Pistorius verteidigt Gesetzentwurf für neuen Wehrdienst - Junge Menschen wollen Mitsprache
Der Bundestag hat erstmals über den neuen Wehrdienst beraten. Verteidigungsminister Pistorius wirbt für eine "offene Debatte". Bundespräsident Steinmeier kritisiert den Streit in der Koalition, spricht von einer "kommunikativen Fehlleistung".
Berlin (epd). Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat den Gesetzentwurf zu Veränderungen beim Wehrdienst verteidigt und sich zugleich offen für Änderungen gezeigt. „Mit unserem Gesetzentwurf schaffen wir einen attraktiven, einen sinnstiftenden Wehrdienst“, sagte Pistorius am Donnerstag im Bundestag. Das Thema verdiene eine „ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler Menschen betrifft“. Unionsfraktions-Vize Norbert Röttgen (CDU) warb erneut für ein Losverfahren.
Angesichts der Diskussion der vergangenen Tage äußerte sich Pistorius offen zu alternativen Musterungsmodellen. „Ich finde das okay“, sagte er dazu. Dafür sei das parlamentarische Verfahren da, um das zu diskutieren. Zugleich stellte er klar: „Reicht Freiwilligkeit nicht, wird es keinen Weg vorbei geben an einer verpflichtenden Heranziehung“, allerdings nur „unter der Maßgabe eines Bundestagsbeschlusses“.
Das Parlament diskutierte am Donnerstag erstmals über das sogenannte Wehrdienstmodernisierungsgesetz. Vorgesehen ist darin, über einen verbindlichen Fragebogen und die Wiedereinführung der Musterung für junge Männer auf freiwilliger Basis mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. Ab dem kommenden Jahr sollen alle Männer, die in diesem Jahr 18 Jahre alt werden, verpflichtet sein, den Fragebogen auszufüllen.
In den vergangenen Tagen hatten die Koalitionsfraktionen über Änderungen an dem Entwurf verhandelt, weil die Union Vorkehrungen für eine Verpflichtung fordert, sollten sich nicht genügend Freiwillige finden. Ein Vorschlag der Unionsfraktion war, junge Männer per Losverfahren zur Musterung einzuladen und gegebenenfalls zum Dienst zu verpflichten, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden. Eine zunächst absehbare Einigung der Fraktionen von Union und SPD platzte am Dienstag.
In dem Regierungsentwurf ist vorgesehen, dass alle jungen Männer ab 2027 verpflichtend zur Musterung erscheinen müssen. Damit will die Bundesregierung ein konkretes Lagebild erhalten. Pistorius will an dieser verpflichtenden Musterung für alle festhalten und äußerte sich deshalb skeptisch dem Vorschlag der Union gegenüber, nur einen Teil der jungen Männer per Losverfahren zu mustern.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Röttgen, verteidigte den Vorschlag eines Losverfahrens im Sinne der Wehrgerechtigkeit. Nach dem Zufallsverfahren treffe jeden Mann „die gleiche Chance, das gleiche Risiko“. „In dieser Gleichheit liegt die Fairness und die Rationalität dieses Verfahrens“, betonte er. Röttgen zeigte sich jedoch auch „absolut offen“ für andere Vorschläge. Aus seiner Sicht sei die Wiedereinsetzung der alten Wehrpflicht keine Lösung, weil sie der „heutigen Sicherheitslage nicht entspricht“ und zudem willkürlich und nicht verfassungsfest war. Im Jahr 2011 war in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt worden.
Kritik kam aus der Opposition. So bezeichnete die verteidigungspolitische Sprecherin der Linken, Desiree Becker, die Diskussion zwischen den Koalitionsfraktionen als „unwürdig“. Diese schürte Angst und Unsicherheit bei jungen Menschen. „Die Jugend ist kein Spielball und bestimmt keine Zahl im Roulette Ihrer Sicherheitspolitik, Herr Minister“, sagte Becker an Pistorius gewandt.
