Pastor: Junge Menschen sind von ukrainischen Straßen verschwunden

Leer, Beregszasz (epd). In der Ukraine gibt es aus Sicht des evangelisch-reformierten Diakoniepastors Thomas Fender etliche junge Männer, die nicht kämpfen wollen. „Sie verstecken sich zu Hause bei ihren Eltern“, berichtete der Theologe nach einer Reise nach Beregszasz (ukrainisch: Berehowe) in der West-Ukraine dem Evangelischen Pressedienst (epd). Junge Menschen seien von den Straßen praktisch verschwunden. „Entweder kämpfen sie an der Front, verstecken sich oder sie haben sich ins Ausland abgesetzt - wenn sie denn genug Geld dafür hatten.“

Die Bremer Friedensstiftung „Die Schwelle“ schätzt, dass inzwischen bis zu 200.000 Männer aus der Ukraine ins Ausland geflohen sind. Nach Angaben des Vereins Connection, der international Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unterstützt, gibt es derzeit in der Ukraine kein allgemeines Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wer sich verweigert, könne mit vier Jahren Haft bestraft werden.

Fender zufolge ist das ukrainische Militär ständig auf der Suche nach wehrfähigen Männern. Erst kürzlich sei die reformierte Kirchenleitung aufgefordert worden, die Namen von Pastoren zu nennen. Die Theologen sollten gemustert werden um zu prüfen, ob sie der Wehrpflicht unterliegen. Fender besuchte während seiner Reise die Reformierte Kirche in Transkarpatien, die Kirche der ungarischen Minderheit. Sie ist eine Partnerkirche der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer.

Weil über die Grenze nach Ungarn weiterhin Waren geliefert werden, sei im Westen der Ukraine praktisch alles erhältlich, erläuterte Fender. Wegen der hohen Inflation seien die Waren jedoch kaum bezahlbar. Daher sei die Arbeit der Diakonie für die alten Menschen überlebenswichtig. Die Kirche betreibe eine eigene Bäckerei, um die zahlreichen Suppenküchen zu unterstützen.

Ob, wann und wie Frieden möglich sei, darüber gebe es keine einheitliche Meinung. Das geistliche Oberhaupt der reformierten Minderheitskirche, Bischof Sandor Zan Fabian, halte einen sofortigen Frieden für notwendig - auch zu dem Preis, dass dann große Gebiete an Russland fielen. Nach Ansicht des Bischofs könne sich die Lage für die Ukraine nur noch verschlechtern, erläuterte Fender.

Die Reformierte Kirche in Transkarpatien ist vor allem im ukrainisch-ungarischen Grenzgebiet beheimatet. Zu ihr gehörten vor dem russischen Einmarsch rund 100.000 überwiegend ungarischstämmige Christen in 108 Gemeinden. Die Region ist seit Jahrhunderten ein Spielball der Großmächte. Fender berichtete von der weit über 90 Jahre alten Mutter von Bischof Fabian: Sie habe in ihrem Leben bereits vier unterschiedliche Staatsangehörigkeiten gehabt - ohne je ihren Geburtsort verlassen zu haben.

Fender appellierte an die Kirchengemeinden in Deutschland, ihre Partnergemeinden in der Ukraine nicht zu vergessen und weiter zu unterstützen. Sinnvoll seien vor allem Geldspenden. „Das hilft derzeit mehr als ein vollgeladener Lastwagen mit Hilfsgütern.“