Konfliktforscher: Radikale nutzen Krisenängste aus

Bielefeld (epd). Angesichts steigender Energiepreise und des Kriegs in der Ukraine warnt der Konfliktforscher Andreas Zick vor Radikalisierungen in Deutschland. In Krisenzeiten mit damit verbundenen Folgen von Inflation und Energieknappheit müssten Regierungen regulieren und eingreifen, sagte der Konfliktforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es entstehen neue Ungewissheiten, die angesichts eines Gefühls, dass vieles außer Kontrolle gerät, als Bedrohungen wahrgenommen werden“, warnte der Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Daran würden rechte und nationalistisch orientierte Gruppen anknüpfen.

Mit dem Krieg in der Ukraine würden zudem radikale Ideologien in die bundesdeutsche Gesellschaft einziehen, warnte Zick. Die Auswirkungen des Kriegs, vielen Menschen einen Fluchtort zu geben, sowie Energie einsparen zu müssen, seien für jeden spürbar. Einfache autoritäre Ideen von „Wir zuerst“ würden wieder salonfähig. Appelle an Solidarität, an ein „Abgeben“, würden nicht greifen, weil ein Teil der Gesellschaft dies nicht könne.

Bereits in der Pandemie hätten sich neue Protestkulturen gebildet, die an der Demokratie zweifeln, und die ihre Idee von Widerstand gegen Eliten in die Mitte der Gesellschaft getragen haben, erklärte der Sozialpsychologe. Viele Menschen fühlten sich bedroht und ratlos, sie sähen zudem die Konzepte zur Krisenkontrolle skeptisch. „Da fällt es radikalen Gruppen leichter, ihre Ideen als alternative Identitätsangebote zu vermitteln“, warnte der Konfliktforscher.

Nötig ist nach seinen Worten eine starke, solidarische und zusammenhaltsfördernde Zivilgesellschaft. Als Beispiel nannte Zick die große Hilfsbereitschaft zu Beginn der Pandemie. Solche Solidaritäts- und Zusammenhaltskulturen müssten sich jedoch erst bilden.

Auf Konflikte in der Gesellschaft schnell zu reagieren, ist auch Ziel der Konfliktakademie, die im kommenden Jahr am Konfliktforschungsinstitut der Universität Bielefeld die Arbeit aufnehmen soll. Konflikte und Konfliktlösungskonzepte sollen früh analysiert, und in Beratungskonzepte gebracht werden, erläuterte Zick. „An den vielen ungelösten und oft hasserfüllten Konflikten in der Gesellschaft sehen wir, dass es viel zu tun gibt“, unterstrich der Wissenschaftler. Der Haushaltsausschuss des Bundes hat für den Aufbau der Konfliktakademie rund zwei Millionen Euro aus dem Etat des Bundesforschungsministeriums bereitgestellt.

Das Interview im Wortlaut:

epd: Konflikte im Alltag nehmen zu und eskalieren schneller. Ist das ein Ausdruck der aktuellen Krisen?

Zick: In unseren Studien sehen wir, dass dafür Kriseneffekte mit vielfachen Ungewissheiten, ein Aufschwung des Rechtspopulismus und des Rechtsextremismus verantwortlich sind. Dazu gehört auch ein zunehmendes Misstrauen in die Demokratie. In Krisenzeiten, wie wir sie nun in der Pandemie, den Klimakatastrophen und dem Krieg in der Ukraine erleben, müssen Regierungen regulieren und eingreifen. Verbunden mit der Krise sind Inflation und Energieknappheit. Es entstehen neue Ungewissheiten, die angesichts eines Gefühls, dass vieles außer Kontrolle gerät, als Bedrohungen wahrgenommen werden. Daran konnten rechte und nationalistisch orientierte Gruppen anknüpfen.

epd: Was sind das für Gruppen?

Zick: Es haben sich in der Pandemie neue Protestkulturen gebildet, die an Demokratie zweifeln, die ihre Idee von Widerstand gegen Eliten und damit verbundene Verschwörungsmythen in die Mitte getragen haben. Viele Menschen fühlen sich bedroht und ratlos. Sie sehen die Konzepte zur Krisenkontrolle nicht oder skeptisch. Da fällt es radikalen Gruppen leichter, ihre Ideen als alternative Identitätsangebote zu vermitteln.

epd: Was kann man dagegen tun?

