Konfliktforscher: Mittelfristig kein Friede in der Ukraine

Frankfurt a.M. (epd). Der Konfliktforscher Jonas J. Driedger hat zum Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar einen Friedensschluss mittelfristig als „extrem unwahrscheinlich“ bezeichnet. Ein Konflikt um ein strittiges, ideell aufgeladenes Territorium sei sehr schwierig zu lösen, sagte der Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main dem Evangelischen Pressedienst (epd). Solche Konflikte, wie der Palästina- oder der Kaschmir-Konflikt, schwelten ungelöst seit Jahrzehnten und hätten mehrere Kriege verursacht.

Der russische Präsident Wladimir Putin habe die seit 2014 besetzte ukrainische Krim als „heilig“ für Russland bezeichnet und im Herbst 2022 die russisch besetzten Gebiete in der Ukraine zu russischem Staatsgebiet erklärt, erläuterte der Politikwissenschaftler. Umgekehrt hätten die Ukrainer seit acht Jahren einen „niedrigschwelligen Krieg“ gegen Russland im östlichen Donbass ausgestanden und noch Ende 2022 bei Umfragen mit überwältigender Mehrheit sich dafür ausgesprochen, Russland so lange zu bekämpfen, bis dessen Truppen aus dem Land vertrieben seien.

Um die Kriegshandlungen zu beenden, müsse es voraussichtlich zuerst zu einem militärischen Patt kommen, bei dem keine Seite durch eine Eskalation weiterkomme, führte Driedger aus. Außerdem müsse das Patt beiden Seiten innenpolitisch und wirtschaftlich wehtun, sodass es konkrete Anreize für eine Deeskalation gebe. Danach könne es zu einem Waffenstillstand kommen, bei dem noch keine Seite Kriegsziele aufgeben müsse. Gefangenenaustausche, die Gründung von Verhandlungskommissionen und die Mediation Dritter könnten den Weg ebnen, dass der „heiße Krieg“ sich in einen „kalten Krieg“ wandele.

Sehr wichtig für die Ukraine seien die westlichen Waffenlieferungen, die ihr bisher geholfen hätten, die russische Offensive zu stoppen und Teile des Landes zurückzuerobern. Der Mut und die Opferbereitschaft der ukrainischen Bevölkerung spielten eine nicht minder wichtige Rolle. Die Ukraine brauche aber genauso die wirtschaftliche Hilfe des Westens, um nicht finanziell zusammenzubrechen. Die Lieferung schlagkräftiger Waffen wie des Leopard-Panzers sei zweischneidig, führte der Konfliktforscher aus.

Einerseits befähigten sie die Ukraine, sich gegen etwaige zukünftige russische Offensiven zu verteidigen und auch besetztes Gebiet zurückzuerobern. Andererseits erhöhten sie das Eskalationsrisiko durch Russland. Russland könne eine volle Mobilmachung anordnen, wovor das Regime wegen befürchteten Unmuts in der Bevölkerung bisher zurückgescheut habe, die Intensität der Kriegsverbrechen steigern, die Getreideexporte der Ukraine über das Schwarze Meer wieder blockieren oder gar Atomwaffen einsetzen.

„Deutschland ist moralisch nicht in der Situation, wo es mahnend den Zeigefinger heben kann und ihm zugehört wird“, sagte Driedger mit Blick auf die Außenpolitik. Deutschland müsse auch gegenüber der Ukraine erst Vertrauen aufbauen. Die Bundesregierung habe gegenüber den Bitten der Ukraine um Militärhilfe während der Vorbereitung der russischen Invasion bis zum Tag des Einmarsches auf dem Satz beharrt, „Waffen lösen keine Probleme“. Seit März 2022 bitte die Ukraine um die Lieferung von Panzern, aber erst nach knapp einem Kriegsjahr habe die Bundesregierung zugestimmt.