Konfliktforscher: Europa braucht eine eigene Friedensmission

Bielefeld (epd). Zu Verhinderung einer weiteren Eskalation im Krieg in der Ukraine spricht sich der Konfliktforscher Andreas Zick für eine europäische Friedensmission aus. „Europa braucht einen stabilen Plan für die Friedenssicherung und nicht nur für eine neue Rüstungspolitik“, sagte Zick in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd). Europa habe die eigene Einigung über die friedliche Lösung von Konflikten nach der Diktatur durch Nazi-Deutschland gefunden, erklärte Zick. Nun müsse Europa sehen, welche Rolle es vor dem Hintergrund dieser Erfahrung in der Welt einnehmen könne.

Aktuell sei Europa auf dem Weg zur Grenzsicherung. Irgendwann sei es aber auch an der Zeit, wieder zu Fragen der globalen Friedenssicherung zu kommen, sagte der Wissenschaftler. Das europäische Angebot, fliehenden Menschen aus der Ukraine Schutz zu bieten, sei wichtig. Ebenso müsse Europa eine eigene Vermittlungsrolle finden. Dabei gehe es um das Verhältnis zu den USA, zu China, zu Indien und zu Staaten, zu denen es wirtschaftliche Beziehungen gibt, die aber beim Krieg in der Ukraine mit Putin sympathisierten.

Für Konflikte wie aktuell in der Ukraine-Krise gelte die Regel: „Deeskalation, so gut es geht“, sagte Zick. Dafür gebe es Diplomatie. Dafür brauche es Vermittler, die zwischen den Fronten noch eine Brücke bauen könnten, damit überhaupt Gespräche möglich seien. Neben der Sicherheitslogik mit einer gegenseitigen Abschreckung brauche es immer auch eine Friedenslogik. Diese zeige sich in Diplomatie und zivilgesellschaftlichen Demonstrationen, die ausdrücken: „Der Krieg muss enden - Wir demonstrieren gegen die russische Regierung, nicht gegen die Menschen in Russland“.

Die Ankündigung von Russlands Präsident Wladimir Putin, die Atom-Streitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, sei zwar eher ein Zeichen der Verunsicherung, weil der Einmarsch in die Ukraine schwieriger als gedacht verlaufe, sagte Zick. Die Welt erinnere sich jedoch auch an den Zweiten Weltkrieg, an Hiroschima und die Aufrüstung mit Atomwaffen in den 80er Jahren. Die Angst habe eine Geschichte und sei nicht unbegründet, sagte Zick. Sie führe jedoch auch zu weltweiten großen Demonstrationen gegen den Krieg und zu Widerständen gegen ein neues Wettrüsten.

Das Interview im Wortlaut:

epd: Wie kann aus Sicht der Konfliktforschung eine weitere Eskalation in der Ukraine-Krise verhindert werden?

Zick: In der Logik der Demokratie und der Herstellung von Sicherheit in einer Welt mit ungleicher Rüstung und einem asymmetrischen Bedrohungspotenzial gilt bis zuletzt der Grundsatz: Die Eskalation auf der Stufe zu bremsen versuchen, wo sie ist. Noch ist Russland nicht vor den letzten Eskalationsstufen, in denen es den russischen Militärs um den Krieg um jeden Preis geht. Noch scheint es so, dass Russland eigene Verluste an Menschen und ökonomischer Sicherheit zu vermeiden sucht. Noch kann es Momente geben, wo eine nicht destruktive Lösung zumindest angedacht werden kann. Das sieht auch die ukrainische Regierung, sonst hätte sie nicht eingewilligt, sich zu treffen.

epd: Worauf kommt es jetzt an?

Zick: Es gibt in solchen Konflikten nur eine Regel: Deeskalation, so gut es geht. Dafür gibt es Diplomatie. Dazu werden mit Sicherheit in den Hinterzimmern derzeit Vermittler gesucht, die zwischen den Fronten noch eine Brücke bauen können, damit überhaupt Gespräche möglich sind. Die Vermittlung ist enorm wichtig. Daher gibt es neben der Sicherheitslogik, wie sie sich in gegenseitiger Abschreckung zeigt, immer auch eine Friedenslogik. Sie zeigt sich zum Beispiel in Diplomatie und zivilgesellschaftlichen Demonstrationen, die ausdrücken: „Der Krieg muss enden - Wir demonstrieren gegen die russische Regierung, nicht gegen die Menschen in Russland.“

epd: Wie bewerten Sie die Entscheidungen der EU und auch Deutschlands für weitere Hilfen?

