Taliban rücken in Afghanistan weiter auf Kabul vor

Frankfurt a.M. (epd). In Afghanistan rücken die Taliban immer weiter auf die Hauptstadt Kabul vor. Am Donnerstag fiel mit Ghazni die zehnte Provinz in Folge in die Hände der radikal-islamischen Miliz, wie der TV-Sender Tolo News berichtete. Der Gouverneur von Ghanzi floh aus der gleichnamigen Provinzhauptstadt, die nur 130 Kilometer südwestlich von Kabul liegt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zog mit Blick auf den Vormarsch der radikal-islamischen Miliz eine gemischte Bilanz des 20-jährigen Bundeswehreinsatzes.

Am Donnerstag lieferten sich Regierungstruppen und Taliban heftige Kämpfe in zahlreichen Teilen Afghanistans. In Laschkar Gah, der Hauptstadt der Helmand-Provinz im Süden des Landes, nahmen die Aufständischen das Polizei-Hauptquartier ein. In Kandahar, der zweitgrößten Stadt Afghanistans, stürmten die Taliban das Zentralgefängnis und befreiten Gefangene. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des Jahres 359.000 Afghaninnen und Afghanen vor den Kämpfen geflohen.

Angesichts einer möglichen Machtübernahme der Taliban drohte Außenminister Heiko Maas (SPD), die finanzielle Hilfe für Afghanistan auszusetzen. „Wir werden keinen Cent mehr nach Afghanistan geben, wenn die Taliban dieses Land komplett übernommen haben, die Scharia einführen und dieses Land ein Kalifat wird“, sagte Maas am Donnerstag im „Morgenmagazin“ des ZDF. Deutschland unterstützt Afghanistan nach Angaben des Außenministers mit jährlich 430 Millionen Euro.

Maas kündigte auch eine Aktualisierung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes an, der den deutschen Behörden als Grundlage für Abschiebentscheidungen dient. „Dort wird von einer deutlich schlechteren Sicherheitslage auszugehen sein“, sagte er. Am Mittwoch hatte das Bundesinnenministerium entschieden, wegen der eskalierenden Gewalt vorerst keine Afghaninnen und Afghanen mehr abzuschieben. Allerdings sollen die Rückführungen laut Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wieder aufgenommen werden, sobald es die Lage zulasse.

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sprach von bitteren Bildern aus Afghanistan. Zwar sei in den vergangenen Jahren aus dem Land kein Terrorismus exportiert worden, sagte sie dem Deutschlandfunk. Aber es sei nicht gelungen „aus Afghanistan ein anderes Land zu machen, es nachhaltig positiv zu wenden“. Das gehöre zur Realität und zur Betrachtung des Militäreinsatzes dazu. Nach Angaben der Bundeswehr sind bei dem Einsatz in Afghanistan 59 deutsche Soldatinnen und Soldaten gestorben.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sagte, es brauche eine „offene und ehrliche“ Debatte über das „komplette militärische Scheitern“ in Afghanistan. Das katholische Hilfswerk Caritas International forderte mehr humanitäre Hilfe für die afghanische Bevölkerung. Die Menschen litten nicht nur unter den anhaltenden Kämpfen sondern auch an akutem Hunger und der Corona-Pandemie, sagte der Leiter des Caritas-Büros in Afghanistan, Stefan Recker.

Ende August wollen die USA ihren Militäreinsatz in Afghanistan nach fast 20 Jahren ganz beenden. Fast alle Militärbasen sind bereits an die afghanische Armee übergeben worden. Zugleich stocken die Verhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban im katarischen Doha. Auch am dritten Tag einer neuen Verhandlungsrunde gab es keinerlei nennenswerte Ergebnisse. Laut Berichten des katarischen Senders Al Dschasira soll die afghanische Regierung in Kabul den Taliban eine Regierungsbeteiligung angeboten haben, wenn sie im Gegenzug auf Gewalt verzichten.