Auch der Grünen-Verteidigungspolitiker Niklas Wagner sagte, dass die junge Generation Anspruch auf „Klarheit und ehrliche Antworten“ habe. Wer über Dienst und Pflicht spreche, müsse die Betroffenen einbinden. Der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen bezeichnet den Gesetzesentwurf als „schlecht“. Pistorius setze „die erfolglose Strategie seiner Vorgängerinnen fort - mehr Geld und Freizeit für den Dienst an der Waffe“.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte Kritik an der Debatte. Er sprach in einem Interview mit dem SWR von einer „kommunikativen Fehlleistung“ der Koalition bei der Wehrpflicht. Darin äußerte er auch Zweifel daran, ob das diskutierte Losverfahren der richtige Weg ist.
Anlässlich der Beratungen im Bundestag über den neuen Wehrdienst mehrt sich Protest junger Leute gegen eine mögliche Verpflichtung zum Dienst in der Bundeswehr. Ein Bündnis der Jugendorganisationen von SPD, Grünen und der Linken sowie von Studierenden und der Jugendabteilungen von Gewerkschaften und Umweltverbänden wandte sich in einer am Donnerstag verbreiteten Mitteilung gegen jegliche Form einer Wehrpflicht. „Für uns ist klar: Wir sind dagegen, Menschen zum Dienst an der Waffe zu zwingen“, heißt es darin.
Derweil forderten vor dem Reichstagsgebäude in Berlin junge Menschen Mitbestimmung über das Gesetz ein. Mit einer Kunstperformance machten sie mit überklebten Mündern darauf aufmerksam, dass sie in ihren Augen zu wenig Mitsprache über die Form des neuen Wehrdienstes haben. Veranstalter war die Initiative „Demokratische Stimme der Jugend“.
Der Bundestag wollte sich am Donnerstagnachmittag erstmals mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum neuen Wehrdienst befassen. Vorgesehen ist darin, über einen verbindlichen Fragebogen und die Wiedereinführung der Musterung für junge Männer auf freiwilliger Basis mehr Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. In den vergangenen Tagen hatten die Koalitionsfraktionen über Änderungen an dem Entwurf verhandelt, weil die Union Vorkehrungen für eine Verpflichtung fordert, sollten sich nicht genügend Freiwillige finden. Eine zunächst absehbare Einigung platzte am Dienstag.
Die Bundesschülerkonferenz kritisierte das Verhalten der Koalitionsparteien. „Man zockt nicht um junge Menschen“, sagte der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag). „Die andauernde Verunsicherung führt bestimmt nicht zu mehr Akzeptanz bei jungen Menschen“, sagte er und empfahl der Bundesregierung, sich „anständig mit den Betroffenen auseinandersetzen, statt sich in koalitionsinternen Scharmützeln zu verkämpfen“.
Auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, meldete sich in der Debatte zu Wort und gab zu bedenken, viele junge Menschen hätten Sorgen, „was die Neuaufstellung des Wehrdienstes für sie persönlich bedeutet“. Zugleich seien viele bereit, sich zu engagieren in Freiwilligendiensten. Sie forderte: „Ein kluges Gesetz muss beides ernst nehmen: ihre Besorgnis und ihr Engagement. Deshalb sind Wehrdienst und Friedensdienst zusammenzudenken.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in einem Interview mit dem SWR, das am Donnerstagabend ausgestrahlt werden sollte, von einer „kommunikativen Fehlleistung“ der Koalition bei der Wehrpflicht. Darin äußerte er nach Angaben des Senders auch Zweifel daran, ob das diskutierte Losverfahren der richtige Weg ist.
Im Raum steht in der koalitionsinternen Debatte, junge Männer per Losverfahren zur Musterung einzuladen und gegebenenfalls zum Dienst zu verpflichten, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden. Solch ein Verfahren stößt auch auf rechtliche Bedenken. Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sagte dem epd, ein den gesamten Jahrgang erfassendes Musterungssystem sei dem Losverfahren vorzuziehen. „Der Staat darf es sich nicht zu leicht machen. Wir reden hier über Einschränkungen der Grundrechte auf Freiheit und Leben“, sagte er.