Zick: Es ist von außen betrachtet atemberaubend, wie sich Europa auf einmal zusammenschaltet und ökonomische wie militärische Veränderungen vornimmt. Selbst Ungarn stellt sich auf die Seite des Westens. Was Europa und vor allen Dingen europäische Politik aber immer im Auge behalten muss, ist, dass der Zusammenhalt über die Friedenssicherung und nicht allein über die militärische Stärke gelingen muss. Insofern ist das europäische Angebot, Schutz für fliehende Menschen aus der Ukraine herzustellen, wichtig. Ebenso muss Europa zwischen unterschiedlichen Mächten die eigene Vermittlungsrolle finden. Es geht um das Verhältnis zu den USA, zu China, zu Indien und zu Staaten, zu denen wirtschaftliche Beziehungen herrschen, die aber in Bezug auf den Krieg in der Ukraine mit Sympathien für Putin spielen.

epd: Was können Europa und Deutschland in diesem Konflikt konkret tun?

Zick: Europa muss als Gemeinschaft langfristig einen Friedensplan und eine eigene Friedensmission finden. Europa hat die eigene Einigung über die friedliche Lösung von Konflikten nach der Diktatur durch Nazi-Deutschland gefunden. Nun muss Europa schauen, welche Rolle es vor dem Hintergrund dieser Erfahrung in der Welt einnehmen kann. Europa braucht also einen stabilen Plan für die Friedenssicherung und nicht nur für eine neue Rüstungspolitik, die jetzt in Gang gesetzt wird durch die Unterstützung bei der Aufrüstung.

Es geht immer um die Balance zwischen Sicherheits- und Friedenspolitik, die letztendlich vom Abbau von Waffen geprägt ist. Jetzt gerade ist Europa auf dem Weg zur Grenzsicherung. Irgendwann ist es dann aber auch an der Zeit, wieder zu Fragen der globalen Friedenssicherung zu kommen.

epd: Wie schätzen Sie die Ankündigung Putins ein, die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen?

Zick: Die Drohung Putins, die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, ist meines Erachtens eher ein Zeichen der Verunsicherung, nachdem es für Putin mit der Landnahme nicht so glattläuft, wie er sich das vorgestellt hat. Putin hat eine Führung installiert, die sich isoliert, die zunehmend in ihrer eigenen Welt lebt und damit viel leichter irritierbar ist. Zudem ist noch keine Strategie erkennbar außer der Besetzung der Ukraine und der Zerstörung der ökonomischen wie militärischen Infrastruktur, auch wenn das Menschenleben kostet.

epd: Sind Ängste vor einem Atomkrieg begründet?

Zick: Putin hat diese Angst erzeugt, als er allen Ländern, die die Ukraine unterstützen, unverhohlen damit drohte, dass sie etwas erleben könnten, was sie so noch nie gesehen haben. Wer bei solchen Sätzen aus dem Mund eines Alleinherrschers keine Angst bekommt, mag gute Nerven haben. Es ist richtig: Alle Militärexperten, Kriegswissenschaftler und Beobachter beschwichtigen derzeit, weil es eben zunächst eine erste höhere Einstufung der Einsetzung von Atomwaffen ist und die Schritte zum Einsatz noch mehrere sind. Aber die Welt erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg und die Frage, was Hitler mit einer Atomwaffe gemacht hätte, an Hiroschima, an die Aufrüstung mit Atomwaffen in den 80er Jahren.

epd: Was sind die Folgen davon?

Zick: Seit Tschernobyl und Fukushima, also den zwei Atomkraftwerken, die nach Explosionen Strahlung freigesetzt haben, ist die Angst realer geworden. Zudem ist klar, dass Putin mit der Besetzung der Atomanlagen mit der atomaren Bedrohung spielt. Die Angst hat eine Geschichte und sie ist nicht unbegründet, auch wenn sie sich in der Zivilbedrohung steigert und der Krieg auch reizbar macht. Sie ist zugleich aber auch gut für den Zivilschutz, denn sie sorgt für die weltweiten großen Demonstrationen und die richten sich auch gegen ein neues Wettrüsten.

epd: Wächst unter dem Eindruck der Krise in Deutschland die Gesellschaft zusammen?

Zick: Zusammenhalt ist etwas, was Menschen aneinander bindet, Ihnen Vertrauen gibt, und ihnen Zugehörigkeit und eine Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft bietet. Der Krieg stellt diesen Zusammenhalt dar und dieser zeigt sich dann in gemeinsamen Handlungen, die darauf verweisen, was wichtig in der Gesellschaft ist. Der weltweite Frieden ist gesellschaftlich betrachtet das höchste Gut der deutschen Demokratie, weil wir auch aus der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus wissen, wozu Nationen fähig sind. Der Krieg in der Ukraine wird insofern auch als ein Angriff auf die Grundfeste und die Grundlagen dieser Demokratie verstanden. Dieser Angriff erzeugt neuen Zusammenhalt in der Friedensfrage.