Mali: Wenn Kinder zu Goldgräbern werden

Dürre und Gewalt treiben immer mehr Menschen in Mali in die Not. In Nana-Kéniéba wird dennoch geteilt, mit Vertriebenen, die alles verloren haben. Die Dorfgemeinschaft setzt ihre Hoffnung in die Goldsuche, für die auch Kinder in Erdlöcher steigen.

Bamako (epd). Aus der Tiefe der Erde kommt dumpfes Rumpeln, manchmal schlägt Metall auf Gestein. Dann ein Ruf, und Nouhou Arama zieht kräftig an einem schwarzen Seil. Nach einigen Minuten kommt ein aufgeschnittener Kanister nach oben, der mit Gesteinsbrocken gefüllt ist. Arama leert den Kanister und lässt ihn wieder nach unten. Wenig später geht dort das Rumpeln weiter.

Arama gibt sein Alter mit 18 Jahren an, er sieht aber deutlich jünger aus. Er ist verantwortlich für ein tiefes Erdloch, von dem er, seine Freunde und die Bewohner des Dorfes Nana-Kéniéba im Süden Malis hoffen, dass es Gold enthält. Nicht nur die Kinder suchen hier ihr Glück, sondern auch Männer und Frauen. „Unser Marabou hat uns vorausgesagt, dass wir hier Gold finden“, erklärt Amadou Keïta, einer der Söhne des Dorfchefs. Den Marabou, einen islamischen Heiligen, hatten die Dorfbewohner konsultiert, weil sie sich in ihrer Not nicht mehr anders zu helfen wussten. Keïta hat die Oberaufsicht über das Grabungsprojekt, an dem sich die gesamte Bevölkerung beteiligt.

In Mali gibt es derzeit viele Gründe für die zunehmende Armut. Der westafrikanische Sahelstaat befindet sich seit 2012 in einer schweren politischen und Sicherheitskrise. Nach insgesamt drei Militärputschen regiert in der Hauptstadt Bamako nun eine militärische Übergangsregierung unter Oberst Assimi Goïta. Von der Bevölkerung bekommt sie bisher viel Zustimmung, während die letzte zivile Regierung wegen der grassierenden Korruption den Zorn der Menschen auf sich zog. Aber auch, weil sie bei der wichtigsten staatlichen Aufgaben komplett versagte: das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Mehrere radikal-islamische Gruppen kämpfen in Mali gegen die Regierung, gegeneinander und gegen die Bevölkerung. Sie gehören teils zum „Islamischen Staat“, teils zum Terrornetzwerk Al-Kaida. Hinzu kommen brutale ethnische Konflikte und Angriffe anderer bewaffneter Gruppen auf die Bevölkerung. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch werfen der malischen Armee und ihren russischen Verbündeten ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Tausende Menschen wurden in den vergangenen Jahren Opfer der Gewalt, Hunderttausende sind aus ihren Dörfern geflohen und nun auf Hilfe angewiesen. Hinzu kommt eine schwere Dürre in der Region. Und auch in Mali sind die Preise für viele Produkte gestiegen.

Arama hat keinen Zweifel daran, dass in den Gesteinsbrocken Gold ist, was tatsächlich nicht ganz unwahrscheinlich ist. „Es ist nur etwas schwer zu finden“, sagt der zarte, ernst blickende Junge, der der regionalen Mode folgend trotz Temperaturen von deutlich über 30 Grad eine Wollmütze trägt. Die Jungen, die ihm bei der Arbeit helfen, wirken noch jünger als er, einige tragen ebenfalls Mützen. Keiner von ihnen war in der Schule. „Sollten wir doch kein Gold finden, gehen wir wieder aufs Feld“, sagt Arama.

Dass er ein Feld hat, dem er notfalls wieder eine Ernte abzuringen versuchen könnte, ist alles andere als selbstverständlich. Auch, dass das Dorf ihm eine Stelle für die Goldsuche zugewiesen hat, ist bemerkenswert. Denn Arama und seine Familie gehören zum Volk der Dogon, sie sind vor der Gewalt in anderen Landesteilen hierher geflohen.

Seit 2016 haben rund 400 Dogon-Familien in Nana-Kéniéba Zuflucht gefunden, das sind etwa 1.500 Menschen - bei gut 3.000 einheimischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Menschen in der Region gehören überwiegend zum Volk der Malinké. „Sie waren in ihrer Heimat in Schwierigkeiten“, erklärt Dorfchef Sekou Keïta die Gastfreundschaft. „Abgesandte von ihnen haben uns gefragt, ob sie sich bei uns niederlassen könnten. Wir haben gesagt: “Kein Problem, wir geben Euch Land, ihr seid bei uns willkommen."

Sekou Keïta, der sein Alter auf 100 Jahre schätzt, sitzt in einem weißen Gewand auf der Holzliege vor seiner Lehmhütte, den Kopf mit einem randlosen Hut bedeckt. In der Hand hält er einen langen Holzstab, Insignie seiner Macht. Der Dorfchef ist die oberste Autorität, in wichtigen Fragen berät er sich mit dem Ältestenrat. So auch, als es um die Aufnahme der Flüchtlinge aus dem Dogonland ging. Niemand stellte sich dagegen. Auch nicht, nachdem alle spürten, wie teuer sie für ihre Gastfreundschaft zahlen mussten. Zwar hatten sie den Neuankömmlingen Land zugewiesen, aber bis die ihre erste Ernte einbringen konnten, aßen alle das, was von der letzten Ernte der Dorfbewohner übrig war.

Inzwischen profitierten die Einheimischen durchaus auch von Flüchtlingen, meint Dorfchef Keïta. Denn die neuen Dorfbewohner arbeiten mit, und bieten anderen ihre Dienste an, beispielsweise beim Hausbau. Oder eben jetzt in der Grube, von der Einheimische und Flüchtlinge gemeinsam hoffen, dass es eine Goldgrube ist.