Konfliktforscher: Gewalt in der Gesellschaft wird unterschätzt

Köln, Bielefeld (epd). Der Bielefelder Sozialpsychologe und Konfliktforscher Andreas Zick fordert von der Politik, Kommunen im Umgang mit Konflikten vor Ort zu stärken. „Die ganzen Konflikte, die wir sehen, schlagen vor Ort in Kommunen auf, werden auch vor Ort gesucht“, sagte Zick am Dienstag im WDR5-„Morgenecho“. Extremistische und radikale Kräfte versuchten vor Ort, Kommunen in Unruhe zu versetzen. „Wir unterschätzen ständig Gewalt in der Gesellschaft und schätzen sie falsch ein.“ Benötigt werde ein breiter und längerfristiger Plan.

Der Forscher der Universität Bielefeld appellierte an die Politik, sich in Krisenzeiten bei der Entwicklung längerfristiger Perspektiven stärker auf konkretes Datenmaterial zu stützen. Dafür müsse die Forschung Unterstützung und Gelegenheit erhalten, systematisch Daten etwa über vorurteilsbasierten Hass zu erheben, mahnte Zick an. Zu häufig endeten jedoch solche längerfristigen Maßnahmen, etwa zu Gewalt und Radikalisierung in Krisenzeiten, in der Tagespolitik und in kurzfristigen Projekten.

Das, was jetzt etwa in sozialen Netzwerken, auf Demonstrationen und in bestimmten Gruppierungen im Verlauf der aktuellen Corona-Pandemie an Radikalisierung, Hass und Menschenfeindlichkeit entstehe, sei nicht neu, betonte Zick. „Solche Radikalisierungsprozesse haben bestimmte Parallelitäten“, erläuterte er. Pandemien zeigten dabei eine Besonderheit: „Radikale Gruppen haben es sehr viel leichter, in der Mitte der Gesellschaft Menschen anzusprechen.“

Auch vergangene Pandemien oder Krisen wie Umweltkatastrophen hätten wirkmächtige Feindbilder hervorgebracht. Derzeit stehe die Gesellschaft in der Corona-Pandemie vor der Herausforderung, dass sich - nach anfänglichen Feindbildern etwa gegen Asiaten oder gegen Juden in Verschwörungserzählungen - immer stärker eine „Elitenfeindlichkeit“ zeige, sagte Zick. Im Verlauf der Corona-Pandemie habe sich eine Art Brücke zischen den verschiedenen Gruppen, die gegen Corona-Regeln sind, gebildet. Mit dem Effekt, dass sich die Beteiligten als Teil einer großen Widerstandsbewegung sehen gegen „die Mächtigen, die Wirtschaft, die Pharmaindustrie“. Diese Polarisierung „ist die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen“.