Trauma über Generationen

Köln (epd). 75 Jahre nach Kriegsende erinnert die Frauenrechtsorganisation "Medica Mondiale" an das Leid von Millionen von Mädchen und Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs vergewaltigt wurden. Alle beteiligten Armeen hätten Vergewaltigungen und andere Übergriffe als Kriegswaffe eingesetzt, sagte die Ärztin und Frauenrechtlerin Monika Hauser dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Köln. Verlässliche Zahlen gebe es nicht, nur Schätzungen. Dies gelte auch für Vergewaltigungen durch Wehrmachtssoldaten. "Aber allein hier werden es sehr wahrscheinlich mehrere Hunderttausend gewesen sein."

Die Überlebenden sexualisierter Gewalt hätten niemals irgendeine Form von Unterstützung, Entschädigung oder Gerechtigkeit erfahren, kritisierte Hauser, die Medica Mondiale 1993 gründete. "Deswegen geht es uns um die Anerkennung dieses Leids. Wir wollen darauf hinweisen, was damals geschehen ist, auch hier in Deutschland." Betroffene hätten mit niemandem darüber reden können. "Es gab keinerlei angemessene psychosoziale Unterstützung, Traumata konnten nicht verarbeitet werden." Die Opfer der Gewalt hätten oft Schutzmechanismen aufgebaut, um im Alltag weiter bestehen zu können. "Dazu gehörte die Vermeidung von Emotion. Sie waren oft beziehungsunfähig, auch ihren Kindern gegenüber." 

Diese negativen Denkmuster seien oft als "transgenerationales Trauma" an Kinder und Enkelkinder weitergegeben worden. "Sie prägen unsere Gesellschaft bis heute, werden quasi mit der Muttermilch aufgesogen." Dabei sei systematische sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht nur ein Phänomen des Zweiten Weltkriegs, sondern Bestandteil nahezu jeder kriegerischen Auseinandersetzung, ebenso wie sexuelle Folter, Mord, Verschleppung und Versklavung. "Im Bosnien-Krieg vergewaltigten Soldaten und Paramilitärs Anfang der 90er Jahre zwischen 20.000 und 50.000 Frauen und Mädchen." Und während des Genozids in Ruanda 1995 seien nach Angaben von UNICEF zwischen 250.000 und 500.000 Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt geworden. 

Hauser setzt sich seit nunmehr 27 Jahren weltweit für die Rechte missbrauchter Frauen ein. So baute sie bereits 1993 mitten im Jugoslawienkrieg ein Frauentherapiezentrum in der bosnischen Stadt Zenica auf, um dort Vergewaltigungsopfern zu helfen. Das Ausmaß sexualisierter Gewalt weltweit habe sich seitdem nicht wirklich geändert, resümiert sie. "Aber immerhin ist dies nun auf der Agenda der Vereinten Nationen und anderer Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. Wir haben ein Bewusstsein für dieses Unrecht geschaffen und Hilfsansätze aufgebaut. Auch finden nun Schulungen vor Ort mit Gesundheitseinrichtungen statt." Das sei eine positive Entwicklung. Als 2014 Angehörige des sogenannten Islamischen Staates Tausende von Jesidinnen verschleppten und vergewaltigten, habe sich international eine breitere Öffentlichkeit solidarisiert. 

Dennoch gebe es in vielen Fällen immer noch keine juristische Gerechtigkeit. "Da mangelt es noch." Das politische wie gesellschaftliche Bewusstsein für die Notwendigkeit von Gewaltprävention, für die Bedeutung von kurz- und langfristiger Hilfe für Betroffene sowie eine Strafverfolgung der Täter müsse noch wachsen. Deswegen möchte Medica Mondiale einen Erinnerungsort in Köln schaffen, der länderübergreifend auf sexualisierte Kriegsgewalt hinweist. "Wir haben dazu bereits Gespräche mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker geführt, die das Projekt unterstützt." Nun gehe es darum, eine angemessene Form und einen Ort zu finden - nach Corona, "das ist uns dazwischen gekommen".