Karibische Tragödie: Haiti am Rande des Abgrunds

Ein ermordeter Präsident, eskalierende Bandengewalt und der Rücktritt des Premierministers: Haiti steht vor einem Scherbenhaufen. Während eine internationale Eingreiftruppe auf sich warten lässt, zeigen zivile Akteure Lösungsansätze auf.

Mexiko Stadt/ Port-au-Prince (epd). Der vorerst letzte Akt einer karibischen Tragödie: Kriminelle Banden in Haiti drohen offen mit einem Bürgerkrieg und terrorisieren die Hauptstadt Port-au-Prince - so lange, bis der vom Westen gestützte, in der Bevölkerung jedoch verhasste Premierminister Ariel Henry seinen Rücktritt anbietet. Nun soll ein Übergangs-Präsidialrat Neuwahlen organisieren.

Die Krise in Haiti, einst stolze karibische Nation, die aus dem Sklavenaufstand gegen die Kolonialmacht Frankreich entstand, spitzt sich seit Jahren zu. 2016 konnte die Bevölkerung letztmals an Wahlen teilnehmen. 2021 fiel Präsident Jovenel Moïse einem Mordanschlag zum Opfer, sein Stellvertreter Ariel Henry übernahm als Interimsregierungschef - mit dem Versprechen, baldige Neuwahlen einzuleiten. Diese wurden jedoch immer wieder verschoben. Das Parlament und der Senat sind aufgelöst, der Oberste Gerichtshof tagt nicht mehr.

Streiks und soziale Aufstände gegen die korrupte Politik und die Verarmung breiter Teile der Bevölkerung wurden blutig niedergeschlagen. Die in Kanada ausgebildete und unter anderem von den USA ausgerüstete Polizei agierte dabei laut Menschenrechtsorganisationen mit der Unterstützung der kriminellen Straßenbanden.

Die Krise vertiefte sich Ende Februar, als die Banden die beiden größten Gefängnisse des Landes stürmten und über 4.000 Häftlinge befreiten. Der Flughafen von Port-au-Prince, Polizeistationen und Häfen wurden angegriffen. Allein aus den umkämpften Vierteln der Hauptstadt flohen 15.000 Menschen vor der Gewalt. Die staatlichen Institutionen sind geschlossen, das Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps, Nahrungsmittel und Wasser werden knapp.

Die Banden nutzen die politische Krise im ärmsten Land Lateinamerikas aus. Eine multinationale Polizei-Eingreifgreiftruppe unter Führung Kenias, die der UN-Sicherheitsrat im Oktober 2023 billigte, sollte ihnen Einhalt gebieten. Als praktisch letzte Amtshandlung führte Henry dazu Anfang März Gespräche in Kenia. Jetzt ist der Einsatz zumindest verschoben: Laut Medienberichten will Kenia erst dann Sicherheitskräfte schicken, wenn Haiti wieder eine Regierung hat.

Die Zivilgesellschaft Haitis ist sich indes einig, dass Maßnahmen wie eine internationale Eingreiftruppe Krise und Konflikt nicht lösen. Sie betont, dass die Wiederherstellung der demokratischen Ordnung Vorrang haben müsse und skizzierte schon 2021 nach der Ermordung Moïses mit dem sogenannten Montana-Abkommen einen Weg. Dieses sah unter anderem vor, dass die Parteien des Abkommens eine inoffizielle Wahl organisieren, um einen Präsidenten zu bestimmen, der das Amt in einer Übergangsperiode ausüben soll. 2022 wurde entsprechend gewählt, doch Ariel weigerte sich, die Macht abzugeben.

431 zivile Organisationen, 106 soziale Bewegungen sowie 86 demokratische Gruppierungen unterstützen das Montana-Abkommen. Von den internationalen Akteuren blieb das Echo bislang aus.