Tödliche Exporte

Stuttgart/Karlsruhe (epd). Bewährungsstrafen, Freisprüche und hohe Kosten für das Rüstungsunternehmen Heckler&Koch (H&K): Als das Stuttgarter Oberlandesgericht vor zwei Jahren sein Urteil über den illegalen Export von Sturmgewehren nach Mexiko verkündete, waren nicht alle Beteiligten zufrieden. Die Staatsanwälte wollten die verurteilten Firmenmitarbeiter hinter Gittern sehen, die Betroffenen selbst erkannten ihre Schuld nicht an und die Waffenbauer wollten nicht akzeptieren, dass ein Millionenbetrag ihres Betriebsvermögens eingezogen werden soll. Alle gingen in Revision. Am Donnerstag verhandelt nun der Bundesgerichtshof (BGH) darüber, ob die Richter richtig entschieden haben.

Der rechtswidrige Export der G36-Gewehre hatte auf beiden Seiten des Atlantiks großes Aufsehen erregt. Die Hälfte der knapp 10.000 Waffen, die zwischen 2006 und 2009 nach Mexiko geliefert wurden, landeten in vier Bundesstaaten, für die die deutschen Exportbehörden wegen der schlechten Menschenrechtslage explizit keine Genehmigung erteilt hatten. Um dies zu verschleiern, hatten H&K-Mitarbeiter in Kooperation mit dem Kunden, dem mexikanischen Verteidigungsministerium, Dokumente so manipuliert, dass die "verbotenen" Regionen nicht genannt wurden.

Doch Recherchen im Bundesstaat Guerrero bestätigten: Polizisten trugen das Sturmgewehr, als sie im September 2014 gemeinsam mit Kriminellen eine Gruppe von Studenten angriffen. Sechs Menschen starben, 43 junge Männer wurden verschleppt und vermutlich getötet. Der 19-jährige Aldo Gutiérrez liegt seitdem im Koma. "Sie haben ihm direkt in den Kopf geschossen", sagt sein Bruder Leonel. Und der Leiter der Menschenrechtsorganisation Centro ProDH, Santiago Aguirre, erklärt: "Es steht außer Zweifel, dass genau in dieser Situation mit G36-Gewehren geschossen wurde."

H&K habe schwere Schuld auf sich geladen, betont der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin. Er zeigte die Firma 2010 zusammen mit dem Rechtsanwalt Holger Rothbauer an. Ein ehemaliger H&K-Mitarbeiter hatte ihm vom Verbleib der G36 berichtet. Dass das Unternehmen den Verkaufserlös des illegalen Geschäfts von 3,7 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen soll, hält er für absolut gerechtfertigt. "Ich erwarte, dass der BGH die Revision des Unternehmens abschmettert", sagt er.

Die Karlsruher Richter werden auch verhandeln, ob die Verurteilung eines Vertriebsleiters und einer Sachbearbeiterin zu Bewährungsstrafen von 22 beziehungsweise 17 Monaten Haft rechtmäßig war. Der damalige H&K-Vertreter in Mexiko wurde aus dem Verfahren ausgeklammert, weil er nicht vor Gericht erschien. Drei weitere Angeklagte sprach das Gericht frei - so auch den ehemaligen Geschäftsführer Peter Beyerle, der vor seiner Tätigkeit für die Firma Landgerichtspräsident in Rottweil war.

Zudem wird sich der BGH den "Endverbleibserklärungen" annehmen. Mit diesen Dokumenten des Kunden bestätigt ein Unternehmen, dass ausgeführte Waffen nicht in Regionen landen, in die sie nicht gehen dürfen. Sie galten den Behörden bislang als Garant dafür, dass die gefährlichen Güter nicht in die falschen Hände geraten. Das Stuttgarter Gericht hatte sie jedoch als rechtlich nicht bindend bezeichnet und damit die bisherige Praxis ad absurdum geführt. "Es wäre ein großer Erfolg, wenn das BGH diese Verbindlichkeit bestätigen und trotzdem den Etikettenschwindel mit ihnen als völlig untaugliches Mittel der Rüstungsexportkontrolle bezeichnen würde", sagt Anwalt Rothbauer.

Tatsächlich hatte keine deutsche Behörde in Mexiko geprüft, ob die Sturmgewehre nur in den Regionen landeten, die in den Endverbleibserklärungen angegeben waren. Für die Angehörigen der Studenten wäre es deshalb ein wichtiges Signal, wenn der BGH ein eindeutiges Urteil gegen H&K fällt, erklärt Sofia de Robina vom Centro ProDH. Es würde den Gewaltopfern im Kampf gegen Straflosigkeit helfen. "Während in Deutschland ein Prozess gegen die Firma geführt wurde, gibt es in Mexiko nach Angaben des Verteidigungsministeriums keine Ermittlungen gegen den General, der mutmaßlich für die illegalen Lieferungen verantwortlich war", kritisiert sie.

De Robina hatte den Stuttgarter Prozess besucht, um auf die Konsequenzen der gefährlichen Exporte aufmerksam zu machen. Doch das Gericht ließ in seiner Stellungnahme zum Urteil keine Zweifel daran, "dass Gegenstand des Verfahrens ausschließlich der illegale Waffenexport war, nicht auch der Einsatz von Waffen in Mexiko".