Kriegsreporter ohne Feindbild

Mainz (epd). Eigentlich kümmerte sich die Konditorin Uljana Kotsaba lieber um ihre Torten und um die beiden Kinder als um Politik. Doch seit die Ukraine-Krise das Leben ihrer Familie auf den Kopf gestellt hat, ist alles anders. Nun steht sie im Mainzer Gewerkschaftshaus, um auf das Schicksal ihres Mannes aufmerksam zu machen: Der Journalist und Kriegsdienstgegner Ruslan Kotsaba sitzt seit 15 Monaten im Untersuchungsgefängnis von Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine. In erster Instanz wurde er wegen Behinderung der Streitkräfte zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er alle Ukrainer zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hatte.

"Je mehr Menschen von dem Prozess wissen, desto höher ist die Chance, dass es ein rechtsstaatliches Urteil geben wird", glaubt die Ehefrau des 49-Jährigen. Amnesty International hat Kotsaba mittlerweile als gewaltlosen politischen Häftling anerkannt. Dennoch könnte das Berufungsverfahren auch mit einem deutlich härteren Richterspruch enden, fürchtet Uljana. Die Staatsanwaltschaft wollte den Kriegsgegner nämlich auch wegen Landesverrats hinter Gitter bringen - für insgesamt 13 Jahre.

Offizieller Anlass für Kotsabas Festnahme im Februar 2015 war ein Appell, den der Journalist bei einem Spaziergang in die Kamera seines Mobiltelefons gesprochen und dann im Internet veröffentlicht hatte. Darin forderte er Staatschef Petro Poroschenko auf, ihm keinen Einberufungsbefehl für den Kampfeinsatz im Osten des Landes zuzusenden: "Ich gehe lieber für zwei bis fünf Jahre ins Gefängnis, statt in den Bürgerkrieg zu ziehen und meine Landsleute im Osten zu töten." 

Persönlich hätte ihr Mann aus gesundheitlichen Gründen wahrscheinlich gar keine Einberufung befürchten müssen, erläutert Ehefrau Uljana die Aktion. Ihm sei es darum gegangen, ein Zeichen gegen den Brudermord und gegen den illegalen Einsatz zwangsrekrutierter Soldaten im offiziell nie erklärten Krieg im Donbass zu setzen.

Im verfahrenen Konflikt um die Zukunft der Ukraine passt der Fernsehreporter und Videoblogger Kotsaba auf den ersten Blick in keine Schublade. Als unbestechlich und "immer gegen den Strom" beschreibt ihn seine Frau. Bei der "Orangenen Revolution" 2004 war er noch Aktivist auf der Seite der prowestlichen Kräfte. Nach dem Beginn der Kämpfe im Donbass-Gebiet reiste er 2014 dann für den landesweiten Fernsehsender "112 Ukraina" ins Kriegsgebiet und ließ sich als erster westukrainischer Journalist offiziell bei den Separatisten akkreditieren.

Kotsabas Reportagen von der anderen Seite der Front gerieten in wachsenden Widerspruch zur offiziellen Linie. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Journalisten-Kollegen sah Kotsaba sein Land keineswegs in einer "Anti-Terror-Operation" oder im Verteidigungskampf gegen russische Besatzungstruppen, sondern in einem Bürgerkrieg. "Viele haben ihn für einen Verräter gehalten", berichtet Uljana Kotsaba, "unser Kinder wurden in der Schule als Separatisten beschimpft." Mittlerweile erfahre sie aber selbst in ihrer Heimatstadt wachsenden Zuspruch.

Das Schicksal des Journalisten Kotsaba wirft ein Schlaglicht auf die Situation von Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine. Weil sie nicht kämpfen wollen, sind mittlerweile unzählige Ukrainer in die Nachbarländer geflohen. Mehrere Tausend haben auch in Deutschland Asylanträge gestellt. "Meinen Nachbarn haben wir schon beerdigt", begründet der Unternehmer Ihor (Name geändert), warum er vor einer Einberufungswelle aus seiner Heimatstadt Dnipropetrowsk flüchtete.

Gegen ein Schmiergeld hätte er sich vom Kriegsdienst freikaufen können, berichtet der Unternehmer, der nach eigenen Angaben bis 2014 "nicht schlecht verdiente" und nun tatenlos in einem deutschen Asylbewerberheim herumsitzt. Er habe aber niemanden bestechen wollen. Die siegreichen Nationalisten vom Kiewer Maidan seien unfähig gewesen, die Folgen ihrer Politik vorauszusehen, klagt er. Und die Separatisten im Donbass so dumm, jeden Unfug der russischen Propaganda zu glauben. "Es sind alles Idioten", lautet Ihors Fazit über den Zustand seiner Heimat.