Kurschus: Zeit ist reif für Waffenstillstands-Suche im Ukraine-Krieg

Militärische Hilfe für die Ukraine reicht für Präses Kurschus nicht mehr aus: Die Zeit sei reif, nach einem Waffenstillstand zu fragen, sagt die Theologin. Vor der westfälischen Synode spricht sie auch über Flüchtlingspolitik und Kirchenaustritte.

Bielefeld (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, fordert ein Umdenken im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine. Die Zeit sei reif, „nach den Bedingungen, den Kompromissen und den Kosten eines Waffenstillstands zu fragen und diese Frage ins Zentrum aller Überlegungen zu stellen“, sagte sie am Montag vor der westfälischen Landessynode in Bielefeld. In ihrem Bericht vor dem Kirchenparlament kritisierte sie zudem die europäische Flüchtlingspolitik und populistische Rhetorik. In der kleiner werdenden Kirche sollten die Aufgaben „experimentierfreudig und dabei fehlerfreundlich“ angepackt werden.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sei „inzwischen zu einem Stellungskrieg geworden, der Hunderttausende Menschen tötet und immer größere Flächen Land irreparabel zerstört“, beklagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen. Ein Ende sei derzeit nicht abzusehen. „Aus christlicher Sicht dürfen wir aber das Ende nicht aus den Augen verlieren.“

Dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützt, hält Kurschus zwar weiterhin für ethisch vertretbar. „Wir müssen jedoch endlich beginnen, anders zu fragen“, sagte sie. Die Zeit sei reif, „moralisch-gesinnungsethische und völkerrechtliche Maximalforderungen hintanzustellen“. Es gelte, nach Kompromissen zu suchen und dabei unangenehme Fragen zu diskutieren: „Was ist uns die Freiheit wert? Konkret heißt das: Welche Sicherheitsgarantien sind wir bereit zu leisten?“

Diese Fragen müssten zeitnah politisch geklärt werden, damit es möglichst bald zu einem Waffenstillstand kommen könne, erklärte die westfälische Präses. Dies sei Voraussetzung für Verhandlungen und „nur Verhandlungen führen zum Frieden“.

Flüchtlingsschutz wird nach Kurschus' Worten zunehmend als Schutz vor Flüchtlingen auslegt: „Verschärfung der Abschreckung, Hotspots an den Außengrenzen, Kriminalisieren der Seenotrettung.“ Abschottung und Zäune sowie „eine Rhetorik, die Angst verbreitet“, spielten jedoch Populisten in die Hände und lösten kein einziges Problem, kritisierte sie. Es sei Aufgabe der Kirchen, „dem Ungeist der Rechtspopulisten und der Vernebelung der Sprache deutlich und vernehmbar zu widersprechen“.

Dankbar zeigte sich die EKD-Ratsvorsitzende für das „großartige Engagement unseres Landes und unserer Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten, vor allem von Frauen und Kindern aus der Ukraine“. Ihr sei bewusst, dass die Städte am Limit seien und Geld und Aufnahmeplätze fehlten. Daher müsse die Zuwanderung demokratieverträglich gestaltet werden.

Mit Blick auf den „dramatischen Mitgliederverlust“ rief die leitende Theologin der viertgrößten Landeskirche die Gläubigen auf, sich von den großen Herausforderungen der Kirche nicht lähmen zu lassen. Zwar müssten Haushalte konsolidiert, Gebäudebestände reduziert und der Klimaschutz vorangebracht werden. Dennoch gelte es vor allem, sich vom Glauben tragen zu lassen und das Evangelium zu verbreiten.

Ebenso müssten „die prominenten Fragen unserer Gesellschaft“ wie Frieden und Klimaschutz weiter mutig angegangen werden, sagte Kurschus: „Wir sind nicht dazu da, Mitglieder zu haben, Mitglieder zu gewinnen oder Mitglieder zu halten.“ Die Kirchenaustritte beschäftigen die bis Mittwoch tagende Landessynode der zwei Millionen westfälischen Protestanten intensiv: Alle Ausschüsse beschäftigen sich mit einer Studie zum Thema.