Militärrabbiner: Politische Weltlage beschäftigt Soldaten sehr

Hamburg (epd). Feierstunde in der Hamburger Clausewitz-Kaserne: Nils Ederberg (57) wird am Dienstag durch Rabbinerin Elisa Klapheck und Militärbundesrabbiner Zsolt Balla offiziell in sein Amt als erster liberaler Militärrabbiner der Jüdischen Militärseelsorge für die nördlichen Bundesländer eingeführt. Bereits seit 2023 betreut er in dieser Funktion Bundeswehr-Kameradinnen und -Kameraden an 53 Standorten in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen. Zu ihm dürfe jeder und jede kommen, egal ob Jude, Christ, Anhänger einer anderen Religion oder Atheist, sagt Ederberg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sein Büro befindet sich in Hamburg, in der Führungsakademie der Bundeswehr.

epd: Wie sind Sie zur Bundeswehr und zu Ihrer dortigen Tätigkeit als Militärrabbiner gekommen?

Nils Ederberg: Ich bin 2014 vom Potsdamer Abraham Geiger Kolleg zum Rabbiner ordiniert worden und war danach neun Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für die Rabbinerseminare an der Universität Potsdam. Als 2021 das Militärrabbinat gegründet wurde, hatte sich meine Familiensituation dahingehend geändert, dass ich mobiler geworden war. Soweit die äußeren Gründe. Der innere Beweggrund war, dass ich in der Tätigkeit als Militärrabbiner schon damals eine spannende Arbeit sah und ausprobieren wollte, ob mir das liegt.

epd: Was macht für Sie den besonderen Reiz dieser Arbeit aus?

Ederberg: Ein Aspekt ist: Jeder und jede Bundeswehr-Angehörige kann zu mir und den anderen Seelsorgern bei der Bundeswehr kommen, egal ob er oder sie Jude ist oder nicht. Auch wer beispielsweise Katholik ist, darf zum Militärrabbiner gehen. Umgekehrt dürfen jüdische Soldatinnen und Soldaten zum katholischen Priester gehen. Auch Atheisten sind willkommen. Wer zu uns kommt, tut das freiwillig und aus individuellen Gründen. Diese Freiwilligkeit bedeutet zugleich, dass niemand zur Seelsorge gehen muss, der nicht möchte.

Ein zweiter Aspekt lautet: Arbeit bei der Bundeswehr ist Dienst an der Gesellschaft insgesamt, den ich auch als Rabbiner gerne tue. Die politischen Umstände in der Welt haben ja dazu geführt, dass die Bundeswehr heute als wichtig angesehen wird, um unsere Freiheit in Deutschland und Europa zu schützen.

Drittens gilt für mich: Ich habe Interesse an Menschen und die gibt es in der Bundeswehr in allen Variationen. Außerdem ist der Umgang miteinander in der Bundeswehr freundlich und von Respekt geprägt. Das empfinde ich als positiv, und dazu kann ich etwas beitragen.

epd: Sie sagten, jeder und jede könne zu Ihnen kommen. Gibt es auch den umgekehrten Weg, sprich: Fahren Sie auch selbst zu den Leuten?

Ederberg: Ja, das ist der Hauptteil der Arbeit: Zu den Menschen zu gehen, zumal wir Militärrabbiner uns erstmal überhaupt bekannt machen müssen. Das Militärrabbinat ist ja noch neu. Der erste Schritt dabei besteht darin, so viel Präsenz wie möglich an den Standorten zu zeigen - bei Veranstaltungen, bei Manövern, einfach raus unter die Leute. Daraus ergeben sich dann später Anfragen an uns, wie beispielsweise die Bitte, an einem Standort den sogenannten „Lebenskundlichen Unterricht“ anzubieten. Das sind religionsneutrale Unterrichte zu ethischen und moralischen Themen, die von zwei Stunden bis zu dreitägigen Seminaren dauern können. Wir Militärrabbiner merken, dass das Interesse sehr groß ist.

epd: Wie viele Militärrabbiner gibt es bei der Bundeswehr?

Ederberg: Im Moment haben wir sechs Militärrabbiner in Deutschland, zwei davon für die Außenstelle Nord. Pro Außenstelle soll es einen liberalen und einen orthodoxen Militärrabbiner geben. Im Norden bin ich der liberale und mein Kollege Shmuel Havlin ist der orthodoxe Militärrabbiner. Insgesamt sollen es bundesweit zehn Militärrabbiner werden.

epd: Worüber reden Soldatinnen und Soldaten, die das Gespräch mit Ihnen suchen?

Ederberg: Viele sprechen über klassische Lebenssituationen, die belastend sind. Krankheit und Tod innerhalb der Familie beispielsweise, aber auch eigene Lebensprobleme. Es kommt aber auch darauf an, wo man ist. Bei Kampfeinheiten mit vielen jungen Soldaten bekomme ich eher Dinge zu hören wie „Der Freund / die Freundin ist mir weggelaufen“ oder „Ich habe mich beim Autokauf finanziell übernommen“. Auch die Probleme sind eben oft altersspezifisch.

epd: Spielen auch aktuelle politische Themen eine Rolle?