Zick: Dagegen könnte eine starke, solidarische und zusammenhaltfördernde Zivilgesellschaft stehen. Eine Gesellschaft, wie wir sie zu Beginn der Pandemie gesehen haben, wo Menschen anderen geholfen haben, unabhängig davon, wer sie sind. Solche Solidaritäts- und Zusammenhaltkulturen müssen sich aber bilden. Das fällt schwer, weil die Ungewissheit über die Zukunft als belastend erlebt wird. Wenn sich Menschen dann ohnmächtig fühlen, suchen sie einfache Antworten und eher weniger nach Möglichkeiten der Hilfe für andere. Solidarisches Verhalten ist leichter möglich in Katastrophenfällen als in Krisenzeiten, die nicht aufzuhören scheinen.

epd: Mit dem Krieg in der Ukraine ist der Krieg auch in Deutschland näher gerückt. Was bedeutet das für die deutsche Gesellschaft?

Zick: Der Krieg ist eine neue und besonders herausfordernde Katastrophe für Europa und viele Teile der Welt. Die mangelnde Vorhersehbarkeit der Gewalt, die aus der Täuschung über einen Frieden durch Handel und aus falsch investiertem politischen Vertrauen resultiert, hat alle in eine Schockstarre versetzt. Dem Krieg zu begegnen, schien und scheint vielen Menschen nun nur noch eine Frage der militärischen Optionen zu sein. Das führt zu massiven Konflikten, weil das gegen tradierte Interessen, Werte und gegen Identitätsvorstellungen von demokratischen Gemeinschaften geht - wir sind schließlich friedensorientiert. Es führt zu den Zerreißproben, die wir in vielen Diskussionen sehen.

epd: Was steht hinter diesem Konflikt?

Zick: Wir sehen in vielen Studien, dass wir in der Gesellschaft neben einer Option, der Ukraine zum militärischen Sieg zu verhelfen, kein stabiles Gegenmodell haben. Dazu gehören die Fragen: Was ist der Frieden? Was braucht es für langfristige Friedenssicherung nach einem kalten Frieden, der durch Waffenruhe geprägt ist? Welche Friedensallianzen sind wichtig? Wie halten wir den innergesellschaftlichen Frieden aufrecht? Diese Fragen nach Friedenskonzepten müssen in Friedenszeiten geklärt sein, in einer Zeit des Krieges wird es umso dringlicher.

epd: Haben steigende Energiekosten und Preise Auswirkungen auf die Solidarität gegenüber der Ukraine?

Zick: Wir spüren jetzt alle, was Krieg heißt: ganz konkret an den Preisen und der Notwendigkeit, Energie zu sparen, sowie vielen Menschen einen Fluchtort zu geben. Das wird nicht allen gefallen. Nationalistische und einfache autoritäre Ideen von „Wir zuerst“ werden wieder salonfähig. Mit dem Krieg ziehen also auch radikale Ideologien ein. Appelle an Solidarität, an ein „Abgeben“ greifen nicht, weil ein Teil der Gesellschaft sagt, dass das nicht gehe.

epd: Was kann hier künftig die neue, an ihrem Institut geplante Konfliktakademie tun, die im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen soll?

Zick: Wir werden ein Forum schaffen, auf dem wir Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik zu diesen Fragen schneller zusammenbringen können. Wir brauchen Dialogorte, die Diskussionen einen Raum geben, der nicht von Ideologien und Hass geprägt ist. Hier sollen Menschen und Gruppen versammelt werden, die Ideen für konstruktive Konfliktlösungen suchen. Wir werden hoffentlich einen starken Forschungsteil haben. Ich brauche bessere Daten über Konflikte, die in lokalen Räumen schädigend verlaufen.

epd: Wie sieht das konkret aus?

Zick: Wir müssen schnell in Räume kommen, um Konflikte und Konfliktlösungskonzepte früh zu ermitteln, die Konflikte analysieren, um sie dann in Formate von Beratung zu bringen. Das geht nun hoffentlich besser, weil wir die Zeit zwischen Forschungskonzepten und Analysen verringern. Und wir werden Konzepte entwickeln, um Nachwuchs an Konfliktbearbeiterinnen und Konfliktbearbeitern zu gewinnen sowie etwas für die Qualifizierung und Weiterbildung tun. An den vielen ungelösten und oft hasserfüllten Konflikten in der Gesellschaft sehen wir, dass es viel zu tun gibt.