"Kindersoldatinnen sind in besonderem Maße verletzlich"

Düsseldorf (epd). Jungs in militärischer Tarnkleidung, bewaffnet mit Gewehren, Pistolen oder Raketenwerfern: Mit solchen Bildern machen Hilfsorganisationen oder Medien häufig auf das Leid von Kindersoldaten aufmerksam. Doch viele Rebellen und Milizen rekrutieren nicht nur Jungen. "Auch Mädchen werden von bewaffneten Gruppen als Kundschafterinnen, Kämpferinnen oder Sexsklavinnen missbraucht", sagt Thomas Berthold, Kinderrechtsexperte bei terre des hommes.

Wie viele Kindersoldatinnen es weltweit gibt, ist schwer zu beziffern. In ihrem aktuellen Bericht zu Kindern in bewaffneten Konflikten zählen die Vereinten Nationen für das Jahr 2019 insgesamt 413 Zwangsrekrutierungen von Mädchen in zehn Ländern, unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo, dem Südsudan und Syrien. Allerdings gibt es eine hohe Dunkelziffer, weil nur wenig Fälle erfasst werden. 

Hilfsorganisationen gehen deshalb von weit höheren Zahlen aus. Bis zu 250.000 Kinder dienen weltweit als Kindersoldaten, schätzt das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, dem zehn Hilfswerke angehören - darunter die Kindernothilfe, die Aktion Weißes Friedensband, das Deutsche Komitee für Unicef und das katholische Hilfswerk missio. Unter den Kindersoldaten seien je nach Region etwa fünf bis 20 Prozent Mädchen, sagt Ekkehard Forberg, Experte für Kinder in bewaffneten Konflikten bei World Vision Deutschland. In manchen Ländern liege der Anteil sogar bei einem Drittel.

Bewaffnete Gruppen und Streitkräfte missbrauchen Mädchen für diverse Aufgaben. Im Jemen werden sie den Vereinten Nationen zufolge von den Huthi-Rebellen als Spioninnen und Sanitäterinnen eingesetzt. Oft kundschafteten Mädchen auch feindliche Stellungen aus oder seien Botinnen, sagt Berthold. Dabei machen sich bewaffnete Gruppen traditionelle Geschlechterstereotypen zu eigen. "Für Mädchen ist es in vielen Ländern leichter, an Kontrollen vorbeizukommen und Checkpoints zu passieren, weil sie nicht als Bedrohung wahrgenommen werden." 

Auf besonders brutale Weise nutzt das die nigerianische Terrormiliz Boko Haram aus. Zwischen 2017 und 2019 hat sie nach UN-Angaben 146 Mädchen und minderjährige Frauen zu Selbstmordanschlägen gezwungen. Laut einer Studie des Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre rekrutieren die Terroristen gezielt Mädchen für Selbstmordanschläge, weil sie seltener kontrolliert und durchsucht werden. Das liege auch daran, dass es in Nigeria zu wenig weibliche Sicherheitskräfte gebe. Zudem tragen Frauen im muslimischen Nordnigeria meist weite, lange Schleier, die den Sprengstoff verbergen.

Dabei sind Kindersoldatinnen einem mehrfachen Risiko ausgesetzt. Sie erfüllten teilweise ähnliche Aufgaben wie Jungen und würden zudem häufig sexuell missbraucht, sagt Unicef-Sprecherin Christine Kahmann. Mädchen seien in besonderem Maße verletzlich. Bestätigte Fälle von sexuellem Missbrauch gab es den UN zufolge zuletzt unter anderem bei Rebellengruppen in der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo und in Mali. In Syrien hat die Terrorgruppe "Islamischer Staat" Mädchen zwangsverheiratet - vor allem an ausländische Kämpfer.

Von sexueller Gewalt gegen Kindersoldatinnen berichtet auch Innocent Opwonya. Im Alter von zehn Jahren wurde der heute 31-jährige Ugander von der LRA-Miliz entführt und als Kindersoldat eingesetzt. In seiner Einheit habe es Mädchen gegeben, die von Kommandanten und anderen Soldaten als Sexsklavinnen missbraucht wurden. Auch er habe seelische Schäden und Traumata von seiner Zeit als Kindersoldat davongetragen, sagt Opwonya. "Aber den Schmerz, den Kindersoldatinnen empfinden, kann ich mir nicht vorstellen." 

Die sexuelle Gewalt erschwert ehemaligen Kindersoldatinnen zudem die Rückkehr in ihr altes Leben. Viele Mädchen seien nicht nur traumatisiert, sondern würden von ihrer Familie oder der Dorfgemeinschaft stigmatisiert oder ausgeschlossen, sagt Unicef-Sprecherin Kahmann. Es sei wichtig, ehemalige Kindersoldatinnen nach ihrer Befreiung zu unterstützen. Insbesondere brauchten sie psychosoziale Unterstützung und Bildungsangebote, damit sie später ihren Lebensunterhalt bestreiten können. 

Dafür fehlt aber häufig das Geld. "Viele Reintegrationsprogramme sind unterfinanziert", kritisiert Kahmann. Forberg zufolge braucht es zudem mehr Forschung zur Situation und Rolle von Kindersoldatinnen in bewaffneten Gruppen. Das Thema sei unterbelichtet und es gebe zu wenig Daten, sagt der World- Vision-Experte.  

Unter dem Titel "Red Hand Day" wird jedes Jahr am 12. Februar der Internationale Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten begangen. Mit Aktionen und Demonstrationen protestieren Menschen weltweit gegen den Missbrauch von Kindern als Kämpferinnen und Kämpfer - sei es in staatlichen Armeen, Rebellengruppen, Milizen oder bewaffneten Banden. Ihre Zahl wird auf 250.000 geschätzt.

Das Nein zur Rekrutierung von Kindern wird symbolisiert durch eine rote Hand (Red Hand). In den vergangenen Jahren wurden auf der ganzen Welt knapp 460.000 rote Handabdrücke als Ausdruck des Protestes gesammelt. Aufgrund der Corona-Pandemie ruft das Deutsche Bündnis Kindersoldaten dieses Jahr dazu auf, Bilder von roten Handabdrücken in den sozialen Medien zu posten. 

Der Gedenktag erinnert an das Inkrafttreten eines Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention am 12. Februar 2002, das Kinder unter 18 Jahren vor Krieg und Gewalt schützen soll. Dennoch werden weltweit Jungen und Mädchen von bewaffneten Gruppen als Kämpfer, Köche, Spione oder Sexsklaven rekrutiert.

Hilfsorganisationen fordern, den Einsatz von Kindersoldatinnen und -soldaten zu ächten. Auch die Bundeswehr wird aufgefordert, keine 17-Jährigen mehr anzuwerben. Weitere Forderungen sind Versorgung, Schutz und Asyl für geflohene Kindersoldaten, mehr Geld für Hilfsprogramme, die Bestrafung von Verantwortlichen und der Stopp von Waffenexporten in Länder, in denen Mädchen und Jungen als Soldaten eingesetzt werden.