Nach fremdenfeindlichen Krawallen in Sachsen auch Kritik an Polizei

Chemnitz/Dresden (epd). Nach der versuchten Blockade eines Flüchtlingsheims durch Asylgegner im sächsischen Clausnitz gibt es auch Kritik am Polizeieinsatz. Ein im Internet verbreitetes Video zeigt, wie ein Polizist einen von der grölenden Menge verängstigten Flüchtlingsjungen rabiat packt. In der Politik stieß das Vorgehen auf Empörung. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) kündigte an, den Polizeieinsatz umgehend auszuwerten. Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann wies Kritik an den Kollegen zurück: "An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln", sagte er am Samstag. Der "einfache unmittelbare Zwang" sei teilweise nötig gewesen, um die Asylsuchenden möglichst schnell aus dem von protestierenden Einwohnern umstellten Bus in die Unterkunft zu bringen.

Reißmann gab am Samstag in Chemnitz vor der Presse einen detaillierten Bericht über den Einsatz am Donnerstagabend ab, als rund 100 Demonstranten im Clausnitzer Ortsteil Rechenberg-Bienenmühle (Mittelsachsen) versuchten, den Einzug von Flüchtlingen in eine neue Unterkunft zu verhindern. Drei Autos verstellten dem Bus mit den Asylsuchenden den Weg. Aus der Menge wurde "Wir sind das Volk" skandiert, auch fremdenfeindliche Parolen sollen gerufen worden sein. Im Internet kursieren Videos, die sichtlich verängstigte und weinende Flüchtlinge zeigen.

Laut dem von Reißmann skizzierten Zeitplan mussten die Asylsuchenden mehr als zwei Stunden im Angesicht des Mobs im Bus ausharren, bis die zunächst nur mit wenigen Beamten anwesende Polizei einen sicheren Zugang zum Haus garantieren konnte. Als es soweit war, sollte es laut Reißmann möglichst schnell gehen. Bei drei Flüchtlingen, die den Bus nicht verlassen wollten, sei dafür Zwang notwendig gewesen. Einen Fall dokumentiert ein Video im Internet. Es zeigt, wie ein Polizist einen Jungen im Klammergriff packt und in das Haus bringt.

Die Aufnahme hatte für Empörung gesorgt. Die Vize-Vorsitzende der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Nadia Khalaf, sieht in dem gewaltsamen Vorgehen des Polizisten einen Vorstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. "Staatliche Gewalt gegen traumatisierte Kinder ist nicht hinnehmbar", sagte sie.

Reißmann wies die Kritik zurück: "Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück", sagte er. Stattdessen verwies er auf die Flüchtlinge im Bus, die mit "Gestiken" in Richtung des Mobs die Stimmung verschärft hätten. Es würden Anzeigen etwa wegen Beleidigung geprüft, sagte Reißmann. Von einem Jungen soll ein Stinkefinger gezeigt worden sein. Ob die Ermittlungen weiterverfolgt würden, liege in den Händen der Staatsanwaltschaft. 

Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) reagierte "fassungslos" auf den Bericht des Leiters der Polizeidirektion Chemnitz. Es gebe keine Konsequenzen für den "verfehlten Polizeieinsatz", kritisierte sie. Nagel kündigte an, sich im Landtag dafür einzusetzen, dass die Ereignisse in Clausnitz nicht folgenlos blieben. 

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erklärte mit Blick auf die Asylgegner: "Angesichts dieser Bilder muss man sich fragen, ob die sächsische Landesregierung nicht dabei ist, das Gewaltmonopol zu verlieren. Das Schlimme ist, dass dieser Mob sich bei jeder Äußerung von Horst Seehofer und Co ermuntert fühlen darf. Die unverantwortliche Angstmache von einzelnen Unionspolitikern schafft die Zustände mit, vor denen sie dann warnen."

Für Empörung sorgten zudem Berichte, wonach der Leiter des Asylheims in Clausnitz AfD-Mitglied ist. Der sächsische Linksfraktionsvorsitzende Rico Gebhardt erklärte, es lege den Schluss nahe, "dass der Bus keineswegs zufällig vom Mob in Empfang genommen worden ist". Es müsse sorgfältiger geprüft werden, mit wem die staatliche Verwaltung bei der Flüchtlingsunterbringung zusammenarbeitet. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck forderte in diesem Punkt Aufklärung.

Eine Initiative rief für Samstagabend zu einer Solidaritätskundgebung auf. Unter dem Motto "Refugees welcome" wollte sie gegen Fremdenfeindlichkeit demonstrieren.