Stoppschild für Atommächte

Berlin (epd). Zwei Stunden, nachdem das Nobelkomitee in Oslo bekanntgab, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) geht, stehen junge Menschen im Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin im Kreis, ein Glas Sekt in der Hand, und können es kaum fassen. Die Organisation mit Hauptsitz in Genf und einem weltweiten Netzwerk von Unterstützern hat die höchste Auszeichnung bekommen, die es für ihre Arbeit gibt.

Wenig später sitzt Sascha Hach vor den Mikrofonen und sagt: "Ich bin überwältigt". Hach gehört dem Vorstand von ICAN Deutschland an. Schon mehrfach war die 2007 von zwei australischen Ärzten gegründete Kampagne für den Friedensnobelpreis nominiert, vorbereitet war man dennoch nicht. 

Der größte Erfolg von ICAN, der nun zu der Auszeichnung geführt hat, wurde in Deutschland wenig beachtet, da im Juli zeitgleich der G-20-Gipfel in Hamburg alle öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchte. 122 Staaten beschlossen damals einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. Jahrelang hatten ICAN-Aktivisten dafür gearbeitet und ihre jeweiligen Regierungen überzeugt, an den im Rahmen der UN geführten Verhandlungen teilzunehmen. Seit dem 20. September, seitdem der Vertrag in New York zur Unterzeichnung liegt, haben laut Hach mehr als 50 Staaten unterschrieben. 

Dieser Vertrag sei "wie eine Rebellion im Stillen", sagt Hach, "eine Rebellion der schwachen Staaten". Sie hielten den Atommächten, von denen keine an den Verhandlungen teilnahm, ein Stoppschild hin. Die Bundesregierung müsse diesem Vertrag beitreten, fordert Hach. "Deutschland hat die Bedeutung dieses politischen Prozesses völlig verkannt", kritisiert er. Die Bundesrepublik sei ihrem Gewicht in der Welt nicht gerecht geworden.

Xanthe Hall, ebenfalls im Vorstand von ICAN Deutschland und Mitgründerin der Organisation, zieht als erfahrene langjährige Streiterin die großen Linien: Nach dem Vorbild der Kampagnen gegen Landminen und Streumunition habe die Kampagne gegen Atomwaffen "mit den Staaten angefangen, die mitmachen wollen", sagt Hall. Spätestens im Jahr 2000 habe man erkennen müssen, dass die alte Idee einer Nuklearwaffenkonvention, an der unbedingt auch die Atommächte beteiligt sein müssten, gescheitert sei. Das sei die Stunde der jungen Aktivisten gewesen.

Die gebürtige Schottin arbeitet als Geschäftführerin der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) in Berlin. Sie hat sich dem Kampf gegen die nukleare Abschreckung verschrieben - aus einer zutiefst menschlichen Haltung gegenüber den möglichen Opfern eines atomaren Konflikts heraus: "Wir können nicht helfen." Deshalb dürften "auf keinen Fall und unter keinen Umständen Atomwaffen eingesetzt werden". In Zeiten, da der US-amerikanische Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un sich gegenseitig mit atomaren Schlägen drohten, müsse man das umso lauter sagen.

Hall hat damit gerechnet, dass die Vermittler des Atomabkommens mit dem Iran, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif den Friedensnobelpreis bekommen, um die Bedeutung des Abkommens zu unterstreichen, nachdem US-Präsident Donald Trump damit gedroht hat, es zu kündigen. Dass sich das Nobelkomitee anders entschieden hat, bedeutet aus ihrer Sicht einen Perspektivwechsel.

Einzelne Abkommen zur Reduzierung der Atomwaffen, sagt Hall, seien wie Feuerlöschen. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen aber kehre die Logik um und mache die atomwaffenfreien Staaten zu Akteuren. Sie glaube, dass das Nobelkomitee dies verstanden habe: "Es freut mich so sehr, dass sie das große Bild gesehen haben."