Umsturz in Mali

Nairobi (epd). In Mali haben Militärs die Macht übernommen. Präsident und Regierung sind zurückgetreten, das Parlament ist aufgelöst. Trotz internationaler Militärmissionen war das westafrikanische Land immer tiefer ins Chaos gerutscht. Die Chronik einer langen Krise: 

Kam der Putsch überraschend? 

Nein, denn seit langem ging die Bevölkerung auf die Straße, forderte den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Er wurde erstmals 2013 gewählt. Damals galt er als Hoffnungsträger in einer Krise, in der sich Mali nach dem Aufstand der Islamisten im Norden des Landes befand. 2018 wurde er im Amt bestätigt, obwohl er viele enttäuscht hatte. 

Was sind die Gründe für den aktuellen Unmut? 

Die Gründe sind vielfältig, der Unmut schwelt seit Jahren. Doch zuletzt gab es zwei wichtige Auslöser dafür, dass die Unzufriedenheit in Zorn umgeschlagen ist: Wegen der Corona-Pandemie gab es geschlossene Grenzen, eine zeitweise nächtliche Ausgangssperre und eine zunehmende Wirtschaftskrise. Hinzu kamen Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl im März und April. Die Wahl hätte schon 2018 stattfinden sollen, wurde aber wegen anhaltender Gewalt verschoben. Nun wurde trotz Corona gewählt und obwohl etliche Wahllokale aus Sicherheitsgründen noch immer nicht öffnen konnten. Die Regierungspartei RPM von Präsident Keïta gewann nach offiziellen Angaben deutlich Stimmen hinzu. Doch die Vorwürfe, es sei manipuliert worden, wurden immer lauter. Auch das Verfassungsgericht, das die Ergebnisse bestätigt hatte, geriet massiv unter Beschuss.  

Was sind die anhaltenden Probleme in Mali? 

Auf den Punkt gebracht: Staatsversagen, grassierende Korruption und die Unfähigkeit oder der Unwillen der Armee, die Bevölkerung zu schützen. Mali befindet sich seit rund acht Jahren fast durchgehend in der Krise, angefangen mit einem Militärputsch im März 2012. Mehrere bewaffnete Gruppen, darunter Islamisten, nutzten das Machtvakuum, eroberten den Norden des Landes. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich griff ein, zusammen mit afrikanischen Truppen. Sie konnten zwar die Gebietshoheit der bewaffneten Gruppen teilweise brechen, aber die islamistischen Gruppen blieben stark, verüben weiterhin regelmäßig Anschläge. 

Leidet vor allem der Norden Malis unter der Gewalt? 

Seit 2015 verlagerten sich die Konflikte in das bis dahin ruhige Zentrum des Landes. Hunderte Menschen wurden Opfer eskalierender Gewalt zwischen den Volksgruppen. Die Armee schützt die Bevölkerung in den Dörfern nicht, verübt ihrerseits Menschenrechtsverbrechen. Hinzu kommen Korruption und Bereicherung. Keïtas Amtszeit begann schon mit Beschaffungsskandalen, es ging um das Flugzeug des Präsidenten und militärische Ausstattung.  

Warum gelingt es den internationalen Truppen nicht, das Land zu stabilisieren? 

Die UN-Mission Minusma, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, hat ein beschränktes Mandat. Das Zentrum des Landes - also die Region, in der die meisten zivilen Opfer der Gewalt zu beklagen sind, gehört nicht dazu. Die Franzosen sind mit einer eigenen Militäroperation namens "Barkane" präsent, um gegen Terrorgruppen zu kämpfen. Ausländische Soldaten helfen aber nicht gegen strukturelle politische Probleme, zum Beispiel den massiven Drogenschmuggel, durch den sich auch bewaffnete Gruppen finanzieren, und von dem auch die militärische und politische Elite profitiert. Wichtig wäre eine konsequente Strafverfolgung. Und der Einsatz der malischen Armee zum Schutz der Zivilisten. 

Wer sind die wichtigsten Akteure der Protestbewegung? 

Seit Monaten versammelten sich die Demonstranten hinter Imam Mahmoud Dicko. Er ist ein gemäßigter Salafist und war einige Jahre Vorsitzender des nationalen Islamrates. Dicko ist konservativ, aber nicht radikal. Zuletzt hatte er zum Dialog aufgefordert und ein Ende der Gewalt verlangt. Für ihn spricht in den Augen der Bevölkerung, dass religiöse Autoritäten als "sauber" gelten, im Unterschied zur politischen Klasse.  

Wer gehört noch zur Opposition auf der Straße? 

Dicko ist Teil der "Sammlungsbewegung patriotischer Kräfte" (M5-RFP), die in den vergangenen Wochen immer wieder zu Demonstrationen aufgerufen hat. Dazu gehören auch säkulare Kräfte: Dutzende Kleinparteien und eine zivilgesellschaftliche Gruppe unter Leitung des linken Regisseurs Cheick Oumar Sissoko. Er ist als Cineast international anerkannt und ehemaliger Kulturminister. 

Wie geht es weiter?

Die Lage ist zurzeit unklar. Die Anführer des Militärputsches haben Neuwahlen "in einer angemessenen" Zeit versprochen. Die Gruppe nennt sich "Patriotische Kräfte des Nationalen Komitees zum Wohl des Volkes". Geleitet wird es von Ismaël Wagué, dem stellvertretenden Stabschef der Luftwaffe. Er hat versprochen, internationale Verträge einzuhalten.