für Menschen über 27: Der Einstieg ist immer zum 1. eines jeden Monats möglich. Der Dienst kann für einen Zeitraum von 6 bis zu 12 Monaten absolviert werden. Auch 18 Monate sind nach Absprache möglich.