Seelsorger: Mehr gesellschaftliche Wertschätzung für Soldaten nötig

Munster (epd). Mit dem Krieg in der Ukraine ist nach Ansicht des evangelischen Militärseelsorgers Yves Töllner zwar das gesellschaftliche Interesse an der Bundeswehr gestiegen. Dennoch wünschten sich viele Soldatinnen und Soldaten mehr Anerkennung. Viele von ihnen befürchteten, das Interesse könne auch wieder einschlafen, sagte der Seelsorger in Munster in der Lüneburger Heide. „Sie fragen sich, wie ernst sie genommen werden in einem Beruf, in dem sie möglicherweise ihr Leben einsetzen.“

Seit der Wiedervereinigung sei die Truppe „immer kleiner gespart“ worden, erläuterte er. „Für ältere Soldaten war es nicht immer leicht, mit der damit einhergehenden geringeren gesellschaftlichen Wertschätzung umzugehen.“ Nicht erst mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine würden auch Nöte der Bundeswehr offenbar. Das gelte nicht allein mit Blick auf die Ausrüstung. „Statt 600.000 Soldatinnen und Soldaten im Jahr 1990 gibt es heute nur noch rund 185.000.“

Am Standort Munster sei spätestens mit der Diskussion um deutsche Panzerlieferungen in die Ukraine auch für die dort stationierten Soldatinnen und Soldaten der Krieg näher gerückt, sagte Töllner. Das treibe diese bei aller Professionalität um. „Sie sind Menschen, sie haben Ehepartner, Eltern, Kinder, Menschen, die sich sorgen und um die sie sich sorgen.“ Erst kürzlich sei bekannt geworden, dass in Deutschland die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung im vergangenen Jahr gestiegen sei.

Zu Töllners Gemeinde gehört auch das deutsch-niederländische Panzerbataillon 414 in Bergen. Am Standort Munster werden zudem ukrainische Soldaten zunächst am Marder-Schützenpanzer und später auch am Kampfpanzer Leopard ausgebildet. Dies habe ebenso einen Einfluss wie der bevorstehende Jahrestag des russischen Überfalls am 24. Februar, sagte der Pastor. „Das muss man sich vorstellen. Ich bilde jemanden aus, der in den Krieg zieht und weiß nicht, ob er lebend wieder herauskommt. Ein Soldat mit Kindern bildet einen Soldaten aus, der auch Vater ist.“

Das Interview im Wortlaut:

epd: Herr Töllner, verändert sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auch für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr etwas?

Yves Töllner: Das lässt sich schwer pauschal beantworten. Zu meiner Standort-Gemeinde gehört auch das deutsch-niederländische Panzerbataillon 414 in Bergen. Da bringt die Entscheidung über deutsche Panzerlieferungen den Krieg näher heran. Das gilt auch, wenn jetzt in Munster ukrainische Soldaten ausgebildet werden. Es nähert sich der 24. Februar und damit der Jahrestag des russischen Überfalls. Auch das ist ein Einschnitt.

Soldatinnen und Soldaten sind für den Kriegsdienst ausgebildet. Aber sie sind Menschen, sie haben Ehepartner, Eltern, Kinder, Menschen, die sich sorgen und um die sie sich sorgen. Es ist ja bekannt, dass die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung im vergangenen Jahr gestiegen ist. Durch den überflüssigen, sinnlosen Angriff Russlands auf die Ukraine hat zugleich unsere Gesellschaft insgesamt den Ernst des soldatischen Dienstes neu erkannt.

epd: Bedeutet das mehr Wertschätzung nach dem Eindruck der Soldatinnen und Soldaten?

Töllner: Seit der Wiedervereinigung ist die Truppe immer kleiner gespart worden. Für ältere Soldaten war es nicht immer leicht, mit der damit einhergehenden geringeren gesellschaftlichen Wertschätzung umzugehen. Jetzt ist plötzlich Krieg in der Nachbarschaft und die Nöte werden offenbar. Das gilt nicht nur für die Ausrüstung der Bundeswehr. Statt 600.000 Soldatinnen und Soldaten im Jahr 1990 gibt es heute nur noch rund 185.000.

Zwar steigt das Interesse der Zivilgesellschaft. Aber viele Soldaten befürchten, dieses Interesse ist nur eine Momentaufnahme und schläft wieder ein. Sie fragen sich, wie ernst sie genommen werden in einem Beruf, in dem sie möglicherweise ihr Leben einsetzen.

epd: Sie erteilen den Soldatinnen und Soldaten sogenannten „lebenskundlichen Unterricht“ zu ethischen und religiösen Fragen. Was ist Ihnen dabei jetzt wichtig?

Töllner: Die Militärseelsorge darf den Soldatinnen und Soldaten weder ein gutes noch ein schlechtes Gewissen machen. Wir müssen ihnen Rückendeckung geben. Worum es geht, ist der Blick ins eigene Herz - eine Gewissensschärfung. Das ist nicht einfach.

Für mich ist da immer wieder der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) leitend, der während der Nazi-Zeit sein Gewissen immer wieder neu geprüft hat. Bonhoeffer stand dem Pazifismus nahe. Er war geprägt davon, dass sein älterer Bruder aus dem Ersten Weltkrieg nicht zurückkam. Zugleich war er verbunden mit dem militärischen Widerstand gegen Hitler. Von ihm kommt die Aussage „Man muss dem Rad in die Speichen fallen“.

Es kann nötig sein, einzugreifen, um die Schwachen zu schützen. Die Massaker in Ruanda oder auch im serbischen Srebrenica hätten verhindert werden können. Gleichzeitig müssen wir als Kirche Stimme im Konzert der Friedensbemühungen sein. Wir müssen betend hoffen, betend über den Tag hinausdenken und alles an diplomatischen und zivilen Mitteln aufbringen, um den Krieg zu beenden.

epd: Sie sprachen schon davon, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten jetzt in Munster auch Soldaten aus der Ukraine ausbilden ...

Töllner: Ja, das muss man sich vorstellen. Ich bilde jemanden aus, der in den Krieg zieht und weiß nicht, ob er lebend wieder herauskommt. Ein Soldat mit Kindern bildet einen Soldaten aus, die auch Vater ist. Man lernt sich kennen, sieht sich in die Augen. Da geschieht auch etwas. Da müssen wir als Kirche im Blick behalten, was dabei mit der menschlichen Seele geschieht.

Zur Person:

Yves Töllner (58) ist seit rund fünf Jahren evangelischer Militärseelsorger im Pfarrbezirk Munster I in der Lüneburger Heide. Der verheiratete Familienvater leistete nach dem Abitur zunächst 15 Monate Grundwehrdienst, bevor er in Hamburg und Göttingen Theologie studierte. Nach dem Vikariat in zwei Gemeinden und bei der Inneren und Äußeren Mission war er über zwei Jahrzehnte lang als Gemeindepastor in Bremen tätig.

Das evangelische Militärpfarramt Munster I ist zuständig für die Standorte Bergen-Hohne, Loheide und Munster in der Lüneburger Heide. In der Niedersachsenkaserne in Loheide ist unter anderem das deutsch-niederländische Panzerbataillon 414 stationiert. Die Militärseelsorge bietet neben der persönlichen Seelsorge regelmäßige Standortgottesdienste und den sogenannten „Lebenskundlichen Unterricht“ an. Sie veranstaltet zudem sogenannte „Rüstzeiten“, Freizeiten für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien.