Schock und Trauer nach Synagogen-Attentat in Halle

Halle (epd). Igor Matriyets steht vor den Mauern der Synagoge. Er trägt an diesem Donnerstagmorgen demonstrativ seine Kippa. Das macht er sonst eigentlich nicht. Aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus, und weil er seinen Glauben so beschreibt: "Wie ein Christ, der auch nur Weihnachten in die Kirche zum Gottesdienst geht." Heute ist aber alles anders. Der 28-Jährige ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Halle in Sachsen-Anhalt, die am Mittwochabend zur Zielscheibe eines offenkundig rechtsextremistischen und antisemitischen Anschlags geworden ist. Der junge Mann war geschockt, als er von der Tat in den Nachrichten erfuhr. Zwei Menschen wurden am Mittwochabend in der Saalestadt ermordet, erschossen.

Die Bundesanwaltschaft, die am Mittwoch sehr schnell die Ermittlungen übernommen hatte, wollte noch am Donnerstag einen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Attentäter beantragen. Nach den Schüssen vor der Synagoge fielen auch bei einem nahegelegenen Döner-Imbiss tödliche Schüsse. Am Tag nach der Tat ist das Entsetzen und die Trauer groß, manche ringen nach Worten, andere finden klare Worte. Vor der Synagoge legen immer wieder Anwohner und zahlreiche Politiker Blumen, Blumengebinde und kleine Steine nieder, zünden Kerzen an, auch eindeutige Botschaften sind darunter: "Nie wieder rechter Wahnsinn!". Alle wollen ein Zeichen setzen, ihre Anteilnahme und Solidarität bekunden. Eine Initiative verteilt Schleifen zum Anstecken, als Zeichen gegen Antisemitismus.

Benjamin Leins hängt ein Plakat aus dem Fenster, direkt gegenüber dem Tatort. Es trägt die Aufschrift: "Humboldstraße gegen Antisemitismus und Hass". Der Student der Kirchenmusik wohnt hier und er will nicht, dass der Täter und sein Anliegen im Fokus steht. Die Gemeindemitglieder kennt er vom Sehen. Manche grüßt er. Zum Zeitpunkt der Tat habe er einen lauten Knall gehört, berichtet er. Das Paulusviertel ist eine beliebte Wohngegend in Halle, auch viele Studenten wohnen hier, viele Familien. Die Humboldtstraße ist eine kleine Straße mit alten Wohnhäusern und großen Bäumen. Mittendrin die jüdische Gemeinde mit dem angrenzenden Friedhof. Nun dominiert die Polizei und die Präsenz der Medienvertreter das Bild.

Einen lauten Knall hörte auch Christina Feist. Die 29-Jährige war am Donnerstagabend selbst in der Synagoge. Sie war extra mit einer Besuchergruppe aus Berlin angereist, um hier den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu feiern: "Wir haben gebetet." Immer wieder erzählt sie ihre Erlebnisse vor den Kameras und Mikrofonen der internationalen Presse, auf Deutsch, auf Englisch. Sie berichtet, über die installierte Kamera vor der Synagoge habe man drinnen verfolgen können, dass ein Mann in Kampfmontur in das Gebäude eindringen wollte. "Ich hoffe, dass es nie wieder so ein Jom Kippur gibt." Dann bricht sie ab, ist schöpft. 

Was passiert ist, hat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, selbst noch gar nicht richtig verarbeitet: "Es war furchtbar, ganz schrecklich." Am Morgen dachte er noch, das müsse ein schlechter Traum gewesen sein. Er empfängt kurze Zeit später Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, Landesinnenminister Holger Stahlknecht (beide CDU) und den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. In stillem Gedenken stehen sie vor dem Tatort, der zu diesem Zeitpunkt noch im Schatten liegt. Die Sonne scheint inzwischen auf das abgesperrte Synagogen-Gebäude. Nach dem Gespräch sagt Steinmeier: "Die Geschichte mahnt uns, die Gegenwart fordert uns."

Gleich anschließend reist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an. Privorozki will mit ihm über die Sicherheit jüdischer Einrichtungen sprechen. Insgesamt sieht er da Versäumnisse, sagt er. Das Geschehen zu verarbeiten, das brauche Zeit. Er fügt hinzu: "Gestern hatte ich Angst."