Verhandlungen ohne Vertrauen

Bogotá (epd). Das gegenseitige Misstrauen ist groß, das Gewaltpotenzial auch. Regierung und Protestbewegung in Kolumbien sollen gemeinsam einen Weg aus der schlimmsten Sackgasse finden, in der sich das Land seit dem Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla im Jahr 2016 befindet. Mehr als 30 Menschen wurden laut Beobachtern getötet, seit die Bevölkerung Ende April anfing, zu Tausenden gegen die Regierung auf die Straßen zu gehen. Doch schon einen Tag nach Beginn der Sondierungsgespräche unter Vermittlung von UN und katholischer Bischofskonferenz scheint eine Einigung kaum möglich.

Präsident Iván Duque, der wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt auch international in der Kritik steht, bezeichnet die Protestierenden als Kriminelle und kündigte an, Straßenblockaden durch die Armee räumen zu lassen. Das Streik-Komitee sieht alle seine Forderungen nach Schutzgarantien abgelehnt und seine Skepsis durch das Verhalten der Sicherheitskräfte bestätigt.

„Die Regierung weigert sich, das Massaker zu beenden“, sagte der Sprecher des Streik-Komitees und Präsident des Gewerkschaftsbundes CUT, Francisco Maltés, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Duque erklärt den Streikenden den Krieg.“ Um Verhandlungen zuzustimmen, fordert das Komitee unter anderem , dass die Armee zurückgezogen und der Polizei der Gebrauch von Schusswaffen verboten werden. Zudem sollen Gewalttaten der Sicherheitskräfte aufgeklärt und bestraft werden. In ihrem Vorgehen gegen die Protestierenden hätten Militär und Polizei Mittel angewandt, „die in keinem Krieg erlaubt sind“, sagt Maltés.

Die Lage ist explosiv, Kolumbien blickt auf eine lange Geschichte blutiger Konflikte zurück. Ursprünglicher Anlass für die jüngsten Proteste war eine Steuerreform, mit der Präsident Duque die Kosten der Corona-Krise ausgleichen wollte. Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft sahen fast ausschließlich die Armen belastet und riefen zu Protesten auf.

Die tatsächliche Ursache einer seit Jahrzehnten herrschenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist die gravierende Ungleichheit. Kolumbien ist das Land mit den stärksten Einkommensunterschieden in Lateinamerika. Die Corona-Pandemie hat Armut und Arbeitslosigkeit weiter verstärkt. So haben auch die Rücknahme der Steuerreform und der Rücktritt von zwei Regierungsmitgliedern die Menschen nicht besänftigt - sie protestieren weiter.

EU, UN und zahlreiche Organisationen haben die Regierung wegen ihres brutalen Vorgehens kritisiert. Videos belegen, dass Polizisten Schüsse auf friedliche Demonstrierende feuerten. Die Organisation Temblores hat bislang mehr als 2.000 Fälle von Polizeigewalt dokumentiert. Demnach wurden 39 Menschen getötet.

Zentrum der Proteste ist der Südwesten des Landes um die Stadt Cali. Sie hat den höchsten Anteil an afrokolumbianischer Bevölkerung, die massiv benachteiligt wird. Auch für Bürgerrechtler und Indigene ist die Pazifik-Region die tödlichste des Landes. Gleichzeitig ist die Urbevölkerung besonders gut organisiert und kann mit Blockaden der Hauptverkehrsader zwischen Nord und Süd die Versorgung im ganzen Land beeinflussen.

Von Gesprächen mit der Regierung erhofft man sich hier nicht viel. Der Regionale Indigenen-Rat des Cauca will sich daran nicht beteiligen. Die Forderungen nach Sicherheitsgarantien des Streik-Komitees unterstütze man zwar, sagt Ältestenrat Ferley Quintero. „Aber wir haben vielen Demonstrierenden zugehört. Sie fühlen sich von dem Komitee nicht repräsentiert.“ Deshalb habe die Indigenen-Bewegung entschieden, weiter zu streiken.

Auch die Straßenblockaden, an der nicht nur die Urbevölkerung beteiligt ist, würden nicht aufgelöst, sagt Quintero. „Nur so kriegen wir die Regierung dazu, dem Volk zuzuhören.“ Sobald die Forderungen des Streik-Komitees erfüllt seien, werde man jedoch für 72 Stunden einen humanitären Korridor einrichten, um Treibstoff, Grundnahrungsmittel, Medizin und die Ernte der Bauern durchzulassen. Doch dass die Regierung sich darauf einlässt, scheint von Tag zu Tag unwahrscheinlicher.