Kaum Fluchtwege für russische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Frankfurt a.M. (epd). Russische Männer, die nicht im Ukraine-Krieg kämpfen wollen, haben unverändert kaum Möglichkeiten, sich nach Westeuropa abzusetzen. Die russische „Bewegung der Kriegsdienstverweigerer“ hat an die EU-Staaten appelliert, Wege zur legalen Einreise zu schaffen. Von Asylanträgen in der EU rate die Bewegung derzeit wegen der geringen Erfolgschancen ab, sagte die Sprecherin der Organisation, Maria Alexandrowa, dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Beratungsgesprächen werde russischen Kriegsgegnern stattdessen nahegelegt, sich um Studenten- oder Arbeitsvisa zu bemühen.

Im Vergleich zu anderen EU-Staaten stelle die Bundesrepublik auch humanitäre Visa zur Einreise aus, sagte die Aktivistin, allerdings würden Anträge auch in den deutschen Auslandsvertretungen ausgebremst. Viele Männer, die aus Furcht vor einem Einberufungsbescheid zunächst in visafreie Staaten wie die Türkei, Armenien oder Georgien gereist seien, würden dort lange festsitzen: „Die Betroffenen warten ein halbes Jahr lang auf eine Entscheidung über ihren Status.“ Die Vergabe von Visa für Kurzzeitbesuche werde von den EU-Staaten auch immer restriktiver gehandhabt. So hätten unlängst auf einer Konferenz von Kriegsgegnern in Athen auch einige Aktivisten der russischen Kriegsdienstverweigerer-Bewegung sprechen sollen, aber keinem von ihnen sei die Einreise in die EU erlaubt worden.

Die russische Verfassung sieht ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor, das formell auch nach dem Angriff auf die Ukraine weiter fortbesteht. Der Zivildienst in Russland dauert mit 21 Monaten fast doppelt so lange wie der Wehrdienst, zudem soll er in der Regel nicht in der eigenen Heimatregion absolviert werden. Auch 2022 seien noch einige junge Männer als Verweigerer anerkannt worden, berichtete Alexandrowa. Allerdings würden Anträge oft bereits aus rein formalen Gründen, etwa wegen „falsch ausgefüllter Formulare“ abgelehnt, so dass nur etwa die Hälfte von 1.000 offiziell eingegangenen Anträgen pro Jahr akzeptiert werden. Die Arbeitsbedingungen seien meist schlecht, den Zivildienstleistenden werde oft auch keine Unterkunft gestellt.

In der Beratung für russische Kriegsdienstverweigerer gehe es daher vielfach auch darum, andere Wege zu finden, um einer Einberufung zum Militär zu entgehen. Dies werde immer schwieriger, etwa dadurch, dass Einberufungsbescheide nicht mehr persönlich übergeben werden müssen, sondern auch über das landesweite digitale Bürgerportal zugestellt werden können. Wer solchen elektronisch zugesandten Behördenbriefen nicht folge, müsse mit massiven Konsequenzen rechnen. So drohe ein Ausreiseverbot, „selbst, wenn du den Bescheid gar nicht gesehen hast“. Seit dem vergangenen Frühjahr komme die Beratung für Zeitsoldaten hinzu, die sich nicht am Krieg gegen das Nachbarland beteiligen wollten.

Hilfe für Kriegsgegner und Wehrdienstverweigerer werde durch immer neue repressive Gesetze zunehmend schwerer. So sei der Zugriff auf die Internetseite der Kriegsdienstverweigerer-Bewegung seit einiger Zeit in Russland blockiert. Um nicht wegen „Diskreditierung der Streitkräfte“ strafrechtlich belangt zu werden, müssten Aktivisten selbst Vorsichtsmaßnahmen ergreifen: „Die Online-Beratung für Betroffene findet nur noch mit ausgeschalteten Kameras statt.“

Erst am Montag hatten vor der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin Vertreter von 30 Organisationen aus Europa zum Schutz von Kriegsdienstverweigerern aus Russland, Belarus und der Ukraine aufgerufen. Eine Petition der Kampagne „Object War“, die von rund 48.000 Menschen unterzeichnet worden war, wurde dabei an die EU-Kommission übergeben.