Mit weißen Fahnen von Berlin nach Aleppo
Calau (epd). Täglich an die 30 Kilometer, gut dreieinhalb Monate lang, das macht die Strecke von Berlin nach Aleppo. Mit weißen Fahnen haben sich an Weihnachten knapp 400 Frauen und Männer in einem Marsch für den Frieden am Tempelhofer Feld auf den rund 3.200 Kilometer langen Weg gemacht. Im April soll die zerbombte syrische Stadt erreicht sein.
"Wir wollen mit unserem Marsch ein Zeichen der Solidarität setzen", sagt Thomas Alboth, einer der Initiatoren des "Civil March for Aleppo". Er und seine Frau Anna setzen sich schon länger für Geflüchtete ein, im vergangenen Jahr nahmen sie einen Syrer in ihre Familie auf. Seitdem, erzählt Alboth, "fand der Syrienkrieg für uns nicht mehr nur im Fernsehen und im Internet statt, sondern auch bei uns im Wohnzimmer".
Das Paar, mehrere Freunde und weitere Unterstützer verfassten ein Manifest für den Marsch. "Es ist Zeit zu handeln", heißt es darin. "Wir können nicht weiter vor unseren Laptops sitzen und nichts tun, behaupten, dass wir machtlos sind." Der Marsch soll der längst versperrten Balkan-Route der Flüchtlinge folgen, in umgekehrter Richtung: Von Deutschland über Tschechien, Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Griechenland und die Türkei bis nach Syrien.
Am Freitagmorgen starten noch 61 Marschierer im brandenburgischen Museumsdorf Baruther Glashütte, am nächsten Tag in Luckau sind es schon wieder 80. "Plus zehn bis 15 Leute vom Organisationsteam, plus zehn bis zwölf, die fußkrank sind und eine Etappe mit dem Auto fahren", rechnet Alboth vor.
Junge Leute aus Polen und Deutsche stellen die größten Kontingente. Auch einige Syrer laufen mit, Franzosen, am Silvestertag schließt sich ein Paar aus Italien an. "Wir erwarten von niemandem, dass er die ganze Strecke mitläuft", steht im Aufruf. "Wir denken dabei eher an eine Art Staffellauf der Solidarität". Bislang haben mehr als 3.000 Menschen im Internet angekündigt, ein Stück des langen Weges mitgehen zu wollen.
Jens will auf jeden Fall bis Aleppo mitmarschieren. "Ob es wirklich bis dorthin geht, ist natürlich nicht klar und eigentlich auch nicht wirklich wichtig", sagt er. Für ihn zählt: "Mitmachen, Aufsehen erregen, so weit wie möglich denselben langen Weg fußläufig zurücklegen." Von Syrien aus will Jens sogar noch weiterziehen. Bis nach China. Afrika, Lateinamerika und halb Europa hat er schon mit seinem Schiebewagen durchschritten. Auf dem dreirädrigen Gefährt liegen seine Habseligkeiten verschnürt. Unterwegs beschreibt er in einem Blog seine Erlebnisse und Erfahrungen.
Die 16-jährige Felicitas aus München ist in der Flüchtlingshilfe aktiv. Sie erfuhr von Facebook-Freundinnen von dem Friedensmarsch. Und überredete ihren Vater, gemeinsam mit ihr ein paar Tage mitzugehen. Papa Matthias, der hauptamtlich für eine Naturschutzorganisation Konflikte zwischen Vogelschützern und Windmüllern moderiert, willigte ein.
Friedrichshof - Waldow/Brand - Kasel-Golzig - Schlabendorf. Gnädig bescheint die Wintersonne die Straßendörfer. Graue Fassaden, hohe Zäune. Kein Laden, kein Bäcker, keine Kneipe. Kaum ein Mensch auf der Straße. "Deutschland", schreit ein Mann, als der Marsch an seinem Haus vorbeikommt. Ein anderer lässt zwei große Hunde aus dem Zwinger, die sich wütend kläffend gegen den um das Grundstück gezogenen hohen Metallzaun werfen. Und am Ortseingang von Calau verliert ein Passant völlig die Fassung: "Aleppo", ruft er immer wieder. "Aleppo. Ihr seid doch bekloppt, ihr habt doch echt einen an der Waffel."
Auf Landstraßen ziehen die Demonstranten am Silvestertag durch aufgeräumte Ackerlandschaften. Drei Polizeiwagen eskortieren den Zug. Die Beamten lassen verhaltene Sympathie für die Aktion erkennen, nehmen auch schon mal Rucksäcke mit oder Marschierer, die nicht mehr weiter können oder sich Blasen gelaufen haben.
Finanziert wird der Marsch durch Spenden, 19.000 Euro kamen bislang zusammen. Die Teilnehmer werden kostenlos verpflegt, abends gibt es für alle ein warmes Essen. Zur Logistik gehören auch fünf oder sechs Fahrzeuge, die neben dem schweren Gepäck auch Vorräte, Trinkwasser, Kochgerät, Gasflaschen und ein großes Zelt transportieren.
Bislang hatten die Marschierer nachts ein festes Dach über dem Kopf: eine Turnhalle, ein nicht mehr bespieltes Kino, Umkleidekabinen auf einem Sportplatz. Jetzt sind es noch gut 3.000 Kilometer bis Aleppo.