Ederberg: Natürlich, die Kriegssituation in Europa, der Krieg im Nahen Osten, Fragen wie „Was passiert mit uns, wenn die Amerikaner Europa im Stich lassen?“ oder „Was macht Putin?“, das sind Themen, die auch die Angehörigen der Bundeswehr existenziell beschäftigen. Die wissen ja auch, wo sie im Falle eines Krieges mit Bundeswehr-Beteiligung selber wären. Das ist natürlich etwas, was die Menschen hier sehr stark beschäftigt.

Außerdem sind wir Partner der Ukraine und bilden aus. Für unsere Ausbilder gehört es zu den belastendsten Elementen überhaupt, nacheinander Gruppen von Ukrainern auszubilden, die dann jeweils direkt in den Kampf an die Front ziehen. Auch das Leiden der ukrainischen Zivil- und Militärbevölkerung ist in Seelsorgegesprächen ein Thema.

epd: Wie können Sie Menschen, die ihre Sorgen an Sie herantragen, helfen?

Ederberg: Zunächst einmal sind wir „inhouse“, wir haben eine Sicherheitsüberprüfung, die Soldatinnen und Soldaten dürfen mit uns über ihren Dienst und über das, was sie erleben, reden. Zumindest bis zu dem Punkt, ab dem es besondere Dienstgeheimnisse gibt. Wir haben Schweigepflicht, das ist die Grundlage für das Vertrauensverhältnis.

Natürlich können wir als Seelsorgerinnen und Seelsorger kein Abrakadabra machen und dann ist alles gut. Ich sage auch nicht: „Beten Sie dieses oder jenes.“ Die Frage nach Gott und dem Warum ist aber durchaus im Hintergrund präsent und darf auch konkret Thema sein.

Wir können ein Gesprächsangebot bieten, wo Menschen das, was durch ihr Herz, durch ihren Kopf geht, jemandem sagen können. Ich höre ihnen zu. Meist erhalte ich im Anschluss die Antwort: „Das hat mir geholfen.“

Wie bei allen Helferberufen müssen aber natürlich auch wir Militärrabbiner uns im Klaren darüber sein: Was ist unsere eigene Kompetenz und was nicht? Wo sollten wir den Leuten empfehlen, sich auch an den psychologischen oder ärztlichen Dienst zu wenden?

Wir haben in der Bundeswehr das sogenannte „PSN“, das Psychosoziale Netzwerk. Da arbeiten die Seelsorger, der medizinische Dienst, der psychologische Dienst, Sozialarbeiter und Lotsen. Wir arbeiten alle zusammen und koordinieren uns. Das heißt, ich bin Teil des Netzwerkes, das den Leuten dann in anderer Weise weiterhelfen kann.

epd: Wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Menschen Ihnen ihr Leid berichten? Wie schaffen Sie es, ins Bett zu gehen, ohne dass Sie das alles weiter beschäftigt?

Ederberg: Ich glaube, die Grundkompetenz, die wir als Seelsorger mitbringen müssen, ist, dass da eine Empathie ist, aber nicht der „Ich kann das jetzt alles lösen“-Anspruch. Wichtig ist, dass auch Hilfsangebote für uns Seelsorger existieren. Und die gibt es. Um die Frage zu beantworten, wie ich ins Bett gehe: Manchmal ist es schwierig. Dabei ist es völlig egal, ob sich meine Gedanken um eine spezifische Person mit einem persönlichen Problem drehen oder um die Weltlage. Wichtig ist, mit seinem Partner oder mit Freunden über die Sachen sprechen zu können - natürlich ohne dabei die Schweigepflicht zu verletzen. Man braucht sein eigenes Netzwerk für die eigene seelische Gesundheit.

epd: Ihr Büro ist in Hamburg, Ihre Familie lebt aber in Berlin...

Ederberg: Ich bin, wie ganz viele Menschen in der Bundeswehr, Wochenendpendler. Meine Frau ist Gemeinderabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Daher werden wir - also meine Frau, unsere jüngste Tochter, die noch zu Hause wohnt, und ich - nicht nach Hamburg umziehen. Aber ich bin ja eh sehr viel unterwegs in den fünf Nordländern.

Ich habe hier bei der Führungsakademie für die Tage unter der Woche eine Stube, so nennt man das bei der Bundeswehr. Die Akademie liegt inmitten einer wunderbaren Parkanlage. Es ist ein Privileg, hier zu sein und im Park Sommer, Herbst, Winter und jetzt wieder den beginnenden Frühling zu erleben. Es ist schön im Park und in Hamburg. Auch das ist etwas, was nach schwierigen Gesprächen neue Kraft gibt.