Konflikt-Experte: Nato-Beitritt brächte Ukraine keine Sicherheit

Nürnberg (epd). Angesichts der Eskalation des Kriegs im Osten der Ukraine ruft der Referent für konstruktive Konfliktbearbeitung, Martin Tontsch, dazu auf, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. „Wir müssen weg von der Frage, ob man für oder gegen Russland ist“, sagte Tontsch dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag. Ein solch polarisierendes Denken sei der Anfang von Eskalation. Russland sei das größte Land der Erde und direkter Nachbar Europas: „Und es ist ein Land mit einer besonderen kulturellen Tradition, die wir nicht einfach ändern können.“

Die Bestrebungen der Ukraine, Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato zu werden, könne er nachvollziehen, sagte Tontsch weiter. Allerdings sei dies die Dynamik der Eskalation. „Die Ukraine hat kurzfristig keine Chance, in die Nato aufgenommen zu werden, es erhöht also auch nicht ihre Sicherheit“, erläuterte er. Dass die langfristige Perspektive im Raum stehe, verschließe jedoch den Weg zu konstruktiven Lösungen. Für einen dauerhaften Frieden mit Russland müsse man eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine daher langfristig ausschließen.

Großmachtansprüche Russlands, wie sie der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede am Montag geäußert habe, müssten zurückgewiesen werden. Es gebe viele Russinnen und Russen, die ihre ukrainischen Nachbarn in ihrem eigenen Land leben lassen wollten, solange dieses auch langfristig nicht Teil eines Militärbündnisses unter amerikanischer Führung werde. Sobald diese Option auf dem Tisch liege, mache man es Putin deutlich schwerer, sich im eigenen Land als Verteidiger zu inszenieren, sagte Tontsch.

Wirtschaftssanktionen seien kurzfristig das richtige Mittel, um mit der Verletzung territorialer Grenzen eines souveränen Staates umzugehen. Für einen wirklich langfristigen Frieden brauche es aber vor allem einen Transformationsprozess in Russland. Er habe große Hoffnung, dass es diesen geben werde: „Junge Menschen denken weniger in Kategorien von Nationalstaaten und alten Feindbildern, sondern mehr in denen von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung. Genau vor diesem Wandel hat Putin Angst, aber er wird sich nicht aufhalten lassen.“ Die Zivilgesellschaft werde dafür sorgen, dass es eine Ära nach Putin gebe, zeigte Tontsch sich überzeugt.

Der evangelische Pfarrer Martin Tontsch ist seit 2018 Referent der Arbeitsstelle „konstruktiv im Konflikt“ (kokon) der bayerischen Landeskirche. Die Wurzeln der Arbeitsstelle liegen in der Betreuung von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden.