Völkerrechtlerin: "Müssen den Opfern ihre Stimme zurückgeben"

Nach dem 7. Oktober hat die israelische Völkerrechtsexpertin Cochav Elkayam-Levy begonnen, Verbrechen der Hamas gegen Familien, Frauen und Kinder zu dokumentieren. Die Stimmen der Opfer würden auch fast ein Jahr nach der Attacke zu wenig gehört.

Frankfurt a.M. (epd). Die israelische Völkerrechtlerin Cochav Elkayam-Levy hat Solidarität und Aufmerksamkeit für die Opfer des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober gefordert. Erfahrungen der Hamas-Opfer von sexueller Gewalt, Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit würden vielfach nicht gehört oder sogar delegitimiert, sagte Elkayam-Levy am Freitag in Frankfurt am Main. Sie sprach auf dem „Jewish Women* Empowerment Summit“, der vom Zentralrat der Juden in Deutschland organisiert wird.

Die Expertin für internationales Recht sagte: „Wir müssen den Opfern ihre Stimme zurückgegeben, wir können nicht schweigen.“ Die meisten Opfer der Hamas seien getötet worden und könnten nicht mehr selbst über die Verbrechen berichten, die ihnen angetan wurden. Elkayam-Levy ist eine international bekannte Völkerrechtlerin und Expertin für Menschen- und Frauenrechte, sie lehrt unter anderem an der Hebrew University in Jerusalem.

Die 40-jährige Israelin hat nach dem Hamas-Überfall die „Zivile Kommission für Hamas-Verbrechen am 7. Oktober gegen Frauen und Kinder in Israel“ gegründet, die Berichte und Zeugnisse über Gewalt an Familien, Frauen und Kindern sammelt und dokumentiert. Um auf die Verbrechen der Hamas aufmerksam zu machen, sprach sie schon vor Vertretern der UN und im Weißen Haus. Hamas-Terroristen hatten Israel am 7. Oktober überfallen und mehr als 1.200 Menschen im Süden des Landes getötet, die meisten unter ihnen Zivilisten. Außerdem nahmen sie mehr als 200 Geiseln.

Nach dem 7. Oktober habe es keine angemessene Reaktion der internationalen Organisationen gegeben, sagte Elkayam-Levy. Geiseln - Frauen, Kinder, Männer, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen - seien auf brutale Weise nach Gaza verschleppt worden. „Wir erhielten Berichte, dass Menschen in ihren Häusern bei lebendigem Leib verbrannt wurden, Kinder vor den Augen ihrer Eltern ermordet, Eltern vor den Augen ihrer Kinder ermordet wurden und Kinder sich in Schränken versteckten - Berichte, die sehr an den Holocaust erinnerten“, sagte sie. „Es war schockierend. Wir hatten einen sehr lauten Aufschrei der internationalen Organisationen erwartet.“

Knapp ein Jahr nach dem Anschlag sei Israel isoliert - „sozial isoliert und dämonisiert“. „Und nicht nur Israelis, sondern auch ihr Leben und unsere Gemeinschaft werden dämonisiert“, sagte sie. „Was wir sehen, ist Antisemitismus.“

Elkayam-Levy und die Kommission etablierten nach dem 7. Oktober den Begriff des „Kinozids“, um Verbrechen gegen israelische Familien zu beschreiben. Diese Gewalt ziele darauf, die israelische Gesellschaft und auch das jüdische Volk nachhaltig zu zerstören. „Kinozid“ ist eine Wortneuschöpfung aus den Wörtern „kin“, was im Englischen Verwandtschaft bedeutet, und „Genozid“. „Hamas hat die Gewalt gegen Familien als Mittel missbraucht, um ein Trauma zu schaffen, das für kommende Generationen andauern wird“, sagte sie.

Die Psychologin Marina Chernivsky sprach von der „genozidalen Botschaft“ des Anschlags. Den Begriff hatte der deutsch-israelische Historiker Dan Diner nach dem 7. Oktober geprägt. Bestimmte Formen der Verfolgung hätten eine ähnliche Qualität wie während der Schoah. Deswegen stelle der 7. Oktober einen tiefen Einschnitt für die weltweite jüdische Community dar. Chernivsky ist Gründungsgeschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK e.V., die sich auf Antisemitismus spezialisiert hat.

Der Summit findet zum sechsten Mal in Frankfurt am Main statt. Bis Sonntag diskutieren mehr als 150 junge jüdische Frauen und nicht-binäre Personen zwischen 18 und 40 Jahren in einem geschützten Rahmen die Auswirkungen des 7. Oktober auf Israel und die jüdische Community weltweit. Die Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden und die jüdische Studierendenunion sind Co-Veranstalter.