Kein Nobelpreis für Eritrea

Genf/Asmara (epd). Die Südafrikaner Nelson Mandela und Frederik de Klerk erhielten den Friedensnobelpreis 1993 gemeinsam für eine historische Leistung: Lange hatten sie sich bekriegt, dann haben sie sich versöhnt. Ebenso war es bei Palästinenserführer Jassir Arafat und den israelischen Politikern Schimon Peres und Jitzchak Rabin 1994.

Auch der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed wurde am Freitag vom Nobelkomitee ausdrücklich für seine Bemühungen um Frieden mit dem lange verfeindeten Nachbarn Eritrea geehrt. Doch der in Eritrea regierende Staatschef Isaias Afewerki war auffällig abwesend: Weder wurde er ausgezeichnet, noch fiel überhaupt sein Name.

Das hat seinen Grund. Denn obwohl Abiy und Afewerki im Juni 2018 einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, obwohl Ethiopian Airlines erstmals eine Flugverbindung zwischen beiden Ländern einrichtete, Grenzübergänge geöffnet und diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden, ist in Eritrea alles beim Alten geblieben. Dort regiert Afewerki weiterhin mit eiserner Hand. 

Erst Mitte September beklagte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dass 28 politische Gefangene - 17 Journalisten und 11 Politiker - seit 18 Jahren in Eritrea in Haft sitzen. Ihr Verbrechen: Die Politiker hatten Afewerki aufgefordert, die Verfassung des Landes zu achten und Wahlen abzuhalten. Und die Journalisten hatten darüber berichtet.

Vor einem Jahr waren die Hoffnungen noch groß, dass die politische Öffnung in Äthiopien unter Abiy nach Eritrea ausstrahlen könnte - obwohl kurz nach der Grenzöffnung Tausende Eritreer nach Äthiopien flohen. Der umstrittene Militärdienst in Eritrea, der nach Aussagen von Exilanten aus bloßer Willkür auf Jahre und Jahrzehnte ausgedehnt werden kann, existiert weiter. Obwohl die dafür als Begründung angegebene Gefahr, ein drohender Angriff Äthiopiens, nicht mehr besteht. Auch soll Eritrea seit dem Frühjahr einseitig Grenzübergänge geschlossen haben. Und Glaubensgemeinschaften sind immer wieder Schikanen ausgesetzt. So wurden im Sommer katholische Kliniken beschlagnahmt.

Unklar ist zudem, ob und wie stark Afewerki Kontakte zu Rebellen pflegt, die jahrelang in Eritrea Unterschlupf fanden. Im Zug von Abiys Versöhnungskurs sind sie nach Äthiopien zurückgekehrt. Im vergangenen November traf sich Afewerki mit Abiy in der äthiopischen Region Amhara, nachdem die dortige Regionalregierung in der eritreischen Hauptstadt Asmara einen Friedensvertrag mit der amharischen Rebellengruppe ADFM geschlossen hatte. Deren Kämpfer wurden in die regionale Armee integriert und sollen maßgeblich an einem Putschversuch im Juni 2019 gegen Abiy beteiligt gewesen sein. Auch deshalb wird spekuliert, dass Afewerki die ethnischen Streitigkeiten in Äthiopien schüren könnte, um seine Position zu stärken.

Doch sicher ist das nicht, so wie vieles in Eritrea nicht sicher ist. Aus dem Land, das keine freie Presse kennt und Journalisten keine Visa erteilt, dringt nur wenig nach außen. Was Afewerki und Abiy dagegen eint, ist ihre Opposition zur politischen und militärischen Elite in der äthiopischen Grenzregion Tigray. Bis zu Abiys Wahl an die Regierungsspitze im Frühjahr 2018 hatten diese Elite auch auf nationaler Ebene das Sagen. Jetzt lehnt sie Abiys Versöhnungskurs offen ab und weigert sich, Anweisungen auszuführen.

Die Tigriner sind unmittelbare Nachbarn Eritreas, sprechen die gleiche Sprache und wären vermutlich die größten Nutznießer einer vollen Öffnung. Doch Afewerki muss fürchten, dass mit den Äthiopiern unerhörte Ideen über die Grenze schwappen: Etwa der Wunsch nach freien Wahlen, die Abiy für kommendes Jahr versprochen hat. Und so war aus Eritreas Hauptstadt am Freitag nichts zu hören. Während in Addis Abeba gejubelt wurde und Staats- und Regierungschefs vom ganzen Kontinent dem frischgebackenen Nobelpreisträger gratulierten, blieb der Twitter-Account von Yemane Meskel, Afewerkis sonst so redseligem Informationsminister, stumm.