Konfliktforscher Zick: "Wir leben in schweren Krisenzeiten"

Bielefeld (epd). Mit einer neuen Konfliktakademie in Bielefeld sollen nach Worten ihres Leiters Andreas Zick künftig lokale Konflikte erforscht und bearbeitet werden. „Wir möchten das, was wir aus der Forschung wissen, schneller an Menschen und Institutionen, die Konflikte bearbeiten, vermitteln“, sagte Zick dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Akademie „ConflictA“ wird am 30. Oktober offiziell an der Universität Bielefeld eröffnet.

Kommunen, Kreise, Städte und Dörfer gerieten durch Angriffe von populistischen oder extremistischen Gruppen zunehmend in Konflikte, sagte Zick, der auch Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung ist. Als Beispiel nannte er Angriffe auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister oder das Auftauchen von sogenannten Bürgerwehren. „Wir können mit der Akademie Konzepte und Modelle entwickeln, wie Kommunen, aber auch Institutionen und Gruppen eigene Konfliktkompetenzen entwickeln können.“

Die Akademie könne bei Krisen schnell vor Ort sein und mit den Betroffenen den Konflikt bearbeiten, kündigte Zick an. Aufgabe der Akademie sei es, Konflikte zu erforschen, zu besprechen, zu bearbeiten und daraus zu lernen.

„Wir leben in schweren Krisenzeiten“, sagte der Wissenschaftler. Krisen zeichneten sich dadurch aus, dass es keine Patentrezepte und einfache Lösungen gebe. Die Akademie könne zwar nicht die Demokratie retten. Sie könne aber mit dem Wissen über Konflikte, Friedensherstellung und Gewaltprävention dazu beitragen, dass Bürger aller gesellschaftlicher Gruppen die Demokratie besser schützen könnten.

Das Interview im Wortlaut:

epd: Was ist das Neue an der Konfliktakademie, etwa im Unterschied zu dem von Ihnen geleiteten Institut für Konflikt- und Gewaltforschung?

Andreas Zick: Neu ist zunächst, dass es die erste Konfliktakademie an einer Universität ist und damit eine Akademie, die Konfliktforschung, Wissenskommunikation und den Transfer direkt und mit höherer Geschwindigkeit verbindet. Wir möchten das, was wir aus der Forschung wissen, schneller an Menschen und Institutionen, die Konflikte bearbeiten, vermitteln.

epd: Was heißt das konkret?

Zick: Wenn wir Konflikte an einem bestimmten Ort sehen, können wir schnell dort sein und mit jenen, die von Konflikten betroffen sind, gemeinsam die Konfliktdynamik ergründen und sie dann bearbeiten. Unser Motto heißt: „Konflikte beforschen, besprechen, bearbeiten und daraus lernen“. Das tun wir gemeinsam mit Institutionen wie auch mit anderen Instituten, die zu Konflikten, Frieden und Gewalt forschen.

Wir wollen Konflikte, die viele Menschen belasten, zur Sprache bringen. Dafür schaffen wir einen Raum, wo sie weniger polarisiert und aufgeheizt behandelt werden können.

epd: Wen haben Sie als Zielgruppe für die Akademie im Blick?

Zick: Wir wollen Gruppen eine Stimme geben, die bei der Aushandlung von Konflikten oft nicht gehört werden. Von ihren Stimmen wollen wir auch wissenschaftlich etwas lernen. Wir leben in schweren Krisenzeiten. Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass es eben keine Patentrezepte und einfache Lösungen gibt. Sie zeichnen sich auch durch die Eskalation von Konflikten aus. Wir wollen erforschen, wie Menschen und Institutionen aus sogenannten Empörungsschleifen herauskommen können. Ebenso geht es um die Frage, wann Konflikte in Gewalt kippen, und wie das gebremst werden kann.

epd: Die Akademie soll auch helfen, die Demokratie zu schützen. Wie kann das konkret aussehen?

Zick: Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass Kommunen, Kreise und Städte wie Dörfer durch Angriffe von populistischen oder extremistischen Gruppen in Konfliktlagen gekommen sind. Denken Sie etwa an die Angriffe auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister oder an die Fälle, wenn auf einmal Bürgerwehren auftauchen. Dann entbrennen Konflikte, weil schnelle Lösungen gesucht werden. An diese Konflikte heften sich schnell viele andere. Wir können mit der Akademie Konzepte und Modelle entwickeln, wie Kommunen, aber auch Institutionen und Gruppen eigene Konfliktkompetenzen entwickeln können.

epd: Haben Sie weitere Beispiele vor Augen?

Zick: Ja, etwa das Konflikterleben von jungen Menschen in der Demokratie. Gerade erfahren wir von der Shell-Jugendstudie, dass junge Menschen mehr Interesse an Politik haben und zugleich aber einige von der Demokratie abrücken. Schulen und Familien können nur begrenzt darauf reagieren. Wir sammeln Wissen aus der Forschung, werten es aus und entwickeln mit jungen Menschen und den Institutionen, denen sie vertrauen, neue Wege der Teilhabe.

Ebenso versuchen wir, weiter die Wahrnehmungen und Einstellungen zur Demokratie zu erforschen. Dabei geht es um die Frage, ob es bei Konflikten um handfeste Interessen oder um Werte wie Identitäten geht. Allerdings wird die Akademie die Demokratie nicht retten und sie soll das auch gar nicht. Sie kann aber einen Beitrag dazu leisten, wie auf der Grundlage von Wissen über Konflikte, Friedensherstellung und Gewaltprävention Bürgerinnen und Bürger aller gesellschaftlicher Gruppen selbst besser die Demokratie schützen.

epd: Die Konfliktakademie ist zunächst auf vier Jahre angelegt. Wie soll es danach weitergehen?

Zick: Wir entwickeln die Akademie nicht, um sie nach vier Jahren einzustellen, auch wenn sie erst einmal als Projekt gefördert wird. Ob wir weitermachen dürfen, hängt vom politischen Willen ab. Die Fördermittel kamen aus dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Der kann in vier Jahren erneut entscheiden. Dazu brauchen wir am Ende Politikerinnen und Politiker, die den Willen bekunden. Es hängt vielleicht auch vom Willen des Bundeslandes und der Landesregierung NRW ab. Sie könnte uns stärken. Es hängt von der Universitätsleitung ab, die uns unterstützt.

epd: Wie sehen Sie die langfristige Zukunft der neuen Akademie?

Zick: Es klingt fast zynisch, wenn ich sage, dass ich optimistisch bin, weil es so viel zu tun gibt und vier Jahre nie reichen werden. Die Demokratie ist ein Konfliktgebilde und da sind alle Kräfte, die Konflikte konstruktiv gestalten können, gerade angesichts der Krisen und Bedrohungen gefragt. Dazu gehört die Konfliktforschung.

Ich könnte auch pessimistisch sein, weil bestimmte politische und ideologisch motivierte Kräfte uns lieber schließen möchten. Forschung wird in diesen Krisenzeiten eben auch ideologisch motiviert in Zweifel gezogen und angegriffen. Daher ist am Ende die Frage nach der Zukunft von uns auch eine Frage nach der Zukunft des Zustandes der Gesellschaft.