UN-Bericht-erstatterin wirft Israel Völkermord im Gaza-Streifen vor

Es ist der wohl schwerwiegendste Vorwurf im Völkerrecht: Die UN-Sonderberichterstatterin Albanese bezichtigt Israel des Völkermords im Gaza-Streifen. In Israel sorgte der Report für Kritik.

Genf (epd). In einem Bericht wirft die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, Israel das Verüben eines Völkermordes vor. Es gebe hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieser Tatbestand bei dem Angriff auf den Gaza-Streifen erfüllt sei, heißt es in einem am Dienstag vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgestellten Report. Israel wies die Anschuldigungen zurück.

Die italienische Juristin verlange in dem Bericht mit dem Titel „Anatomy of a Genocide“ (deutsch: „Anatomie eines Genozids“) ein Verbot von Waffenlieferungen an Israel und Schadenersatz für die Palästinenserinnen und Palästinenser. „Israels Handlungen werden von einer völkermörderischen Logik angetrieben, die integraler Bestandteil seines Siedlerkolonialprojekts in Palästina sind“, schrieb die Sonderberichterstatterin.

Führende israelische Militärs und Politiker hätten eine „Absicht“ zum Völkermord ausgedrückt. Die Handlungen zur Umsetzung dieser Absicht wie die „Tötung von Mitgliedern der Gruppe“ der Palästinenser sieht Albanese als gegeben an. Die Rechtswissenschaftlerin bezieht sich in dem 25-seitigen Bericht auf die UN-Völkermordkonvention von 1951.

Israel blieb der Sitzung des Menschenrechtsrats fern, bei der Albanese ihren Bericht vorstellte. In einer Stellungnahme kritisierte die Ständige Vertretung des Landes bei den UN den Bericht als eine „obszöne Umkehrung der Realität“. Schon der Versuch, Israel des Völkermords zu bezichtigen, sei eine „ungeheuerliche Verzerrung der Völkermordkonvention“.

Als Völkermord, auch als Genozid bezeichnet, gelten Handlungen wie zum Beispiel Mord und sexuelle Gewalt, die mit der Absicht begangen werden, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Internationale Gerichte behandelten unter anderem die Tötung Hunderttausender Angehöriger der Tutsi-Minderheit in Ruanda im Jahr 1994 als einen Völkermord.

Der Bericht von Albanese hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Obwohl sie 2022 vom UN-Menschenrechtsrat zu Sonderberichterstattern bestellt wurde, spricht sie als solche nicht für die Vereinten Nationen.

Ein Vertreter der EU mahnte bei der Sitzung am Dienstag eine unabhängige Untersuchung der in dem Bericht erhobenen Vorwürfe an. Die Europäische Union (EU) sei entsetzt über die kritische humanitäre Situation im Gaza-Streifen. Der EU-Vertreter forderte zugleich die Freilassung der noch in den Händen der Hamas verbliebenen israelischen Geiseln.

Der jüngste Krieg im Nahen Osten begann nach dem Terrorüberfall der radikal-islamischen Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und über 250 weitere verschleppt wurden. Als Reaktion überzog Israel den Gaza-Streifen mit einem massiven Bombardement, um die Hamas zu vernichten und die Geiseln zu befreien, drang mit Truppen in das Gebiet ein und verhängte eine komplette Blockade. Der UN-Sicherheitsrat forderte am Montag eine sofortige Waffenruhe.

Israel fühlt sich seit Jahrzehnten in den UN-Gremien zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die wiederkehrenden Verurteilungen durch den UN-Menschenrechtsrat belegen nach Lesart der Regierung des Premierministers Benjamin Netanjahu eine israelfeindliche Grundhaltung.

Hintergrund: Völkermord

Es gilt als „Verbrechen aller Verbrechen“: Völkermord bezeichnet die Vernichtung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Die Tat umfasst verschiedene Handlungen wie zum Beispiel Mord und sexuelle Gewalt, die mit der Absicht begangen werden, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Völkermord wird auch als Genozid bezeichnet, einer Zusammensetzung des griechischen Worts Genos (Rasse oder Gruppe) und der lateinischen Ableitung -cide (caedere, töten).

Geprägt wurde der Begriff vom polnischen Juristen Raphael Lemkin nach dem Holocaust und im Dezember 1948 in der Völkermordkonvention verankert. Der Vertrag verbietet Handlungen, mit denen eine national, ethnisch, rassisch oder religiös definierte Gruppe vernichtet werden soll. Entscheidend ist dabei nicht, ob oder wie viele Menschen getötet wurden, sondern die Absicht der Täter, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören.

Internationale Gerichte behandelten unter anderem die Tötung Hunderttausender Angehöriger der Tutsi-Minderheit in Ruanda im Jahr 1994 als einen Völkermord. Auch die Massaker an Muslimen in Srebrenica im früheren Jugoslawien 1995 sowie die Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha in den 1970er Jahren wurden als Völkermord geahndet.

In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht wirft die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, nun Israel einen Völkermord vor. Es gebe hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieser Tatbestand bei dem Angriff auf den Gaza-Streifen erfüllt sei, schreibt sie. Die italienische Juristin argumentiert unter anderem, führende israelische Militärs und Politiker hätten eine „Absicht“ zum Völkermord ausgedrückt.

Obwohl der Report politisch für Streit sorgen dürfte, ist er nicht mit einem Gerichtsurteil zu vergleichen. Er hat keinen rechtsverbindlichen Charakter. Als Sonderberichterstatterin wurde Albanese zwar vom UN-Menschenrechtsrat berufen, sie spricht aber nicht für die Vereinten Nationen. Israel wies die Vorwürfe bereits zurück.

Auch losgelöst vom Nahost-Konflikt sorgt die Völkermord-Definition immer wieder für juristische Streitigkeiten und Auseinandersetzungen. Es ist etwa oft schwierig, die Absicht der Täter zu beweisen.