Tag der Erleuchtung

Washington (epd). Der 25. Mai ist in den USA der Memorial Day, der Nationalfeiertag zum Gedenken an gefallene Soldaten. Diesmal wird er für etwas anderes stehen: An diesem Tag vor einem Jahr tötete ein weißer Polizist in Minneapolis den Afro-Amerikaner George Floyd. Eine Passantin filmte mit ihrem Smartphone wie Derek Chauvin sein Knie fast neun Minuten lang auf Floyds Hals drückte. „I can't breathe“ (deutsch: „Ich kann nicht atmen“) wurde zum Slogan der „Black Lives Matter“-Bewegung, die später gegen Polizeigewalt demonstrierte. Es sind die Worte, mit denen der Festgenommene um sein Leben flehte. Doch Reformen wurden auch ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod Floyds nur begrenzt umgesetzt.

Millionen Menschen - nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland - gingen nach Floyds Tod wochenlang auf die Straße gegen Polizeibrutalität und Rassismus. Es seien die größten Kundgebungen der US-Geschichte gewesen, sagte der Linguist Noam Chomsky rückblickend im Informationsdienst truthout.org. Er ist langjähriger Wegbegleiter und Denker progressiver Bewegungen.

Das „George Floyd Memorial Center“ in Raleigh in Floyds Heimatstaat North Carolina sieht den 25. Mai als „Day of Enlightenment“. An diesem „Tag der Erleuchtung“ seien Menschen aufgewacht angesichts der Realität der Polizeibrutalität gegen „marginalisierte Bevölkerungsgruppen, besonders gegen die schwarze Community“. George sei „nicht umsonst gestorben“, erklärte Floyds Onkel Roger Floyd. Es gehe jetzt um das Durchsetzen von „greifbarer Veränderung“.

Doch politische Veränderungen und Veränderungen bei der Polizei gestalten sich zäh. Noch während des Prozesses gegen Chauvin im April erschoss eine weiße Polizistin wenige Kilometer von Minneapolis entfernt einen jungen Afro-Amerikaner bei einer Verkehrskontrolle.

Laut Datensammlung der „Washington Post“ haben Polizisten seit 2015 im Schnitt rund Tausend Menschen im Jahr erschossen. 2021 seien es bisher mehr als 340. Schwarze werden gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil in den USA mehr als doppelt so häufig von Polizisten getötet wie Weiße. Die „New York Times“ wertete im Juni 2020 Daten zu Polizeieinsätzen in dem 430.000 Einwohner zählenden Minneapolis seit 2015 aus: 58 Prozent der Fälle mit Gewaltanwendung seien gegen Schwarze gerichtet gewesen. Schwarze stellen 19 Prozent der Stadtbevölkerung.

Der Reformwillen hält sich selbst in Minneapolis, dem Epizentrum der auch zu Krawallen ausgeuferten Proteste, weiter in Grenzen. „Black Lives Matter“ und manche Bürgerrechtler fordern, der Polizei müsse die Finanzierung entzogen werden. Mittel sollten umgeleitet werden für Jugendarbeit, Soziales, Drogenprävention und die Versorgung psychisch Kranker.

Bürgermeister Jacob Frey legte am 17. Mai erst einmal ein weniger weit reichendes Reformpaket vor, wie der örtliche TV-Sender KARE berichtete. Frey versprach veränderte Polizeiausbildung mit Schwerpunkt auf Deeskalation. Gleichzeitig plant der Bürgermeister bessere Bezahlung von Überstunden für Polizisten. Die Polizei solle ihre Präsenz verstärken können.

US-Präsident Joe Biden hat derweil den Kongress gedrängt, noch vor dem Jahrestag ein nach George Floyd benanntes Reformgesetz zu verabschieden. Es würde dem US-Generalstaatsanwalt mehr Einfluss auf Ermittlungen gegen die Polizei geben, Standards für Gewalt und den Gebrauch der Schusswaffen verschärfen und Zivilklagen gegen Polizisten erleichtern. Die nationale Macht ist aber begrenzt: In den USA sind an die 18.000 Polizeibehörden tätig, die ihre eigenen Regeln aufstellen. Republikanische Politiker haben sich gegen Bidens Reform ausgesprochen.

Derek Chauvin wurde inzwischen wegen Totschlags verurteilt. Ihm drohen Jahrzehnte Haft. Das Strafmaß soll im Juni verkündet werden. Drei bei der Festnahme mitwirkende Ex-Polizisten kommen im März 2022 vor Gericht.