"Putins Militäraufmarsch" bedroht ganz Europa

Frankfurt a.M. (epd). Petro Bokanov ist tief besorgt über die Lage in seiner Heimat. „Wir nehmen die Situation an den Grenzen der Ukraine sehr ernst und bitten alle unsere Verbündeten, uns zur Seite zu stehen“, sagt der Priester der ukrainisch-orthodoxen Gemeinde Frankfurt am Main und Mannheim. „Gott der Große, der Eine, rette die Ukraine für uns!“

Der Geistliche setzt seit Wochen alle Hebel in Bewegung, um für diplomatische Lösungen zu werben, aber auch, um bei einem Einmarsch gewappnet zu sein. Vor wenigen Tagen hat er zusammen mit Landsleuten auf dem Frankfurter Römerberg demonstriert.

Zudem hat er zusammen mit dem Vorsitzenden des Ukrainischen Vereins Frankfurt, Stepan Rudzinskyy, einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfasst. Darin fordern sie ihn unter anderem auf, die Lieferung von Verteidigungswaffen in die Ukraine sowie die EU- und Nato-Perspektive des Landes nicht zu blockieren. Zudem müsse Deutschland im Falle einer Eskalation die Gaspipeline „Nord Stream 2“ stoppen.

„Putins gigantischer Militäraufmarsch ist eine Bedrohung für ganz Europa: die wirtschaftliche Stabilität, das demokratische System. Der Frieden und die Freiheit sind in realer Gefahr“, heißt es in dem Schreiben an Scholz. Falls es zum Äußersten komme, stelle die Ukraine „die letzte Verteidigungslinie für das demokratische Europa“ dar.

Bokanov weiß, wovon er spricht. Er sei mehrmals als Militärkaplan an der Frontlinie in der Ostukraine gewesen und habe mit eigenen Augen die schrecklichen Folgen des Krieges gesehen, erzählt er. Außerdem betreue er seit vielen Jahren ukrainische Soldaten, die im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz behandelt werden.

Bokanov und Rudzinskyy sorgen sich vor allem um die Familien der mehr als 13.000 getöteten Menschen im Donbas, die mehrere Tausend Verwundeten, die rund zwei Millionen Kriegsflüchtlinge sowie ihre eigenen Angehörigen. Im Falle des Finanzfachmanns Rudzinskyy sind es die Eltern, die im westukrainischen Ternopil leben. Er telefoniere regelmäßig mit ihnen, besucht habe er sie seit Pandemiebeginn aber nicht mehr.

Die Propaganda-Maschine in den russischen Medien laufe auf Hochtouren, berichtet der Vater von zwei Kindern. Viele Russen sprächen der Ukraine die Eigenständigkeit ab. Entsprechend gewarnt seien die Ukrainer. In allen größeren Städten schlössen sich Freiwillige „Territorialen Verteidigungseinheiten“ an.

Der Truppenaufzug an der Grenze zur Ukraine bereitet auch Valentyna Sobetzka schlaflose Nächte. „Ich habe große Angst, dass es zu einem Krieg kommt“, sagt die Vorsitzende des Vereins „Kinderhilfe Ukraine Rhein-Neckar für Novograd-Volynskij“. Oder besser: „Dass der seit 2014 begonnene Krieg im Osten des Landes jetzt auch das ganze Land erfasst.“

Sie bange um ihren in der Hauptstadt Kiew lebenden Sohn und die zwei Enkel, um Verwandte und Freunde, betont die 52-Jährige. Konkret befürchtet sie Angriffe auf die großen Brücken über den Dnjepr in Kiew und auf den 41 Kilometer langen Damm eines Stausees im Norden der Stadt.

Sobetska stammt aus dem westukrainischen Novograd-Volynskij und lebt seit 2013 in Ludwigshafen am Rhein. Unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und dem blutigen Konflikt in der Ostukraine gründete sie 2014 mit Freunden und Bekannten den Verein, um kinderreichen Familien in der 50.000 Einwohner zählenden Garnisonsstadt und dort lebenden Kriegsflüchtlingen zu helfen.

Sobetska gibt sich auch in der jetzigen Krise entschlossen. Vor allem die jungen Ukrainer seien zum Widerstand bereit, viele hätten sich freiwillig zur Armee gemeldet, sagt sie. Über die abwartende Haltung Deutschlands seien sie enttäuscht. Sie selbst hoffe, dass die deutsche Politik umdenkt und Abwehrwaffen liefert. „Die Ukraine verteidigt nicht nur sich selbst, sondern auch Europa und die Demokratie.“