Sitzen bis zum Friedensvertrag

Rio de Janeiro (epd). In Kolumbien herrscht Aufbruchstimmung. Die Chancen, den über 50 Jahre währenden Krieg im Land zu beenden, stehen so gut wie nie zuvor. Die Mehrheit der Bewohner unterstützt das Vorgehen von Präsident Juan Manuel Santos, per Dialog mit der größten Guerillagruppe Farc ein Friedensabkommen zu erreichen. Nun kündigte Santos an, ab Dienstag "ohne Unterbrechung" bis zu einer endgültigen Einigung weiter zu verhandeln. Zugleich herrscht auch Skepsis, ob dies gelingen wird. 

"Die Politiker und Kriegsherren haben den Kontakt zu den einfachen Leuten längst verloren, sie wissen nicht mehr, was für uns wichtig ist", sagt Marta Merano, eine Grundschullehrerin in der Hauptstadt Bogotá. Es sei gut, dass jetzt endlich gesprochen werde, statt zu schießen. "Aber ich glaube die Versprechen und die Friedensbeteuerungen nicht, weder seitens der Guerilleros noch der Regierung." Wie so viele Kolumbianer hat Merano die Hoffnung aufgegeben. Hunderttausende Tote, Millionen Vertriebene und immer neue, erfolglose Anläufe, die Kämpfe zwischen Armee, Paramilitärs, Drogenbanden und mehreren Rebellengruppen zu beenden, haben das Land zermürbt.

Trotz der offenen Wunden und aller Skepsis hat der konservative Präsident Santos den Frieden zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Bislang erfolgreicher als all seine Vorgänger. In zähen Verhandlungen in der kubanischen Hauptstadt Havanna wurden seit Anfang 2013 Teileinigungen in fast allen Verhandlungsthemen erreicht: In der Agrarfrage einigte man sich auf Ansätze einer Landreform und das Rückkehrrecht der Vertriebenen. Der Streit um Land und die Verarmung der Landbevölkerung war in den 50er Jahren der Anlass für den Aufstand der Rebellen.

Auch über die Beendigung des Drogenhandels als Finanzierung der Rebellen und die künftige Eingliederung ehemaliger Kämpfer ins Zivilleben gibt es Konsens. Die größte Hürde nahmen die Verhandlungsdelegationen im vergangenen September. Sie einigten sich auf eine Wahrheitskommission und die Einrichtung einer Übergangsjustiz, um die Gräueltaten des Krieges aufzuarbeiten. Vor allem die Opfergruppen haben darauf bestanden, dass der Frieden nicht mit dem Preis der Straflosigkeit für die Täter erkauft werden dürfe.

Für Felipe Pineda Ruiz vom Dachverband von Menschenrechtsorganisationen "Viva la Ciudadanía" ist die Einigung zur Übergangsjustiz der bisher größte Wurf der Regierung Santos. "Die Friedensgegner von Rechts können jetzt nicht mehr behaupten, dass der Dialog mit der Guerilla zu Straffreiheit führe", sagt der Sozialwissenschaftler. Der Einigung zufolge sollen alle schweren Verbrechen geahndet werden. Allerdings ist ein Strafnachlass vorgesehen, sofern die Täter zur Wahrheitsfindung im Interesse der Opfer beitragen. 

"Genauso wichtig ist, dass alle, also auch Soldaten, Polizisten und Zivilisten, wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden dürfen", ergänzt Pineda Ruiz. Vor allem soziale Bewegungen und Menschenrechtler hatten befürchtet, Santos werde nicht den Mut haben, Verbrechen des Staates in die juristische Aufarbeitung einzuschließen.

Doch auch, wenn der Vertrag unterschrieben sei, stehe Kolumbien noch am Anfang des Prozesses, sagt der Direktor der kolumbianischen Sektion des US-Hilfswerks LWR Emilio Huertas Arias. "Die größte und schwierigste Aufgabe steht uns noch bevor: Die konkrete Umsetzung des Friedensabkommens." Auch wenn auf dem Papier Frieden herrsche, seien noch längst nicht alle Kriegsparteien wirklich daran beteiligt.

Es wird nicht nur befürchtet, dass die rechten Hardliner um den sehr einflussreichen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe die Aussöhnung der Kriegsparteien boykottieren könnten. Kleinere Guerillagruppen und vor allem die mittlerweile als kriminelle Banden organisierten Paramilitärs zeigen wenig Bereitschaft, den Friedensbemühungen anzuschließen. 

Hinzu kommen zahlreiche soziale und ökonomische Konflikte. "Die Rückansiedlung von Zehntausenden internen Vertriebenen birgt ein großes Konfliktpotential", sagt Huertas Arias. Und in Regionen, in denen Bergbau betrieben wird, gebe es neue Konflikte zwischen Anwohnern und den Konzernen, die dort Gold oder Kohle abbauen. "Der Staat darf frühere Fehler nicht wiederholen, indem er aus wirtschaftlichen Interessen große Unternehmen fördert und die Interessen der Menschen vernachlässigt", mahnt Huertas Arias.