Ukrainische Flüchtlinge in Rumänien: Sehnsucht nach Cherson

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist Rumänien zu einem Drehkreuz für ukrainische Flüchtlinge geworden. Die Hilfsbereitschaft ist groß, stößt jedoch an Grenzen. Das merkt auch die Diakonie Württemberg, die Projekte vor Ort unterstützt.

Stuttgart/Bukarest (epd). Tatjana ist den Tränen nah, als sie von der Lage in ihrer Heimatstadt Cherson im Süden der Ukraine erzählt. Das Haus, in dem sie vormals lebte, steht nicht mehr. Es wurde zerstört, wie weite Teile der Stadt. Tatjana versteht nicht, warum der Westen Russland nicht deutlicher Grenzen aufzeigt und der Ukraine noch stärker zur Seite springt. „Wir wollen doch auch nur in Frieden leben“, sagt sie mit brüchiger Stimme.

Tatjana ist kurz nach Kriegsbeginn zusammen mit ihrer inzwischen neunjährigen Tochter und ihrer Mutter aus der Ukraine ins Nachbarland Rumänien geflüchtet. Beide Länder verbindet eine 600 Kilometer lange Grenze. Auch Jana aus Odessa ist nach Rumänien geflüchtet, lebt mit ihrer sechsjährigen Tochter in einer kleinen Wohnung in Bukarest. Was Tatjana und Jana eint: Sie wollten bewusst nicht weiter weg - in der Hoffnung, bald in die Heimat zurück zu können. Zwei Jahre ist das nun her. Doch eine Rückkehr ist nicht absehbar.

Ein- bis zweimal pro Woche treffen sich Tatjana und Jana mit anderen geflüchteten Frauen in den Räumen des Vereins AIDRom in Bukarest, einer Agentur für sozial diakonische Aufgaben, die 1990 unter Beteiligung des Weltkirchenrates und der Konferenz Europäischer Kirchen gegründet wurde. Ziel des Vereins ist es, Flüchtlinge materiell, aber auch mit Rat und Tat zu unterstützen, etwa bei Behördengängen.

Katalin Zoltani leitet AIDRom. Sie muss derzeit häufiger Nein sagen. Denn die Mittel sind begrenzt. „Nach Ausbruch des Krieges gab es in Rumänien eine Welle der Hilfsbereitschaft“, berichtet Zoltani. „Viele Rumänen nahmen Ukrainer bei sich auf oder spendeten.“ Doch je länger der Krieg dauere, desto mehr stoße das vergleichsweise arme Rumänien bei der Unterstützung der Flüchtlinge an seine Grenzen.

Von den insgesamt rund drei Millionen Menschen, die seit Kriegsbeginn über die ukrainisch-rumänische Grenze geflohen sind, waren im Februar 2024 laut statista noch knapp 80.000 im Land registriert. Einen Asylantrag müssen sie nicht stellen. Sie genießen in Rumänien ein sogenanntes temporäres Aufenthaltsrecht, können kostenlos zum Arzt gehen und ihre Kinder auf eine rumänische Schule schicken. Ukrainische Familien erhalten vier Monate lang 150 Euro monatlich für eine Unterkunft, Alleinstehende etwas weniger. Hinzu kommen 120 Euro pro Kopf und Monat für Lebensmittel.

Weil das im teuren Bukarest vielfach nicht ausreicht, um über die Runden zu kommen, gibt es Hilfsorganisationen wie AIDRom. „Manche Rumänen reagieren aber zunehmend mit Unverständnis auf unsere Arbeit“, so Katalin Zoltani: „Sie fragen: Warum bekommen die so viel Unterstützung, wo es doch genügend arme Rumänen gibt?“ Umgekehrt könnten viele Ukrainer nicht verstehen, warum die Solidarität mit ihnen nicht mehr so groß sei wie zu Beginn des Krieges. „Manche, die zu uns kommen, und die wir wegschicken müssen, weil wir nichts mehr zum Verteilen haben, werden auch aggressiv“, erzählt Zoltani. In solchen Situationen sei Fingerspitzengefühl gefragt.

„Um eine Verständigung zu erzielen, braucht es mehr, als nur die Sprache des Gastgeberlandes zu erlernen“, sagt Petúr Thorsteinsson. Er ist Geschäftsführer der Landesstelle „Hoffnung für Osteuropa“ innerhalb des Diakonischen Werkes Württemberg. Die Organisation, für deren Arbeit auch in diesem Jahr die Kollekte am Karfreitag bestimmt ist, unterstützt AIDRom seit 20 Jahren. „Es braucht vor allem die Bereitschaft, die Kultur und die Mentalität des anderen zu verstehen“, sagt Thorsteinsson.

Jana aus Odessa stimmt ihm zu und nennt ein Beispiel für solche Mentalitätsunterschiede: Für Ukrainerinnen sei eine Selbstverständlichkeit, penibel auf ihr Äußeres zu achten: „Das sagt nichts über die finanziellen Verhältnisse der Frau aus.“ Manche Rumänen hingegen meinten, Ukrainerinnen, die sich schick kleiden und auffällig schminken könnten, brauchten keine Unterstützung.

Jana und Tatjana lernen Rumänisch, haben inzwischen auch Arbeit gefunden und schicken ihre Kinder in öffentliche Schulen. Sie wollen sich in die Gesellschaft einfügen und niemandem auf der Tasche liegen. Ihr herzinniglicher Wunsch bleibt es trotzdem, in die Heimat zurückkehren zu können. Möglichst bald.