Neues Buch: Als junger Soldat einen Kameraden erschossen

Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände - und doch war er es, der abdrückte und damit Schuld hatte am Tod eines Kameraden. Wie Heiko Bauder damit und mit weiteren Schicksalsschlägen lebt, beschreibt er in seinem Buch "Mein Gott, warum?".

Esslingen (epd). Manche Aufforderung wirkt erst durch Wiederholung. „Sie müssen ein Buch schreiben“, war bei Heiko Bauder eine solche Aufforderung. Ein Therapeut und Berater sagte sie ihm - nicht als erster -, aber mit Nachdruck: „Das ist mein Ernst. Ich glaube, dass das vielen helfen könnte.“ Schließlich habe er das auch geglaubt, sagt Bauder im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sein Therapeut, selbst Buchautor, vermittelte ihm den Kontakt zu SCM Hänssler. Dort ist soeben Bauders Buch über den Umgang mit Schuld erschienen, es trägt den Titel „Mein Gott, warum?“.

Heiko Bauder, Jahrgang 1971, lebt im Landkreis Esslingen am Rande der Schwäbischen Alb. Er ist Ausbildungsmeister für angehende Industriemechaniker, Erlebnispädagoge und in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert. Und er hat Schuld auf sich geladen: Als junger Soldat, im Alter von 21 Jahren, hat er einen Kameraden erschossen. Es war ein Unfall, bei dem so viele unglückliche Umstände zusammenkamen, dass ein Drehbuchautor damit kaum durchkäme: Weil einige Vorgesetzte Urlaub hatten, hatten teilweise Wehrpflichtige die Aufsicht über Waffen mit scharfer Munition. Zu allem Unglück kam hinzu, dass bei der Übung Munition mit tödlicher Wirkung verwendet wurde, die so nicht notwendig gewesen wäre. Auch die Regeln im Umgang mit scharfer Waffe und Munition bei der Übung waren nicht eindeutig klar. Trotzdem steht für Bauder fest: Er hat abgedrückt, er hat die Schuld am Tod des Kameraden.

Dass ihn diese Schuld nicht in den Suizid getrieben hat, liegt an einem katholischen Pfarrer, der sich als Militärseelsorger seiner annahm. Vorbehaltlos. „Dieser Mann hat mir das Leben gerettet“, sagt Bauder. Der Pfarrer schirmte ihn auch von der Presse ab. Noch über 30 Jahre später ist Bauder entsetzt, was manche Presseorgane damals frei erfunden hatten. „In manchem Presseartikel las es sich so, als hätten wir bei dem Unfall bildlich gesprochen Cowboy und Indianer gespielt.“

Im Buch geht es noch um weitere Schicksalsschläge, unter anderem einen schweren Autounfall im Jahr 2016. „Gott sei Dank wurde niemand schwerwiegend verletzt.“ Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie geht ein Mensch damit um, wenn er plötzlich schuldig wird? Wenn er daran zweifelt, ob er selbst noch das Recht zu leben hat? Wenn er sich fragt: „Warum kann nicht ich tot sein und das Opfer an meiner Stelle weiterleben?“ Als Bauder in einer Jugendgruppe von seiner Lebensgeschichte berichtete, wollte ihm ein Teenager nicht glauben: „Ach hören Sie doch auf, Sie flunkern doch, so viel Scheiße passt doch gar nicht in ein Leben!“

Als der Therapeut ihn zum Buch ermutigte, hatte Bauder bereits eine Stoffsammlung. Den Anstoß dazu hatte er in der de'ignis-Fachklinik in Altensteig (Kreis Calw) bekommen. Dort hatte sich eine Männerfreundschaft gebildet. Zum Abschied wollte eine weitere Patientin jedem der drei Männer, die so viel Positives in die teilweise verzweifelte Lage der anderen Patienten gebracht hatten, ein passendes Buch schenken. Sie wühlte sich geduldig durch eine Buchhandlung und wurde zweimal fündig. Außer bei Bauder. Bücher über Leid, das von außen auf einen Menschen trifft, gab es, aber Bücher über die Bewältigung eigener Schuld? Fehlanzeige. So schenkte sie Bauder einen Kugelschreiber. „Den Kuli gibt es heute noch. Genau als meine Stoffsammlung fertig war, war die Mine leer.“

„Ich glaube schon lange nicht mehr an Zufälle“, sagt Bauder. Im Rückblick ist er überzeugt, dass vieles in seinem Leben - inmitten aller Schwere - von Gott eingefädelt wurde. Eigentlich wäre beim Militär ein ganz anderer Pfarrer für ihn zuständig gewesen als sein maßgeschneiderter Lebensretter. Ein weiteres schweres Ereignis: Der OP-Termin seiner damaligen Verlobten und heutigen Ehefrau, die einen Hirntumor hatte, stand schon fest. Da grätschte ein „zufällig“ vor Kurzem in die Nachbarschaft seines Bruders gezogener Mediziner dazwischen und verwies das Paar auf die einzigen beiden deutschen Spezialkliniken, die mit derart schweren Fällen Erfahrung hatten und ihr umfassend helfen konnten.

Der Weg heraus aus der Schuldfalle und aus erfahrenem Leid geht für Bauder nur über die schonungslose Aufarbeitung des Erlebten: „Man muss raus, aussteigen aus dem Film, der jeden Tag aufs Neue die Seele schwer macht und einen in dem Warum der Vergangenheit festhält.“