Pazifisten: Alternativen zu Militäreinsätzen bleiben aktuell

Minden/Hannover (epd). "Ohne Waffen, aber nicht wehrlos" - unter diesem Motto reisten im Juni 1988 über 1.000 Menschen ins ostwestfälische Minden zu einem bundesweiten Kongress der Friedensbewegung. In einer noch von der Ost-West-Konfrontation und Ängsten vor einem Krieg in Europa geprägten Zeit diskutierten die Teilnehmer über "Soziale Verteidigung" - die Bewältigung von Konflikten mit gewaltfreien Mitteln. Aus dem Kongress ging im Frühjahr 1989, vor 30 Jahren, der "Bund für Soziale Verteidigung" (BSV) hervor, der bis heute das Eintreten für gewaltfreie Konfliktlösungen mit Grundsatzkritik an Rüstung und Militär verbindet. 

Zu seiner Jahrestagung, die von Freitag bis Sonntag in Hannover stattfinde, will der Vorstand eine Erklärung mit politischen Forderungen zur Außen- und Sicherheitspolitik vorlegen. "Wir haben dazu beigetragen, dass zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zu militärischen Lösungen nunmehr breite politische Anerkennung genießt", sagt BSV-Geschäftsführerin Christine Schweitzer am Sitz der Organisation in Minden. 

Schweitzer ist eine "Frau der ersten Stunde": Beim Friedenskongress 1988 diskutierte sie auf dem Podium mit zwei späteren BSV-Gründungsmitgliedern, der Grünen-Politikerin Petra Kelly (1947 bis 1992) und dem Friedensforscher Theodor Ebert. In einem Aufsatz definierte Schweitzer damals Soziale Verteidigung als "Verteidigung der Lebensweise und des Selbstbestimmungsrechts eines Kollektivs mit gewaltfreien Methoden". 

Heute rückt Europa verstärkt ins Blickfeld der Friedensaktivisten. In regionalen Konflikten, etwa dem Streit um eine Unabhängigkeit Kataloniens, solle die Europäische Union eine aktive Vermittler-Rolle einnehmen, fordert die Co-Vorsitzende Outi Arajärvi. Das grundsätzliche Ja zur EU verbindet der BSV mit deutlicher Kritik: Europa sollte sich auf seine Wurzeln als "Garant des Friedens" besinnen und nicht zur Militärmacht werden, so die Mahnung.

Mit Protesten ohne Gewalt hatte die Friedens- und Ökologiebewegung in den 1980er Jahren gute Erfahrungen gemacht - ob am Atomwaffendepot in Mutlangen oder an der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Der Bund für Soziale Verteidigung machte es sich zur Aufgabe, das friedenspolitische Konzept weiter zu entwickeln. Von Minden aus wurde 1994 das "Balkan Peace Team" in das vom Bürgerkrieg zerrissene ehemalige Jugoslawien entsandt. Die Aktivisten unterstützten grenzüberschreitend Menschenrechtler und halfen, den Dialog zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft in Serbien und Kosovo in Gang zu halten.

Der Verband richtete sein Augenmerk aber auch auf die Situation im Inland. Der BSV habe als eine der ersten Organisationen in Deutschland das in den USA entwickelte Konzept der Mediation bei Konflikten im politischen Raum verbreitet, betont Schweitzer. Auch bei der Entwicklung von Modellen zur Streitschlichtung in Schulen habe man zu den Pionieren gehört. Bis heute sind Trainings in Zivilcourage und im Umgang mit Bedrohungen fester Bestandteil des Bildungsprogramms. Letztes Jahr brachte die Organisation mit dem Projekt "Love-Storm" eine Trainings- und Aktionsplattform gegen Hass im Internet an den Start. 

Der BSV hatte freilich auch Misserfolge zu verzeichnen, wie die Geschäftsführerin einräumt: Mit einer Kampagne zur Abschaffung der Bundeswehr habe der Bund vor dem Hintergrund der Balkan-Kriege "die Leute nicht mehr erreicht". 

Fast zeitgleich erarbeiteten kirchliche und zivilgesellschaftliche Gruppen auf Initiative des BSV-Mitbegründers Ebert das Konzept eines "Zivilen Friedensdienstes". Ab 1999 begann die Umsetzung - der bisher wohl nachhaltigste Erfolg der Lobbyarbeit des Friedensverbandes. Finanziert vom Bundesentwicklungsministerium entsenden Entwicklungs- und Friedensorganisationen seither weltweit Fachkräfte, die in Konfliktgebieten die Bevölkerung bei der friedlichen Regelung von Streitigkeiten beraten. 

In den letzten Jahren schulte die vom BSV gegründete "Nonviolent Peaceforce" von Libanon aus syrische Aktivisten, wie lokale Konflikte in ihren Heimatregionen gewaltfrei gelöst werden können. Dabei versuchen unbewaffneten Friedenskräfte bei kriegerischen Konflikten, die Zivilbevölkerung zu schützen und Gewalt einzudämmen. 

Ein Schwerpunkt in der internationalen Arbeit liegt seit fast 15 Jahren in Weißrussland. Dort wird das Bürgernetzwerk "Nasch Dom" unterstützt, das die Interessen der Menschen gegenüber dem Staat vertritt. Hinzugekommen ist seit 2016 die Türkei. Wenn türkische Menschenrechtsorganisationen darum bitten, entsendet der BSV Mitarbeiter in internationale Beobachter-Teams. 

Aus Anlass seines 30-jährigen Bestehens unterstreicht der Friedensverband die Aktualität des Konzeptes der Sozialen Verteidigung. "Je mehr in der Öffentlichkeit von Bedrohung die Rede ist, gegen die man sich militärisch verteidigen muss, desto wichtiger ist es Alternativen aufzuzeigen", bekräftigt Geschäftsführerin Schweitzer.