Ukraine-Krieg: Neue Fenster für Kateryna
Als die russischen Truppen Isjum verließen, waren 80 Prozent der Infrastruktur beschädigt. Viele Einwohner waren weg, manche blieben - oft in kaputten Häusern. Hilfsorganisationen schaffen mit einfachen Reparaturen ein Wohnumfeld für sie.
Isjum (epd). Als der Beschuss am stärksten war, saß Kateryna zwischen Kleiderschrank und Bett in ihrer kleinen Stube und versuchte, mit den Händen ihren Kopf zu schützen. Draußen flogen die Geschosse, Splitterbomben explodierten. Die Fenster von Katerynas kleinem Haus gingen zu Bruch, die Tür flog aus den Angeln, auch das Dach bekam etwas ab. In den Verputz des Hauses bohrte sich ein Splitter, nur wenige Zentimeter unter dem Fenster. In der Nachbarschaft bekam ein junger Mann Splitter einer Bombe in Kopf und Herz und starb, erzählt Kateryna. An Herausgehen war nicht zu denken.
Wochenlang war Isjum im Oblast Charkiw im Osten der Ukraine im Frühjahr 2022 Schauplatz heftiger Kämpfe, ehe die russischen Truppen die Stadt besetzten. Als sich die Russen nach fünf Monaten im September 2022 schließlich zurückziehen mussten, war nur noch ein Viertel der ursprünglich 46.000 Einwohner in der Stadt. 80 Prozent der Infrastruktur waren beschädigt oder zerstört, auch das Haus der 73-jährigen Kateryna Nikolaevna Zigankova mit dem kleinen lebenserhaltenden Gemüsegarten. „Doch wohin hätte ich gehen sollen?“, fragt die ehemalige Kindergärtnerin.
In Katerynas Küche hängt noch immer der Kalender von 2022. Das kleine, flache Haus ist alt, die Wohnstube zugleich Schlafzimmer, die Küche einfach eingerichtet. Gekocht wird auf einem Ofen, der mit Holz geheizt wird. Im Garten rund um das Haus wächst Gemüse, stapelt sich Feuerholz, hat Katerynas Hund sein Plätzchen.
Dass ihr Haus heute neue Fenster und eine neue Tür, ein wieder instand gesetztes Dach und Feuerholz hat, verdankt sie der ukrainischen Hilfsorganisation East SOS. Geld für die Reparaturen hätte die Rentnerin selbst nicht gehabt. Ein Jahr lang hat sie während Krieg und Okkupation nur von dem gelebt, was der kleine Garten hergab und was mit Nachbarn zu tauschen war. Der Partner der deutschen Diakonie Katastrophenhilfe half schließlich mit kostenlosen Reparaturen.
„Light repairs“ nennt sich das Konzept von East SOS. Der 29-jährige Mykola leitet dafür eines von insgesamt vier Teams zu je drei Leuten. „Insgesamt 261 Häuser haben wir hier in der Region schon repariert, weitere 100 sind in Planung“, erzählt Mykola. Längst ist der Trupp nicht mehr an Katerynas Haus, sondern in einem anderen Teil von Isjum tätig. Dächer werden mit Platten gedeckt, Fenster eingesetzt. Die „Light Repairs“ dauern meist nur drei, vier Tage, dann geht es zur nächsten Baustelle.
Die Fenster in Katerynas Haus sind aus Plastik. Das habe viele Vorteile, versichert Oksana Kuiantseva von East SOS. Die Fenster seien preiswerter, splitterten nicht, gingen bei Erschütterungen nicht so schnell kaputt und seien vor allem auf den teils kaputten Straßen viel leichter zu transportieren. Es sei auch schon vorgekommen, dass ein instandgesetztes Haus erneut beschädigt wurde.
Das Baumaterial für die Reparaturen holen sich die Bauteams aus einem Warenlager, das East SOS mithilfe der Diakonie Katastrophenhilfe in Isjum angelegt hat. Geleitet wird es von dem erst 19-jährigen Vitali. Er nimmt Bestellungen auf, hält das Lager in Ordnung, gibt Baumaterial aus. Vitali ist froh, hier einen Job gefunden zu haben: „Das ist zurzeit schwierig in Isjum.“ Die meisten Einwohner sind immer noch weg, vieles weiterhin zerstört, daran ändert die Arbeit der „Light repairs“-Teams nur wenig.
Trotz aller Bemühungen, den Menschen ein Umfeld zum Leben zu schaffen, könnte die Ukraine vor einem problematischen Winter stehen, glaubt Andrij Waskowycz vom Kiewer Büro der Diakonie Katastrophenhilfe. Russland habe inzwischen so viel Energieinfrastruktur in der Ukraine zerstört, dass Wärme für viele Menschen schon in wenigen Monaten ein kostbares Gut werden könnte. Dann könnten sich trotz aller Hilfen noch mehr Menschen in Richtung Westen auf den Weg machen, fürchtet Waskowycz - „einfach, weil sie frieren“.